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alles auf einmal. Die zuvor ruhige Meeresdecke brach und Machairi gab dem Kapitän ein Zeichen. Der Steg, auf dem der Prinz noch immer stand, barst, als ein gewaltiger Fangarm den Soldaten anrempelte und ihn hinabstürzte in die blaue Unendlichkeit des Wassers. Türkise Tentakel schossen aus der Tiefe hervor, wanden sich in die Luft und Leén sah den Prinzen fallen. Machairi fing den jungen Mann am Kragen auf und zerrte ihn mit nur einer Bewegung an Bord. Indes hatte der Kapitän es geschafft, seine schreckstarre Besatzung dazu zu bringen, die Segel in den Wind zu drehen und mehr Tuch zu setzen.

      Leén umklammerte das Geländer der Treppe zum Achterdeck und sah mit geweiteten Augen auf die unruhige See. Auf die zahllosen dünnen Fangarme, die aus dem Wasser schossen und sich mehr und mehr um das Harethischiff zu schlingen schienen. Auch ihr eigenes Schiff wurde von wenigen Armen befallen, aber sie bewegten sich bereits weg vom Geschehen und die Männer an Bord des Verfolgerschiffes schrien so laut durcheinander, dass das Seemonster sich nur auf sie konzentrierte. Dünn wie Leéns Arm waren die einzelnen Tentakel und in alle Richtungen biegsam wie Haare. Trotzdem durchstießen sie die Bordwände und zermalmten das Schiff geradezu, während die Besatzung bestmöglich Kanonenkugeln ins Wasser feuerte. Ungläubig und schockiert sah sie zu, wie mehr und mehr Tentakel aus der Tiefe kamen und das Schiff umwoben und dann plötzlich erhob sich ein bläulicher Körper unter den Tentakeln aus den Tiefen des Wassers. Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten, um zuzusehen, wie eine Gestalt aus dem Wasser erwuchs. Erst nach einem Augenblick wurde klar, dass es sich bei den türkisenen Tentakeln tatsächlich um Haare handelte. Schreie erfüllten die Luft, während der gewaltige Körper, zu dem dieses Haupthaar gehörte, sich bis zur Hüfte aus dem Wasser erhob.

      Es war eine Frau, oder zumindest glich sie einem weiblichen Bild. Die Gesichtszüge waren breit und schauerhaft und die Haut war blau und glänzte wie das Meer selbst im Sonnenlicht. So klein wie ein Spielzeugboot hing das Schiff in ihren Haaren und mit einer gewaltigen Hand zog sie es daraus hervor. Menschen hielten sich verzweifelt an der Reling fest, um nicht ins Wasser viele dutzend Schritt unter ihnen hinabzustürzen, als sie es zur Seite kippte und betrachtete wie ein kleines Kind ein neues Spielzeug. Eine Art Lächeln verzog die unmenschlichen Gesichtszüge und dann plötzlich schoss ihr Blick zu dem zweiten Schiff in ihrer Nähe.

      Kalte Furcht und Entsetzen schossen durch Leéns Magen und sie wollte schreien, aber kein Laut entrang sich ihrer Kehle. Die zweite gewaltige Hand hob sich aus dem Wasser und verdeckte die Sonne, sodass ein Schatten auf sie fiel. Sie waren schon recht weit gekommen und der Kapitän segelte nun so schnell, wie das kleine Schiff hergab, aber sie waren mit Sicherheit noch immer in Reichweite der gigantischen Gestalt. Wenn sie sie nun einfach in die Tiefe hinabdrückte … Als wäre sie unentschlossen, bewegte das Seemonster die Hand nach links und rechts und verwirrt betrachtete Leén das Wasser, das den blauen Arm hinablief und in wahren Wasserfällen zurück ins Meer fiel. Erst nach einem atemlosen Augenblick verstand Leén, dass sie winkte. Dieses riesenhafte Ungetüm einer Frau, dessen Gesicht man vielleicht am ehesten mit einem eingedrückten blauen Totenschädel vergleichen konnte, grinste breit, schaukelte das Schiffchen in einer Hand, auf dem noch immer die Besatzung schrie, und winkte ihnen nach.

      Fassungslos drehte sie sich zu Machairi, die Knie weich wie selten zuvor in ihrem Leben, um ihn zu fragen, was gerade geschehen war, doch sie war erneut kaum in der Lage, sich zu rühren. Da stand der schwarzgekleidete Mann seelenruhig, mit einem triefenden Messer in der Hand, und winkte zurück.

      Königskinder

      Hoheit strebt nach Perfektion. Eine einfache Regel, die die Grundfeste ihrer Welt setzte. Eine ermüdende Regel zweifellos, aber Koryphelia konnte nicht behaupten, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Sie war in eine Rolle hineingeboren worden, in der ihr nichts anderes übrig blieb, als das Beste aus ihrer Situation zu machen. Es hatte immer viele Regeln in ihrem Leben gegeben und sie hatte erst mit der Zeit gelernt, welchen sie sich fügen musste und welche sie biegen konnte.

