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hatte. Zu nennenswerter Eigenart brachte er es nicht, es blickt immer der Stil des Ursprungslandes durch. Norwegen liegt in der englischen, Dänemark und Schweden, wie schon in der romanischen, so erst recht in der gotischen Zeit, in der deutschen Einflusssphäre; am Dom von Upsala waren vorübergehend sogar Franzosen tätig, und einige Zisterzienserkirchen bewahren merkwürdig treu den burgundischen Stempel.

      So hatte sich die ganze germanische Welt dem zuerst im Norden Frankreichs formulierten »gotischen« Stil unumwunden angeschlossen; hie und da mit einiger Laxheit, öfters mit logisch gedachten Vereinfachungen, nirgends mit der Absicht, an seinen Grundgesetzen zu rütteln. Dieses zu tun, war Sache der Südfranzosen und Italiener. Beide haben den gotischen Stil nicht herbeigerufen, sondern ihn an sich kommen lassen als ein »Schicksal«, und beide stehen innerlich in tiefster Opposition zu ihm.

      Ganz schroff zeigt sich diese Lage der Dinge in Südfrankreich. Hier, wo man nahe an die Renaissance der Antike herangekommen war, hatten die Albigenserkriege und die ihnen folgende Gewaltherrschaft der Nordfranzosen einen fast hundertjährigen Stillstand herbeigeführt. Von 1270 ab ließen Bischöfe, welche die Gunst der Krone suchten, eine Reihe von Kathedralen in rein nordfranzösischem Stil durch nordfranzösische Meister errichten. Keine derselben gelangte weiter als bis zur Vollendung des Chores (Kathedralen von Toulouse, Narbonne u. a. m.). Erst ganz zum Schluss des 13. Jahrhunderts war das Selbstbewusstsein der Südländer soweit wieder belebt, dass sie das Bauwesen in die eigene Hand nahmen. Ihre erste Tat ist die Wiederherstellung des nationalen Kirchentypus, des einschiffigen Saales (Alby, Toulouse, Carcassonne, Perpignan; nahe verwandt einige besonders großartige Bauten in Katalonien). Er wird jetzt gotisch konstruiert, aber ästhetisch hat er mit der Gotik wenig gemein. Der mit schmalen Kreuzgewölben überdeckte, fast immer gewaltig große Raum wird eingeschlossen von breiten, nur durch magere Dienste schwach gegliederten Wandflächen, darin stehen in weiten Abständen hohe schmale Fenster; der gotische Formenapparat ist auf ein Weniges zusammengeschmolzen; das Äußere sieht festungsartig aus, ist turmlos. Der Kunstgehalt dieser pseudogotischen Architektur liegt durchaus im Raumfaktor, nicht im Gliederorganismus. Ein spezifisch südliches, der Antike nahe gebliebenes Gefühl spricht daraus, in seiner trotzigen Proteststimmung freilich zum Herben und Harten gewendet.

      Dasselbe Gefühl, doch freudig und schwungvoll, lebt in der italienischen Gotik. Viel älter als das, was man allein so nennen darf, ist eine gotische Importkunst, die gleichsam nur zufällig auf italienischem Boden steht, aber innerlich dem italienischen Genius fremd bleibt. Sie wurde sehr früh, seit 1187, durch die Zisterzienser eingeführt. Die umfänglichste Gruppe befindet sich im Süden Roms, in den Volskerbergen und in den Abruzzen, einzelne Denkmäler sind über die ganze Halbinsel zerstreut. Eine zweite Gruppe steht in Zusammenhang mit den Kreuzfahrerbauten im heiligen Land; zu ihr gehören die prachtvollen Schlösser, die Kaiser Friedrich II. in Apulien und Sizilien errichten ließ. Eine dritte, ohne Zusammenhang mit der vorigen, rührt von der Eroberung Neapels durch die Anjou her. Sie alle vermochten keinen lebensfähigen Nachwuchs zu erzeugen. Wirkliche Einbürgerung des nordischen Stils vollzog sich erst dadurch, dass die Bettelorden, die neue Großmacht im Geistesleben Italiens, für ihn Partei ergriffen. Sie empfingen ihn aus den Händen der Zisterzienser, haben ihn aber sofort in italienischem Geist umgestaltet. Das System wechselt – bald sind es Basiliken, bald einschiffige Kirchen, bald sind sie flach gedeckt, bald gewölbt – der Charakter ist gleichartig. Er kann mit denselben Worten definiert werden, die wir oben von den südfranzösischen Bauten brauchten: der Schwerpunkt liegt in der Raumerscheinung, der sich dem (viel einfacher als im französischen System behandelten) Gliederbau ganz unterordnen muss. (Beispiele: Santa Maria novella und Santa Croce in Florenz, Frari und Santi Giovanni e Paolo in Venedig, Carmine in Pavia.) Die letzten und entscheidenden Schritte zur Italisierung taten dann die großen, seit Ende des 13. Jahrhunderts in Angriff genommenen, wesentlich im 14. Jahrhundert ausgeführten Kathedralbauten, an der Spitze der Dom von Florenz. Hier handelt es sich nicht etwa um eine neue Abwandlung und besondere Interpretation des gotischen Bauideals, sondern um eine Abkehr von ihm: Raumbegrenzung durch ruhige, von wenigen und kleinen Fenstern nur unterbrochenen Wandflächen, Raumgliederung in wenige, aber große und scharf gegeneinander isolierte Abteilungen, Beschränkung des konstruktiven Apparats und überhaupt Stillung des Bewegungsdranges, große Vereinfachung der Außenansicht durch Wegfall des Strebewerkes und der Türme, ganz neu die Steigerung durch einen gewaltigen Kuppelbau. Genug: in allem, was wesentlich ist, keine Gotik – auch keine missverstandene – sondern eine sehr bewusst antigotische Gotik – in Wahrheit latente Renaissance.

