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die Wege geleitet und ihr Türen geöffnet, von denen sie nicht einmal ahnte, dass es sie gab. Als sein Leben endete, wurde sie an seiner Stelle im Kreis der fünf Weisen des geheimen Schlüssels aufgenommen. Doch es war kein Geschenk. Sein Tod, obwohl friedlich und zur rechten Zeit, hatte ihr mehr Kummer bereitet, als der ihres Vaters nur wenige Jahre später.

      Elfrieda stolperte und wäre beinahe gestürzt, so plötzlich endete die Raumzerrung. Einen Moment war es, als wäre sie aus einem Traum erwacht, und sie hatte Mühe, sich zu orientieren.

      »Kommst du zu mir?«, fragte eine leise, melodische Stimme, die sie unter Hunderten erkannt hätte, obwohl sie noch nie zu ihr gesprochen hatte.

      »Ja«, hauchte sie atemlos. »Ich will dir helfen.«

      »Ich wusste, dass du es versuchen würdest, aber ich hatte gehofft, du würdest nicht kommen.« Die Stimme klang traurig und Elfrieda konnte nicht sagen, woher sie kam.

      »Du wusstest es?«, fragte Elfrieda erstaunt.

      »Ich sah dich auf der Straße und in der verborgenen Kammer. Ich sah deine Augen. Die Augen sind die Fenster zu eurer Seele.«

      »Wo bist du?«, fragte Elfrieda und drehte sich im Kreis auf der Suche nach einer Tür. Sie fand aber keine.

      »Ich bin gleich hier, aber du wirst mich nicht finden. Niemand wird mich finden, dafür hat er gesorgt.«

      »Aber es muss einen Weg geben!«, rief Elfrieda aufgebracht. Es gab immer einen Weg und eine Tür. Sie war bloß verborgen, aber sie war noch da. Suchend tasteten ihre Hände die Wände ab.

      »Bring dich in Sicherheit«, flüsterte die Stimme.

      »Nein!«, widersprach Elfrieda. »Es gibt keine Sicherheit. Ich werde das ganze Gebäude einreißen, wenn es nötig ist.«

      Die Elbin lachte. Wie ein Glöckchen, silberhell, klang ihr Lachen.

      »Ihr Menschen seit wie ein Regenbogen, ihr schillert in allen Farben.«

      Elfrieda verstand nicht, was es in dieser Situation zu lachen gab. Sie kämpfte mit der schier übermächtigen Müdigkeit, mit der Verzweiflung und der Tatenlosigkeit zu der sie verdammt war.

      »Wie heißt du, Menschenkind?«

      »Elfrieda«, murmelte sie.

      »Ich danke dir, Elfrieda, dass du mich nicht vergessen hast.« Die Stimme klang wieder ernst. »Aber nun musst du gehen. Ich habe einen Auftrag für dich. Mein Bruder wird nach mir suchen. Bring ihm die Nachricht von mir. Sag ihm …« Sie stockte. »Sag ihm …« Ihre Stimme zitterte. »Ich werde meinen letzten Weg antreten, denn das Los, das mir hier auf Erden beschieden ist, bin ich nicht bereit, zu ertragen. Sag ihm, es tut mir leid. Ich war überheblich. Ich dachte, ich wäre der Macht eines Zauberers gewachsen, doch ich rechnete nicht damit, dass er andere Pläne mit mir hat …« Sie schwieg, aber ihre Verzweiflung und Angst waren beinahe gegenständlich.

      Elfrieda liefen Tränen über die Wangen, obwohl sie nicht genau verstand, was die Elbin mit andere Pläne meinte.

      »Ich werde in der Stadt jemanden finden, der dir hilft.«

      Wieder lachte die Elbin, aber diesmal klang es unendlich traurig. »Ich werde nicht mehr leben, wenn du wiederkommst.«

      »Aber«, protestierte Elfrieda, »das geht nicht. Deine Zeit ist noch nicht gekommen!«

      »Doch, Elfrieda! Bald wird ein mächtigerer Zauberer, als der da oben, in die Stadt kommen. Meinetwegen. Weil dieser hier mich nicht überwältigen konnte, weil ich noch lebe, will er mich nun seinem Meister zum Geschenk machen. Aber ich werde nicht die Braut eines Zauberers.« Ihre Stimme brach. Sie schluchzte leise. Es war das furchtbarste Geräusch, das Elfrieda jemals gehört hatte. Es brach ihr das Herz, die Elbin weinen zu hören.