      Das Leben der Menschen, die nun um sie herum waren, war anders. Auch hier gab es einen festen Regelkodex, ob sie es nun wussten oder nicht, aber es waren gänzlich andere Paradigmen. Koryphelia versuchte, sich anzupassen, erließ dem einzig netten Mädchen in ihrem Alter gerne die Höflichkeitsfloskeln und gab sich allergrößte Mühe, nicht das verwöhnte Prinzesschen zu sein, das sie alle in ihr sahen. Die Faust war die Impertinenz in Person und die Blinde war ein Enigma der Andersartigkeit. Das Harethimädchen, das man ihr als Rish vorgestellt hatte, schien immerhin ein gewisses Maß interpersoneller Kompetenzen aufweisen zu können. Wenn es zu den Männern der Gruppe kam, hatte die Prinzessin entschieden, freundliche Vorsicht walten zu lassen. Der Pyromane, der Om’falo in Brand gesteckt hatte, hatte sich glücklicherweise zurückgezogen und der Magier, der ihr seine kultivierte Höflichkeit allzu deutlich unter die Nase rieb, war schon ob seiner Natur mit Bedachtsamkeit zu behandeln. Der Messerdämon selbst – das stand außer Frage – hatte ein solch exzessives Maß an Stolz und Arroganz, dass sie gar nicht erst versuchen wollte, dem beizukommen. Bereits bei ihrer Entführung, die kaum die Bezeichnung verdiente, hatte sie gemerkt, dass dieser Mann seinen Ruf zu Recht genoss. Es war nicht davon auszugehen, dass er seine naturgegebene Fehlbarkeit vor irgendeinem Menschen eingestehen würde. Deshalb, und nur deshalb, saß die Prinzessin von Cecilia nun in ihrer Kajüte und hörte den Schreien von draußen zu.

      Koryphelia war von Natur aus mit einer gesunden Neugierde und einer gewissen Intelligenz gesegnet, die ihr Vater ihr nicht zutraute. Sie wollte wissen, was dort an Deck vorging und wollte gleichzeitig die Situation nicht noch schwieriger machen. Angestrengt hörte sie zu, versuchte zu verstehen und einzuschätzen was vorging. Es war wahrlich nicht besonders leicht, die gedämpften Geräusche durch die Bordwände hindurch zu vernehmen. Eindeutig war nur, dass Chaos ausgebrochen war und sie sich mit erhöhter Geschwindigkeit bewegten. Da hatte der Messerdämon wohl sein Zeichen gegeben. Immerhin schien der Kapitän in der Lage, Anweisungen zu befolgen. Menschen, die an ihre Rolle als Kommandant gewöhnt waren, schienen allzu häufig zu versessen, es zu behalten. Bei uneingeschränkter Aufrichtigkeit ging es ihr auch selbst so. Macht war ein Freund, dem man gar zu leicht verfiel.

      Die Schreie verklangen, wurden zu einem Echo in der Ferne und es wurde ruhig an Bord. Ebenso gut hätte das Schiff nun verwaist sein können. Keine Stimme drang an ihr Ohr, keine Schritte. Vorsichtig schob die Prinzessin die Tür ihrer Kajüte auf und schritt auf leisen Sohlen auf die Treppe zum Deck zu. Zu ihrer großen Erleichterung konnte sie nun doch wieder leise Schritte vernehmen. Keine Menschenseele begegnete ihr zwischen den Kajüten und bewusst vorsichtig schob sie die Luke einen Spalt auf, um einen Blick an Deck erhaschen zu können.

      Dort, unterhalb der Reling, zu Füßen des Dämons, lag ein Harethi auf dem Rücken und starrte mit Überraschung und Furcht in die Ferne und auf Machairi, der, die Hand zum Gruß gehoben, seine Aufmerksamkeit nicht auf den Prinzen gerichtet hatte. Der Mann, mit dem ihr Vater sie vermählen wollte, schien perplexer Reglosigkeit verfallen. An seiner Identität konnte allerdings kein Zweifel gehegt werden. Selbst wenn sie nie ein Porträt von ihm gesehen hätte, wäre spätestens die abenteuerlich geschnittene rote Kleidung ein eindeutiges Indiz gewesen. Was dachte sich der Verbrecher dabei, nun schon das zweite Monarchen-Kind an Bord festzuhalten? Fasziniert beobachtete Koryphelia, wie alle an Deck gebannt zurückblickten. Keine sinnvolle Erklärung wollte ihr einfallen, wie sie es geschafft hatten, dass das andere Schiff zurückblieb. Kanonen waren gefeuert worden und garstige Schreie hatten ihr Ohr erreicht. Dennoch schienen weder Schiff noch Besatzung zu Schaden gekommen zu sein, während die Verfolger fort waren. Welch seltsame Wendung.

      Erst als Machairi sich ihm zuwandte kam wieder Leben in den Prinzen. Mit einer schnellen Bewegung kam er elegant auf die Füße und die Prinzessin erwischte sich dabei, ihn ganz genau zu mustern. Dieser Mann sollte also ihr Gatte werden. Äußerlich, so musste sie zugeben, hätte sie sich nicht beschweren können. Zedian war ein hübscher junger Mann, wenn er auch etwas verschreckt dreinblickte. Die Sache, die das beobachtende Mädchen spontan am ärgsten störte, war jedoch das Alter ihres Versprochenen. Zwar war er jung genug, um sich guten Gewissens als junger Mann bezeichnen zu können, doch er war mit Sicherheit älter als die Diebe und der Schatten selbst, der ihn noch immer genaustens beobachtete. Koryphelia sollte an ihrem sechzehnten

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