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scannen und per Mail senden würde, und verabschiedeten sich.

      Als ob er nichts anderes zu tun gehabt hätte, fand Editha eine halbe Stunde später seine Nachricht im Postfach ihres Mailprogrammes. Sie umfasste sämtliche Familienbucheinträge bis hin zu ihren Großeltern.

      In der Zwischenzeit hatte sie mit einer Suchmaschine im Internet herausgefunden, wie sie ihre Urgroßeltern ermitteln konnte. Es gab einige Seiten über Ahnenforschung, die darüber umfassend informierten. Sie musste sich dazu an das Standesamt wenden, weil dort seit Ende des 19. Jahrhunderts alle Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle registriert wurden. Bevor Timo wieder aufwachte, schaffte sie es noch gerade, einen Brief an das Standesamt zu schreiben, in dem sie um die Daten ihrer Urgroßeltern bat. Dafür konnte sie sich von einer Internetseite ein Musterschreiben herunterladen. Zur Identifizierung gab sie die Namen an, die ihr Vater ihr gesendet hatte, und die Daten ihrer Großeltern aus dem Familienbuch. Zur Sicherheit sendete sie noch einige der gescannten Seiten mit.

      Zwei Tage später erhielt sie eine Mail vom Standesamt, in der um die Überweisung der Gebühr gebeten wurde. Das erledigte sie umgehend. Ein paar weitere Tage danach kam dann die Post mit den gewünschten Auszügen aus den Akten. Sie enthielten die Daten ihrer Urgroßeltern und den Hinweis, dass die Aufzeichnungen nur bis in das Jahr 1876 zurückreichten und man ihr deshalb über frühere Vorfahren keine Auskunft geben könnte. Dafür riet man ihr, sich an die zuständige Kirchengemeinde zu wenden. Ihr fiel ein, dass sie auf den Internetseiten, die von der Ahnenforschung handelten, auch davon gelesen hatte, dass man sich in bestimmten Fällen an die Kirchengemeinde wenden solle.

      Doch das musste warten, denn im nächsten Moment klingelte das Telefon.

      »Gruning hier, vom Antiquariat Gruning«, meldete sich eine fremde Stimme. »Sie haben auf meinem AB um Rückruf gebeten?«

      Editha hatte ebenfalls über das Internet und mit ein paar Telefonaten versucht herauszufinden, wer ihr bei der Übertragung der altdeutschen Schrift aus dem Buch in lateinische Buchstaben helfen könnte. Das Antiquariat Gruning fiel ihr dabei an mehreren Stellen auf. Leider war keiner da, als sie dort anrief, also hatte sie auf den Anrufbeantworter gesprochen.

      »Ja, vielen Dank dafür. Mein Name ist Riekmüller. Ich habe hier ein altes Buch. Das ist in einer Schrift verfasst, die ich nicht lesen kann, vermutlich altdeutsch. Ich habe im Internet gelesen, dass Sie sich damit auskennen. Ist das richtig?«

      »Das ist mein Spezialgebiet, ja.«

      »Wäre es möglich, dass Sie sich das Buch mal ansehen?«

      Sie vereinbarten für den Nachmittag einen Termin und verabschiedeten sich wieder.

      Editha sah kurz nach Timo, der auf dem Wohnzimmerfußboden mit seinen Autos spielte, und ging dann ins obere Stockwerk, um sich über den Fortschritt der Renovierungsarbeiten zu informieren. Der Maler und sein Auszubildender waren dabei, die Unebenheiten in den Wänden mit Spachtelmasse auszugleichen. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass die Arbeiten noch ewig dauern würden. Hier konnte sie jedenfalls nichts ausrichten, also begab sie sich wieder in ihr Arbeitszimmer, um den Artikel zu Ende zu schreiben.

      Das Antiquariat hatte eine Schaufensterscheibe, hinter der einige alte Bücher ausgestellt waren. Alles sah ein wenig altmodisch aus, als wäre die Zeit hier vor drei Jahrzehnten stehengeblieben. So auch die Eingangstür: Der Holzrahmen sah verblichen aus, die Scheibe war teilweise blind und dort, wo man hindurchsehen konnte, erblickte man dahinter einen Vorhang, der wohl früher einmal weiß gewesen war und jetzt schmuddelig grau aussah.

      Als Editha die Tür öffnete, betätigte sie mit ihr eine kleine Ladenglocke, die ihre Ankunft ankündigte.

      »Eine Glocke«, sagte Timo, der ihr an ihrer Hand folgte.

      Sie traten ein und ihnen schlug ein muffiger Geruch entgegen, so wie sie es in einem Geschäft mit alten Büchern erwartet hatte. Ringsherum waren Regale, in denen von oben bis unten Buchrücken zu sehen waren. Dazwischen standen mehrere Ausstellungstische mit Stapeln von weiteren Exemplaren.

