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Deshalb wagen sie bestimmt keinen Frontalangriff. Mir ist allerdings schleierhaft, was sie sonst vorhaben könnten.«

      Drakonia wandert erneut umher und spricht ihre Gedanken laut aus.

      »Was sollten sie schon wollen? Sie planen sicher nicht, hierher vorzustoßen. Da muss ich dir widersprechen. So verblendet wird niemand sein, nicht einmal Raikas Tochter! Bevor Danrya nicht zu ihr gestoßen ist, vermutlich begleitet von einem schlagkräftigen Heer, werden sie nicht wagen, in das Gebiet der Triqueta einzudringen. – Owain, du musst unverzüglich sämtliche Wehrgänge meiner Burg besetzen! Schicke auch Truppen zu den Festungen der Hexenmeister! Parallel dazu beginnen wir sofort mit der Ausbildung weiterer Soldaten. Wenn ich an die letzten Kämpfe denke, werden wir vorsorgen müssen, um Verluste ausgleichen zu können.«

      Die Königin bleibt überlegend stehen und wendet sich an ihren Heerführer.

      »Ich möchte, dass du eine Spezialeinheit aufstellst. Nimm dafür die gefährlichsten Verbrecher, die in den Gefängnissen sitzen. Versprich ihnen, dass sie im Gegenzug begnadigt werden, wenn sie auf unserer Seite kämpfen. Ich will, dass sie als gefühlsarme Kampfmaschinen agieren. Die nötige Ausbildung überlasse ich dir.« Drakonia nickt zu diesen Worten. »Genau, so machen wir es. Sollten sie im magischen Feuer der Gegner untergehen, denn auch sie werden Zauberer einsetzen, ist es nicht schade um sie. Wir verlieren dann lediglich kriminelle Subjekte, die wir für ihre Arbeit in den Steinbrüchen durchfüttern müssen. Gelingt es dagegen, mein Reich zu verteidigen, tragen sie erheblich mehr dazu bei, als wenn sie die Befestigungen der Burgen mit Steinen sicherstellen. In diesem Fall werden wir den Männern die Reststrafe erlassen. Teile ihnen das mit!«

      »Ich werde buchstabengetreu euren Befehl umsetzen!«

      Owain verbeugt sich bis zur Erde und richtet sich mit leuchtenden Augen auf. In Gedanken überträgt er seinem Sohn Brendan bereits das Kommando über einen Teil des Heeres und ernennt ihn zum Stellvertreter. Diese Truppen sollen die Sicherung der Außengrenzen der Triqueta übernehmen. Sobald das Gebiet gesichert ist, wird er mit der Sondereinheit die weiteren Regionen Merions durchforsten, bis hinein nach Elduria.

      Owain ist nicht dumm. Er weiß, dass das Sonderkommando eine starke Hand benötigt, zumal es innerhalb kürzester Zeit aufgestellt wird. Das traut er weder seinem Sohn noch einem anderen seiner Untergebenen zu, auch nicht Gwydion. Er geht nicht davon aus, dass sich Runa und ihr Begleiter nach Grimgard wagen. Sie stellen vermutlich zuerst eine schlagkräftige Armee auf, bevor sie mit dieser gemischten Truppe aus Menschen und Elfen tiefer ins Königreich Merion vorstoßen. So würde er vorgehen, was durchaus einer gewissen Logik folgt. Zumindest aus Sicht eines Soldaten.

      »Eure Majestät. Auf ein Wort.«

      Creulon hat während Drakonias Rede einen wichtigen Aspekt betrachtet, der in ihren Überlegungen über den Einsatz von bewaffneten Kämpfern zu wenig berücksichtigt wurde. Es handelt sich dabei um die Anwendung von Zauberei, wie könnte es auch anders sein. Die Herrscherin wacht bei seinen Worten aus ihren Träumereien über siegreiche Schlachten auf und blickt den Magier erstaunt an.

      »Ich verlange, dass du Owain bei der Auswahl geeigneter Kandidaten für die Sondereinheit unterstützen wirst. Habe ich vergessen, das klar zum Ausdruck zu bringen?« Sie baut sich vor dem Zauberer auf, wobei sie wie ein einfaches Bauernmädchen ihre Hände in die Seiten stemmt. »Falls du dafür eine spezielle Anweisung erwartest, gebe ich sie dir gerne.«

      »Majestät!« Creulon beginnt mit wohlüberlegten Worten in gewohnter Weise zu sprechen. Sein unbewegliches Gesicht, umrahmt von langen, schwarzen Haaren, ist ruhig auf die Königin gerichtet. »Das Besondere des Gebiets der Triqueta sollte in die Überlegungen einbezogen werden!«

      Drakonias Augen verengen sich erstaunt. Wie konnte sie nur vergessen, dass möglicherweise Magie bei der Auseinandersetzung eine Rolle spielen wird. Ihr oberster Zauberer offenbar nicht. Sie bemerkt keine verräterische Regung seiner Miene. Sie betrachtet kurzzeitig das silberne Mondabzeichen am Kragen des schwarzen Umhangs seiner vorwiegend dunklen Kleidung, das alle Magier ihres Reichs tragen.

