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noch mindestens hinter sich hätte zuziehen müssen, aber irgendetwas sagte ihr, dass die verhüllte Gestalt bereits um die Ecke gebogen war und die Bewegung der Tür bemerken würde.

      In der Zelle war es dunkel wie in einer Gruft. Elfrieda schob sich vorsichtig noch etwas tiefer in den Schatten und hoffte, dass sie über nichts stolperte, was sie verraten würde. Sie musste ihre Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht laut klapperten, so sehr zitterte sie. Zweimal hörte sie noch das Klackern der Absätze auf dem rauen Steinboden, dann war es still. Elfrieda hielt den Atem an. Etwas raschelte, dann gab es einen Donnerschlag und sie stand in vollkommener Finsternis. Der graue Schatten im Türspalt war verschwunden.

      Er hat mich eingesperrt, dachte sie seltsam ruhig.

      Irgendwo in ihrem Kopf rebellierten ein paar verirrte Gedanken, aber sie griffen nicht über. Vollkommen von sich gelöst, sank sie zu Boden. Ihr Herz schlug ruhig und gleichmäßig, ihre Hände lagen schwer auf dem feuchten Boden.

      Eingesperrt.

      Sie konnte nicht sagen, wie lange sie regungslos dagesessen hatte, ehe die Starre langsam von ihr abfiel. Ob schon Abend war? Ihr Gesäß fühlte sich taub an, und die Knie schmerzten, als sie sich aufrichtete. Sie tastete sich an der Wand entlang, bis sie das kalte Eisen der Tür unter ihren Fingern spürte.

      Vorsichtig drückte sie dagegen, dann mit ihrem ganzen Körper, aber die Tür bewegte sich nicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sich Elfrieda so sehr nach einem Funken Licht gesehnt. Das Gefühl, nicht atmen zu können, wurde übermächtig. Nur mit äußerster Willenskraft gelang es ihr, einen wütenden Schrei zu unterdrücken. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben und zu überlegen.

      Ruhig bleiben, überlegen, ruhig bleiben, überlegen … Ihr sonst so reger Verstand war unfähig, auch nur den kleinsten vernünftigen Gedanken zu formen. Sie stand vor der Tür, den Kopf an die kalten Eisenbeschläge gelehnt. Die Zeit rauschte vorbei oder stand still. Es war bedeutungslos. Niemand wusste, dass sie hier unten war. Wenn sie still ausharrte, würde sie hier sterben. Wenn sie sich bemerkbar machte, lief es auf das Gleiche hinaus. Als sich die erste Verzweiflung gelegt hatte, fiel ihr ein, dass die Tür nur einen Riegel gehabt hatte, kein Schloss.

      Einen Riegel, kein Schloss. Sie schaukelte diesen Gedanken eine Weile. Ohne zu einem weiteren Ergebnis zu kommen, steckte sie die Hände in die Taschen ihres Rockes, um zumindest ihre kalten Finger aufzuwärmen.

      Das Pergament war noch drin – und noch etwas anderes. Etwas Kleines, Hartes. Elfrieda betastete es, dann kam langsam die Erinnerung zurück. In ihrer Naivität hatte sie ein kleines Messer eingesteckt, mit dem sie die Stricke der Elbin hatte zerschneiden wollen, falls diese gefesselt war. Jetzt schüttelte Elfrieda nur den Kopf wegen ihrer Dummheit. Wenn hier unten jemand gefesselt war, dann doch bestimmt mit Ketten.

      Trotzdem fühlte sich das Messer irgendwie beruhigend an. Sie holte es heraus und begann, es in jede Ritze der Tür zu schieben, die sie finden konnte. Schließlich höre sie Metall auf Metall kratzen. Sie hatte den Riegel gefunden.

      Energisch drückte sie das Messer gegen den Riegel und versuchte, ihn soweit zur Seite zu schieben, wie die enge Ritze es erlaubte. Sie wusste nicht, ob sie Erfolg gehabt hatte, aber sie zog das Messer ein Stück zurück, setzte es erneut an und schob wieder.

      Ihre anfängliche Freude legte sich schnell und wich sturer Beharrlichkeit. Es war Elfriedas einzige Hoffnung, und sie war nicht bereit, sie aufzugeben, solange sie noch Kraft in den Fingern hatte. Nach einiger Zeit merkte sie, dass sie vor Anstrengung schwitzte. Immer wieder wischte sie die Hände an ihrem Rock trocken.

      Ihre Beharrlichkeit wurde zu Zorn, der mit der zunehmenden Taubheit ihrer Finger wuchs. Elfriedas Hand rutschte ab und sie stieß den Finger schmerzhaft gegen die schartige Tür. Ein leiser Fluch entrang sich ihrer Kehle, und dann sprang ihr – als hätte Gott selbst ihren Fluch gehört – das Messer aus der Hand. Klirrend fiel es zu Boden.

      Der Grat zwischen Zorn und Verzweiflung war schmal. Tränen liefen über Elfriedas Wangen, während sie auf allen vieren den schlüpfrigen Boden nach dem Messer abtastete. Als sie es endlich fand, wusste sie, dass die Mächte sich gegen sie verschworen hatten. Der Schmerz biss sie wie ein hinterhältiges Tier, und als sie ihre Finger reflexartig zum Mund führte, schmeckte sie unter all dem Schmutz ihr Blut.