      Editha schloss die Tür, wodurch sie die Glocke erneut zum Klingen brachte. Timo sah zu der Quelle des Geräuschs hoch und war sichtlich über den hellen Klang erfreut.

      Von dem Läuten angelockt, betrat ein Mann den Verkaufsraum. Editha ging davon aus, dass das Herr Gruning war. Das erste, was ihr an ihm auffiel, war, dass er offenbar ziemlich alt war, bestimmt über siebzig, aber dafür einen sehr fitten Eindruck machte. Mit einem dynamischen Gang kam er auf sie zu und bewegte sich dabei, als wären ihm orthopädische Probleme fremd. Aus seinen kurzen Hemdsärmeln ragten muskulöse Unterarme, wie sie sie von ihren männlichen Karate-Kollegen kannte, und der Rest seines Oberkörpers sah ebenfalls breit und muskelbepackt aus. Sein akkurat gestutzter grauer Vollbart war etwa genauso lang wie die grauen Haare, die allerdings nicht mehr ganz so flächendeckend vorhanden waren. Er hatte eine Halbbrille auf der Nasenspitze sitzen und die Lachfalten seiner Augenpartie, die Editha darüber sehen konnte, machten ihn gleich sympathisch.

      »Moin, wie kann ich helfen?«, fragte er.

      »Wir hatten telefoniert. Sie wollen sich mein Buch ansehen.«

      Sie holte den braunen Einband aus der Tasche und hielt ihn hoch.

      »Ach, die altdeutsche Schrift.« Er nahm ihr das Buch aus der Hand und betrachtete die Buchstaben auf dem Deckel. »J. R.? Initialen? Wissen Sie, was die bedeuten?«

      »Noch nicht, aber ich bin dabei, es herauszufinden.«

      »Hm, und du weißt wohl auch nicht, was das heißen soll, oder?«

      Er bückte sich zu Timo herunter, der sich schnell zur Hälfte hinter ihrem Rücken versteckte und nur ein scheues »Nein« hervorbrachte.

      Gruning erhob sich schmunzelnd.

      »Na, dann kommen Sie mal mit nach hinten durch, damit ich mir das Buch genauer ansehen kann.«

      Er drehte ihr den Rücken zu, wieder ganz in der Betrachtung des Einbandes vertieft, und ging durch einen Vorhang voran ins Hinterzimmer. Editha folgte ihm mit Timo.

      Als sie durch den Vorhang traten, saß der Mann bereits an einem Schreibtisch und zog ein Vergrößerungsglas heran, das mit einer verstellbaren Halterung, wie bei einer alten Schreibtischlampe, an den Tisch angebracht war. Damit betrachtete er eine ganze Weile das Äußere des Einbandes. Falls er etwas dabei feststellte, ließ er es sich nicht anmerken, und er äußerte sich auch nicht dazu.

      Dann schlug er das Buch auf, blätterte auf die erste beschriebene Seite und betrachtete sie.

      »Oh, nein«, sagte er und blätterte weiter, überblätterte ein paar verblasstere Seiten und sagte wieder »oh, nein«.

      Editha verließ ihre ganze Hoffnung. Dann würde sie wohl nicht erfahren, was in dem Buch stand. Vielleicht war deshalb nur der eine Abschnitt übertragen worden, weil der Rest nicht leserlich war.

      »Dann ist demnach also nichts zu machen? Sie können die Schrift nicht in lateinische Buchstaben übertragen?«

      Gruning sah sie überrascht an.

      »Wie bitte? Nein. Doch. Natürlich kann ich die Schrift übertragen. Ich kann nur gar nicht glauben, was Sie mir hier für ein Schmuckstück gebracht haben. Das ist ja eine ganz hervorragende, alte Schrift.«

      Edithas Hoffnung kehrte zurück, ihr Herz machte einen Hüpfer.

      »Dann können Sie sie lesen?«

      »Aber ja doch. Das ist Kurrentschrift, eine Laufschrift, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland verwendet wurde. Der Verfasser dieser Zeilen hat zwar eine - sagen wir mal - etwas eigenwillige Schrift und manche Buchstaben werden auch noch unterschiedlich ausgeführt, aber sie ist absolut lesbar.«

      »Und die verblichenen Seiten? Die kann man wohl vergessen, oder?«

      »Nein, überhaupt nicht. Da gibt es Methoden, den Kontrast wieder zu vergrößern. Das kriege ich hin.« Er klappte das Buch zu und besah es sich von der Seite. »Allerdings dauert das eine Weile und dementsprechend wird das auch kein billiger Spaß.

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