      »Ich werde Menschen finden, die dir helfen. Tu nichts Voreiliges. Noch ist der Zauberer nicht in der Stadt. Ich spreche mit dem Archiepiskopos. Er wird verhindern, dass ein Zauberer hierherkommt. Das ist eine Stadt der Kirche, und die Kirche duldet keine Zauberer.«

      »Hinter seinen Fenstern brennt kein Licht. Seine Gier nach Macht vernebelt seinen wachen Verstand. Er wähnt sich kurz vor dem Ziel und wird alles tun, um es zu erreichen. Leichen säumen seinen Pfad. Warne die Menschen, die sich dem verschollenen König anschließen wollen, vor dem Archiepiskopos. Das Wohl vieler lastet auf deinen Schultern. Geh, Elfrieda, und erfülle deine Aufgaben.«

      »Aber meine Aufgabe ist hier«, protestierte Elfrieda. »Noch ist nicht Zeit für dich, zu gehen«, stieß sie mit der tiefsten Inbrunst ihrer Überzeugung aus. »Du musst leben. Bitte! Lebe!«

      »Weißt du denn nicht, welches Leid mein Leben der Welt bescheren kann? Halte mich nicht zurück. Lass mich gehen … Varsa’ra. Die Welt, so wie sie heute ist, wird es sonst nicht mehr geben. Das Dunkel wird kommen. Zauberer werden die Welt regieren.«

      Irgendwelche alten Geschichten tobten in Elfriedas Kopf. Welche waren wahr, welche Legenden? Und warum nannte die Elbin sie Varsa’ra? War das nicht eine der Nornen?

      »Ich verspreche dir, dass ich zu verhindern versuche, dass der Zauberer hierherkommt. Aber versprich du mir, dass du lebst, solange er nicht hier ist.«

      »Das sind viele Versprechen für einen Tag, der gerade erst heraufzieht. Doch ich beuge mich dem Willen einer Norne und verspreche dir, geduldig zu sein. Aber wenn deine weltlichen Mittel versagt haben, Varsa’ra, und meine Reise beginnt, werde ich deinen Beistand brauchen.«

      »Wie heißt du?«, fragte Elfrieda scheu.

      »Almira’da.«

      »Almira’da«, wiederholte Elfrieda. »Ich werde dich niemals vergessen.«

      ***

      Ala’na saß in einem hohen Stuhl aus gewunden Ästen. Sie hielt die Augen geschlossen, aber sie hob ihren Kopf, als Feodor den Raum betrat. Unschlüssig blieb er hinter der Tür stehen. Sie sah aus wie eine Königin, und als solche hätte er vor ihr niederknien und seine Stirn bis auf den matt glänzenden Holzboden senken müssen. Es nicht zu tun, kam ihm unnatürlich oder zumindest frevelhaft vor. Sie lächelte.

      »Sei gegrüßt, Feodor, setz dich zu mir.« Sie deutete auf einen zweiten Stuhl, der nicht weniger aufwendig gearbeitet war als ihr eigener.

      »Ihr seid zu gütig, Ala’na«, sagte er.

      »Du bist ein Mensch«, stellte sie fest. »Ich bin eine Elbin. Es besteht kein Grund, förmlich zu sein. Ich stehe in deiner Schuld, meine Unachtsamkeit hat dich in eine gefährliche Situation gebracht. Setz dich zu mir und nimm meine Entschuldigung an.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, und er ging immer noch zögernd zu dem Stuhl, den sie ihm zugewiesen hatte.

      »Es besteht kein Anlass, sich zu entschuldigen. Gerne hätte ich noch mehr ertragen, wenn Ihr … wenn du nur meine Frau gefunden hättest.«

      Ein Schleier der Trauer legte sich über Ala’nas feine Züge und Feodor bereute seine Worte.

      »Es sind immer noch Elben auf der Suche nach ihr. Selbst wenn es hundert Jahre dauert, wir werden sie finden.«

      Feodor senkte den Kopf und erwiderte nichts. Hundert Jahre waren zu lang für ihn. Zu lang für Josephine.

      Ala’na lächelte ihn scheu an. »Sie hat mehr für mich getan, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte, und sie hat es getan, obwohl sie wusste, dass es gefährlich ist. Das macht sie zu meiner Schwester. Wir Elben sind sehr vorsichtig, wenn wir Verbindungen eingehen, denn sie überdauern die Ewigkeit.«

      Auch darauf wusste Feodor nichts zu antworten. Er fühlte sich wie ein Trottel, denn so sehr er auch nach frommen Worten suchte, ihm vielen keine ein.

      Zum Glück raschelte Lume’tai in ihrem Wägelchen und lenkte ihn kurz ab. Sie schlief und nuckelte an ihrem Daumen. Als er wieder zu Ala’na sah, lächelte sie verklärt.

      »Du hast sie mitgebracht. Ich danke dir.«

      »Ich kann nirgendwohin gehen ohne sie. Sie leidet. Sie ist noch so klein.«

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