      Elfrieda legte sich das Messer auf den Schoß und wickelte ihren Finger fest in einen ihrer Unterröcke ein. Während sie still da saß und darauf wartete, dass das Pochen nachließ, dachte sie an die treibenden Wolken über den Hügeln ihrer Kindheit. Würde sie sie je wiedersehen? So viele Jahre waren vergangen, so viele Wolken waren vorbeigezogen. Sie erinnerte sich an die vielen Tage, in denen der Himmel immer bedeckt gewesen war. Einheitlich grau und schwer wie Blei lag eine Wolkenschicht am Himmel, als ob sich die Welt mit ihr zugedeckt hätte und darunter trieben dunklere und hellere, größere und kleinere Wolkenfetzen im Wind. Regen, mal dick und nass, dann wieder so fein, dass er für das Auge kaum sichtbar war, rieselte aus diesen Wolken und weichte die Wiesen und Felder auf. Wenn dann aber nach Tagen ein Riss in der Wolkendecke entstand und der blaue Himmel oder gar die Sonne dahinter zum Vorschein kamen, legte sich ein Zauber über die Welt, der mit Worten kaum zu beschreiben war.

      Elfrieda prüfte ihren Finger mit den Lippen und befand, dass er wieder einsatzfähig war. Tastend bewegte sie sich auf die Tür zu, zurück zu der Stelle, an der sie den Riegel vermutete.

      Mit zitternden Fingern setzte sie das Messer in die Ritze, presste es fest gegen das Metall und schob, zog es zurück, setzte es an und schob. Noch einmal, und als sie es erneut gegen die Tür drückte, öffnete sie sich einen Spalt breit. Das dämmerige Licht der Lampen auf dem Gang war für Elfrieda wie das Wolkenloch ihrer Kindheit. Es erfüllte sie mit Glück und Erleichterung, mit Hoffnung und Leben. Es kam ihr vor, als hätte sie noch nie etwas Schöneres gesehen als dieses Licht.

      Blinzelnd steckte sie den Kopf durch den engen Spalt. Der Gang war leer. Elfrieda lauschte, konnte aber nichts hören. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor die Tür. Der Drang nach Freiheit war stark, aber sie hatte nicht vergessen, wer in den Gängen der Verliese umherschlich. Als sie draußen stand, war ihr erster Gedanke, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Doch dann fiel ihr die Elbin wieder ein.

      Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie zum ersten Mal um diese Ecke gelugt hatte. Es konnte ein Augenblick oder eine Ewigkeit her sein. Die Dunkelheit der Zelle hatte sie jeden Zeitgefühls beraubt. Sie fühlte sich zum Umfallen müde. Es war früher Nachmittag gewesen, als sie hier herunterkam. Möglicherweise war es jetzt nach Mitternacht. In den Gängen war es still.

      Jetzt war nicht die Zeit, um über ihre körperlichen Befindlichkeiten nachzudenken. Sie musste handeln.

      An die Wand gepresst, lief sie den Gang entlang. Niemand durfte sie jetzt entdecken. Ihre Kleidung hatte in der Zelle sehr gelitten. Sie war zerknautscht und verdreckt. Den selbst geschriebenen Auftrag würde ihr kein sehender Mensch mehr abnehmen. Sie atmete schwer.

      Der Gang war länger, als er aussah. Sie fühlte sich, als ob sie mindestens eine halbe Meile gelaufen wäre, aber ihrem Ziel war sie nicht viel nähergekommen. Der Raum wirkte verzerrt. Unwirklich. An der dunkelsten Stelle lehnte sie sich an die Wand, um zu verschnaufen. In ihrem Bauch prickelte es unangenehm, und als sie einen Blick zurückwarf, sträubten sich ihre Nackenhaare. Sie hatte sich keine zehn Schritte von der Ecke entfernt.

      Ihre wachsende Angst drohte, in Panik umzuschlagen. Mit geballten Fäusten atmete sie noch dreimal bewusst ein und aus, dann stieß sie sich ab und lief weiter. Sie achtete nicht mehr darauf, sich versteckt zu halten, denn sie hatte keine Kraft mehr, um sie für Heimlichkeiten zu verschwenden. Wenn sie erwischt wurde, und davon ging sie aus, wollte sie vorher zumindest noch die Zelle der Elbin erreichen. Sie wollte … wollte …

      Obwohl es keine Hoffnung gab, war es doch ihre Pflicht als Mitglied des geheimen Schlüssels, diesem schönen, rothaarigen Wesen mitzuteilen, dass es noch Menschlichkeit gab und dass nicht alles Wissen verloren war. Aber vor allen Dingen wollte sie vor ihrem Tod, eine aus dem Alten Volk sehen. Sie wollte einmal in ihrem Leben Elben sehen.

      Seit dem Tag in der Kammer des Priesters, als sie das vollkommene Buch mit den perlmuttfarbenen

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