      Genau in der Zeit, dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts, in der die italienische Architektur den Umschwung von der latenten zur offenen, von der halben zur vollen Renaissance vollzog, trat auch die nordische in eine neue Epoche ein. Man nennt sie herkömmlich die Spätgotik, womit aber nur die eine, und zwar nicht die ausschlaggebende Seite ihres Wesens gekennzeichnet ist. In der gotischen Formensprache, die sie beibehält, immerhin mit starken Veränderungen im Einzelnen, drückt sie ein Grundgefühl aus, das ebenso neu ist, wie von Claus Sluter und den van Eycks ab dasjenige der Bildkünstler. Auch die Baukunst des 15. Jahrhunderts bedeutet schon nicht mehr Mittelalter.

      Der Baukunst des Mittelalters kam das populäre Empfinden des letzten Jahrhunderts mit aufgeschlossenem Sinn entgegen, die Verehrung steigerte sich bis zur Unterwerfung und Nachahmung; die Bildkunst des Mittelalters dagegen gilt für schwerer genießbar, für etwas, das man den Gelehrten überlassen müsse. Sicher ist, dass sie in der Mitte zwischen antiker und moderner Kunst ganz fremdartig sich ausnimmt. Man irrt sich aber, wenn man den Unterschied vornehmlich als einen graduellen, als Folge eines geringeren Könnens ansieht; er liegt viel tiefer, in einem prinzipiell anders gerichteten Wollen. Das Mittelalter hat dem Bild, in erster Linie dem Menschenbild, von Anfang an einen ausgedehnten Platz zugewiesen, aber es tat es in einer anderen Absicht als in der uns selbstverständlich erscheinenden. Das Mittelalter ist erst sehr spät dabei angelangt, in der Kunst einen Spiegel der Wirklichkeit anzusehen; sie war lange Zeit naturlos, anschauungslos, unzugänglich für diejenigen geistigen Anregungen aus der sinnlichen Erscheinungswelt, die wir, in künstlerischer Umsetzung, der Form zuschreiben. Es ist merkwürdig, wie die späte Antike und die ursprüngliche Stimmung der germanisch-keltischen Völker, auf die die Tradition jener überging, in diesem negativen Moment völlig zusammentrafen. Die positiven Aufgaben der mittelalterlichen Bildkunst sind zwei, wie man aber sogleich sieht, unter sich disparate: zu illustrieren und zu dekorieren, einen religiös-poetischen Gedankenstoff zu vermitteln und ein tektonisches Objekt, sei es die Wand einer Kirche oder ein Buch oder einen Reliquienkasten oder was sonst, zu schmücken. Etwas anderes verlangte die Kirche nicht und etwas anderes hätten auch die Völker nicht begriffen. Nach beiden Richtungen ist nun die Malerei unvergleichlich leistungsfähiger als die Plastik. Diese war schon aus der Spätantike fast verschwunden. In dem langen Zeitraum vom Sieg der christlichen Kirche am Anfang des 4. bis zum Kulminationspunkt der mittelalterlichen Kultur am Anfang des 13. Jahrhunderts hat die Malerei die unbedingte Vorherrschaft besessen. Dass dieses aber nicht eine Vorherrschaft dessen bedeutet, was wir malerisches Empfinden nennen, braucht nicht mehr nachgewiesen zu werden; es ist der Ausdruck des vollkommenen Übergewichts der stofflich-illustrativen und tektonisch-dekorativen Interessen über das Forminteresse.

      Mit der Malerei des Mittelalters sich damit abfinden zu wollen, dass man sie für primitiv, für noch in den Kinderschuhen steckend erklärt, wäre somit das Verfehlteste. In Wahrheit steckt in ihr uralte Tradition, nur zu viel! Es war kein fruchtbringendes Zusammentreffen zwischen der Unreife der ästhetisch noch nicht erwachten Nordländer und den welken Formen des antiken Greisenalters. Es konnte nur in der Vorstellung bestärken, dass Kunst und Natur ganz getrennte Welten seien. Außerdem waren es heilige Formen. Ihr religiöser Wert war durch möglichst genaue Nachahmung, bei der mehr die Hand als das Auge in Frage kam, sicherzustellen.

      Innerhalb der ihr gezogenen Grenzen besitzt die Malerei dasselbe hohe Stilgefühl, das wir am Kunstgewerbe rühmten; sie hat die Achtung, in der sie stand, vollauf verdient. Für den modernen Standpunkt ist sie nicht freie, nur angewandte Kunst. Die Gestalten und Szenen standen fest; denn es war ja ihr Zweck, tunlichst leicht nach ihrer Sachbedeutung verstanden zu werden; nur leise, unvermerkt durften sie in den Jahrhunderten sich wandeln, diese oder jene neue Darstellung in ihren Kreis aufnehmen. Der beste Maler war der, der seine Vorbilder ohne Verzerrung so zu verschieben verstand, dass sie den jeweiligen Forderungen der architektonischen Flächengliederung

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