      »Das habe ich nicht übersehen. Welchen Vorschlag willst du diesbezüglich machen?«

      Sie spielt damit den Ball zu ihm zurück, ohne einzugestehen, die Möglichkeiten der Zauberei nicht genügend bedacht zu haben.

      »Da sehr geübte Hexenmeister auf den drei Burgen in eurem Auftrag das Gebiet der Triqueta beschützen, was natürlich ebenso Soldaten und deren Fähigkeiten einbezieht, können und müssen sie den besonderen, magischen Schutz aktivieren!« Creulon senkt seine Stimme zu einem Flüstern. Auch wenn er nicht glaubt, dass es einer der Bediensteten der Königin wagen würde, an Türen zu lauschen, geht er auf Nummer sicher. Drakonia tritt einen Schritt näher und lauscht seinen Vorschlägen. Schnell zieht ein teuflisches Grinsen über ihr Gesicht.

      »Die Idee ist ausgezeichnet, lieber Creulon. Ich stimme dir gewiss nicht zu, dass Runa wagen könnte, in diese Burg einzudringen, aber warum soll ich nicht vorsorglich die maximalen, magischen Möglichkeiten zu meinem Schutz einsetzen? Ich hatte zwar mit diesem Gedanken gespielt, fand ihn jedoch einer Herrscherin unwürdig. Da du mich jetzt darauf hinweist, bleibt mir wohl nichts anderes übrig. – Setze alle Zaubermittel ein, die deiner Meinung nach nötig sind. – Unabhängig davon werde ich Owain und den Soldaten meines Heeres die notwendige Aufmerksamkeit widmen. – Du kommst sicher ohne zusätzliche Anweisungen aus? Gut!«

      Das S-förmige Mal auf Runas linkem Unterarm beginnt zu kribbeln und weckt sie aus ihrem Schlaf. Sollte das ein Warnsignal sein? Es könnte auch damit zusammenhängen, dass sie augenblicklich in der Gestalt eines Kolkraben auf dem Querbalken einer Scheune hockt. Sie hat bis vor wenigen Sekunden tief und fest geschlafen und zieht alarmiert ihren Kopf unter dem Flügel hervor. In dem Gebäude glimmt auf dem Boden der Rest eines Feuers, das der Magier entzündet hatte, um sich und die Begleiter zu wärmen. Da Heu leicht entzündbar ist, hatten sie einen Ring aus Feldsteinen errichtet, in dessen Mitte die Holzscheite geschichtet worden waren. Diese hatten sie sorgsam aus einem Vorrat ausgewählt, denn brennendes Nadelholz hätte durch Funkenflug womöglich die Steinbarriere überwinden können. Die drei Soldaten und der Zauberer wärmten sich dankbar an dem lustig flackernden Feuer. Sie verfluchten den Auftrag, auf einer gedachten Linie Richtung Grimgard zu ziehen. Creulon schärfte das dem Magier ein, da er die Meinung vertritt, die Gesuchten würden Drakonias Festung zum Ziel haben. Das hatten Dragon und Runa voller Staunen der Unterhaltung entnommen, bevor sich die Männer um das Feuer legten und einschliefen.

      Weshalb das Mädchen mit klopfendem Herzen aufwachte, ist ihm ein Rätsel. Sollte das Mal auf seinem Arm der Grund sein? Die Augendeckel sind weit geöffnet und der Rabenkopf dreht sich in alle Richtungen. Runa hüpft sogar einmal hoch, um auch hinter sich blicken zu können. Die Bewegung führt dazu, dass Dragon ein unwirsches Kollern von sich gibt. Sofort fordert Runa von ihm, leise zu sein.

      »Wa… was ist denn los?«, sendet der verschlafen zurück. Gleichzeitig zieht auch er den Kopf unter dem Flügel hervor. »Werden wir angegriffen? Da sollte ich lieber meine Drachengestalt …«

      »Nein, bleib bitte wie bisher ein Kolkrabe«, fordert sie. Dann berichtet sie von ihrem Gefühl, das sie aufweckte.

      »Das ist mehr als seltsam«, grübelt er. »Ich weiß von Moira, dass das Mal dich als Drachensucherin ausweist. Ich habe dir auch gezeigt, wie es reagiert, wenn ich in der Drachensprache fordere, dass es sein Geheimnis offenbaren soll. Das wirkt ähnlich wie dein Aperio-Zauber, mit dem Atropaias Nachricht in dem angeblichen Kochbuch für dich lesbar wurde. – Sollte doch noch mehr Magie hinter dem Symbol stecken?«

      »Ich bin mir unsicher. Womöglich liegt das daran, dass ich meine Gestalt geändert habe.«

      »Oder dein Bein, ach nein, in diesem Fall ist es eher dein linker Flügel, ist eingeschlafen. War es ein Kribbeln, wie es entstehen würde, wenn das Blut abgedrückt war und wieder zu zirkulieren beginnt?«

      »Nein, das war es sicher nicht. Außerdem läuft mir gerade jetzt zusätzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken. Schau mich nur an, ich habe das Gefühl, als würden sich alle Federn aufplustern!«

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