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scheint noch dadurch erschwert worden zu sein, daß der Vater stolz auf die von ihm selbst ererbte Begabung der Tochter war, auf die Einfälle, mit denen sie schon früh in seinem ausgewählten Gesellschaftskreis Aufsehen erregte. Seine eigene glänzende Intelligenz und sein scharfer Witz machten ihn und seinen Salon gesucht; und in der Tochter wollte er eine Verstärkung seines eigenen Einflusses gewinnen. Rahel sagt selbst, daß sie bis zu ihrem vierzehnten Jahr witzig war und sich so in ihrem jüdischen Kreise mißliebig machte – eine Aeußerung, die darauf schließen läßt, daß sie auf anderer Kosten witzig gewesen ist. Mit dem Eintritt der Jugend begann vermutlich ihre bewußte Kritik der Art, wie der Vater seinen Witz gebrauchte, und damit auch der stumme oder offene Kampf nicht nur zwischen ihren Willen, sondern zwischen ihren Seelen. Er wollte die Tochter nach seinem eigenen Bilde prägen, dem Bilde eines äußerlichen glänzenden Gesellschaftsmenschen.

      Aber gerade diese Umformungsversuche dürften Rahels Selbstbewußtsein geweckt haben, sowohl was die Versuchungen betrifft, denen sie widerstehen mußte, wie das Ideal dem sie nachstreben wollte. Der Abscheu, den der Vater und sein ganzes Wesen ihr einflößte, tilgte jede Möglichkeit der Eitelkeit und Oberflächlichkeit aus und wendete ihren Sinn nach innen, in der Ueberzeugung, daß sie nur auf einsamen Pfaden ihr eigenstes Ich finden und bewahren konnte.

      Goethe bemerkt irgendwo, daß »Beharrlichkeit« und »Unmittelbarkeit des Zweckes« Eigenschaften sind, die man auch bei dem geringsten Juden findet. Wenn sich diese Eigenschaften mit einem reichen Persönlichkeitsstoff verbinden, dann bewirken sie jene Einheitlichkeit, Ganzheit, Geschlossenheit, die Rahel bei sich selbst – wie andere bei ihr – als das erkennt, was sie von anderen Menschen in nachdrücklichster Weise unterscheidet »Mein ganzes Leben lang habe ich mich nur für Rahel gehalten und für nichts anderes«, sagte sie, als sie einmal ihre Verwunderung über die Aufmerksamkeit ausdrückte, die man ihr während einer Krankheit erwies.

      Aber sie wurde Rahel in jenem »Schmelzofen der Betrübnis«, aus dem ihre Persönlichkeit wie in Bronze gegossen und ihr Wille wie gehärteter Stahl hervorging.

      Rahel nennt es eine Gottesgabe, daß sie immer weiß, was sie will, obgleich sie trotz ihrer Willensstärke »überdummt und überschrieen und überhandelt« worden ist – etwas, was doch nur von dem Peripherischen in ihrem Dasein gilt.

      Ihre Willensstärke hielt sie nicht nur trotz ihrer Kränklichkeit aufrecht, sondern verzehnfachte ihre Kräfte, wenn sie für andere benötigt wurden, z. B. als Krankenpflegerin. Aber auch einen anderen im täglichen Leben bedeutungsvollen Zug hatte sie von ihrer Rasse: die Sachlichkeit, Geistesgegenwart und Organisationsgabe, die ihr Macht über die stets mit dem Chaos drohende Mannigfaltigkeit der kleinen Aufgaben des Alltagslebens gab. Dieser rasche, zweckmäßig handelnde Wirklichkeitssinn, der das Geheimnis der Erfolge der jüdischen Rasse bildet, wird durch Rahels reiches Gemüt bei ihr zu einer segensbringenden Ausstrahlung eines ewig frischen »aus lauter wahrem Sein geformten Lebens«, wie Varnhagen sich ausdrückt. Diese Eigenschaften machten sie nicht nur gut, sondern wirklich hilfreich. Diese organische Verbindung von Wirklichkeitssinn und Mystik finden wir überall wieder, wo die Mystik tief ist. Ja, ist sie nicht sozusagen der wahre Religionsstifterzug, und hat nicht auch zum Teil darum der Orient der Welt alle großen Religionen gegeben?

      Die germanische Natur und Kultur, in der Rahel aufwuchs, trug ganz gewiß dazu bei, ihr Wesen zu vertiefen, ihm eine größere Mannigfaltigkeit zu geben. Aber das Unbändige ihrer Eigenart, ihr unauslöschliches Feuer, ihr blitzschneller klarer, Blick, ihre tiefe Grübelsucht, die Schärfe ihrer Analyse, die Wildheit ihrer Verzweiflung, der Jubel ihrer Dankbarkeit, all dies ist morgenländisch, so wie der Psalter und der Prediger Salomo es ist.

       * * *

       Nach dem Tode des Vaters, 1789, gestaltete sich Rahels Leben leichter. Von den täglichen Qualen befreit, wurde sie wie durch eine »glückliche Revolution« auch gesünder. Ihre Freude an jugendlichen Vergnügungen erwachte; sie lernte sogar tanzen – aber hatte bald vom Tanz als Gesellschaftsvergnügen genug. In ihrer »Dachstube« im väterlichen Hause hatte sie reichlich Zeit und Ruhe für ihre innere Entwicklung, aber im Familienkreise bestand z. B. die vom Vater auf die Brüder übergegangene Autorität über die weiblichen Mitglieder der Familie noch fort, eine Autorität, die für Rahel namentlich in Geldfragen sehr drückend war, Fragen, in denen außerdem der Sparsamkeitssinn der Mutter im täglichen Leben sich noch unangenehmer fühlbar machte als der Erwerbssinn der Brüder.

      Die Mutter scheint eine unbedeutende, durch die Tyrannei des Mannes gebrochene und schwermütig gewordene Frau gewesen zu sein, bei der Rahels Wesen kein Verständnis fand. Von den Geschwistern scheint die Schwester Rose in einem herzlichen Verhältnis zu Rahel zu stehen, doch ohne tiefere Seelengemeinschaft. Eine solche verband sie hingegen mit dem jüngeren Bruder Ludwig – ihrem »Herzensbruder« – der, selbst Schriftsteller, Rahels Verkehr mit der jungen Dichterwelt Berlins vermittelt. Die älteren Brüder, Moritz und Markus, gehen hingegen in der ökonomischen Interessensphäre auf; und obgleich sie sich in dieser Beziehung gegen die Schwestern gut benehmen, ist doch die innere Gemeinschaft gering.

      Und Rahel scheint darauf gefaßt zu sein, im Familienkreise kein Verständnis zu finden. Was sie verlangt, ist, daß man sie in Frieden läßt. Aber wie gewöhnlich sehen Mutter und Geschwister, auch nachdem Rahel die berühmte Rahel geworden ist, in ihr nur die Tochter und Schwester, auf deren jüdischstarke Familienliebe sie stets rechnen konnten, wenn sie in Krankheit oder Mühe, Kummer oder Unruhe ihrer bedurften. In der Zwischenzeit fühlt sie sich übersehen, getadelt, überstimmt, mißverstanden. Die Verwandten ermahnen oder mißbilligen Rahel mit jener Unzartheit, die Familienglieder noch heute als das unbestreitbare Familienprivilegium betrachten. Einem Freunde gegenüber spricht Rahel sich ans: »Ich bin krank durch Gêne, durch Zwang, solange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung ... Mein ewiges Verstellen, meine Vernünftigkeit, mein Nachgeben verzehren mich; ich halte es nicht mehr aus, und nichts und niemand kann mir helfen.«

       ... »Kein Schlag, kein Stich, kein Nagel und kein Stachel blieb mir erspart,« sagt sie in diesem Zusammenhang.

       Es ist anzunehmen, daß Rahel wie die meisten starken Naturen solange als möglich duldete, bis sie – aus irgend einem für die übrigen unbedeutenden Anlaß – aufbraust. Sie sagt selbst: »Wenige sind explosiver als ich: zurückhalten kann ich es lange, aber früher oder später kommt es hervor.« Es ist wahrscheinlich, daß sie gegen die Ihren – wie gegen Varnhagen – heftig, ungleich und überempfindlich in Fragen sein konnte, in denen sie doch im Innersten Recht hatte. Sie besaß eben wie andere les défauts de ses qualités.

      Im großen ganzen zeigt sie durch die Tat, wie tief ihr Familiengefühl ist. Sie schreibt an die Ihren: »Teil' ich Euch nicht alles mit? Ruhe ich eher, eh' Ihr Intellektuelles, Angenehmes, Geselliges, alles habt, was ich nur erreichen konnte; hab' ich je ich, nicht immer wir gesagt? Und Gott weiß, wie ewig gedacht. Ich bin kein stockiger Selbstler, sondern ein freudiger, empfindlicher Lebensverbreiter.«

      Rahel hat das Bedürfnis anzubeten, zu Menschen aufzusehen.

      »Ich kann nicht über ihn sprechen – denn ich kann nur gerecht sein«, äußert sie sich einmal. »Bei meiner Natur habe ich mich genug gerächt, wenn ich nicht mehr lieben kann.« Sie ist immer von Anfang an gläubig. »Es gehört zu meinen achtungswerten Dummheiten, die Leute immer ernst zu nehmen«, sagt sie. »Meine einzige Eigenschaft ist, die Dinge im Großen sehen zu können, mein einziger Reiz – und einziger Leichtsinn – mich selbst zu vergessen«, schreibt sie ein andermal. Und diese Eigenschaften konnten auch ihre Nächsten mitgenießen. Aber gerade ihre Eigenschaft der »Lebensverbreiterin« mißfiel vor allem der ängstlichen und kleinlichen Mutter, die eine kühle und dumpfe geistige Atmosphäre um sich verbreitete. Rahels Liebe zu den Ihren war, was sie selbst »Faserliebe« nennt, das Gefühl, das die Natur mit den Fibern unseres Wesens verwebt, und das auch noch dann seine Stärke bewahrt, wenn man kaum mehr einen Gedanken gemeinsam hat. Zeit, Kräfte, Geld, Vergnügen kann sie für ihre Familie opfern, wenn es nötig ist; und alle ihre wirklichen Interessen gehen ihr »durch und durch ins Herz«.

      Aber der Kleinlichkeit und Engherzigkeit will sie nicht nachgeben. Der nähere wie der weitere Familienkreis ließ sich von dem Gesichtspunkt bestimmen,

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