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dadurch zugleich die jüdische Kultur förderte; Berusia, die auf dem Gebiete des Denkens, Rebekka Tiktiner, die auf dem der Schriftstellerei und Sarah Copia Sullam, die auf dem der Dichtung selbständig tätig waren. Aber erst zur Zeit der jüdischen Berliner Salons zeigt sich die rasche Empfänglichkeit der jüdischen Frau für eine Kultur mit anderen Aufgaben als die rein jüdischen. Es zeigte sich, daß » die Saat auf einen ganz neuen, jungfräulichen Boden gefallen war« Henriette Herz. Wo dies der Fall ist – Rußland, Amerika geben Illustrationen zu diesem Satz – sieht man stets ein Sichhinwegsetzen über überlieferte Formen, einen Mangel an Tradition im wertvollen Sinn des Wortes, während diese Nachteile von anderen Vorzügen aufgewogen werden.

      Bei der jüdischen Jugend zeigten sich sowohl die erwähnten Nachteile wie die Vorzüge, nämlich Bildungseifer, geistige Regsamkeit und zuweilen große und tiefe Originalität.

      Namentlich die jüdischen Frauen, die mehr Zeit und Ruhe hatten als die jüdischen Männer, entwickelten in ihren geistigen Interessen eine Leidenschaft und eine Geschmeidigkeit, der jedoch nicht immer eine entsprechende Eigenart zur Seite stand. Eine solche fand sich wohl bei manchen dieser Jüdinnen, andere hingegen wirkten nur durch Eigenschaften ihrer Rasse originell. Alle standen sie in eigentümlicher Weise unter dem Druck jenes orientalisch-patriarchalischen Despotismus, der noch heute in vielen Familien herrscht und zwar um so mehr, je mehr man sich der östlichen Grenze Europas nähert.

      Die jungen jüdischen Mädchen Berlins erhielten durch ihre verheirateten Freundinnen Gelegenheit zu Lektüre, Studium, Verkehr, wie sie das eigene Elternhaus vielleicht nicht bot. Andererseits empfingen sie Eindrücke der Freiheitsgedanken der Zeit und ihrer feinsten Kultur. Sie lasen Voltaire, Shakespeare und Tasso in der Originalsprache; sie schwelgten in der zeitgenössischen deutschen Literatur, sie wurden feurige Goethebewunderinnen. Der ganze geistige Hunger, der Generation für Generation in ihrem Volke stark geworden, konnte jetzt endlich gestillt werden. Sie lebten in einer Zeit, die ihre Farbe und Form von großen Geistern und großen Ereignissen empfing, und ihre Entwicklung wurde wesentlich durch ihre eigene Zeit, nicht mehr durch tausendjährige Traditionen bestimmt. Die Widerstandsfähigsten und Stärksten – wie Dorothea Mendelssohn – formen das Schicksal um, das die väterliche Gewalt ihnen aufgezwungen; und die soziale und intellektuelle Emanzipation, die ihnen unbewußt als eine Folge der Zeit zuteil geworden, wird nun von ihnen selbst auf den tiefstpersönlichen Gebieten bewußt weiter verfolgt.

      Henriette Herz – in gewissem Sinne Rahels Nebenbuhlerin im Berliner Gesellschaftsleben – bezeugt, daß die so neuerwachte jüdische Frauenseele in ihrer »höchsten Blüte« in Rahel verkörpert war.

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      Rahel besaß die Grundzüge, die die großen Geister ihres Volks auszeichnen: eine tiefe Sehnsucht nach unmittelbarem Leben in Sonne und Glanz, in Glut und Leidenschaft und eine ebenso tiefe Sehnsucht nach Wüstenstille, um über das Leben, seine Wege und Ziele nachzugrübeln. Die geistige Energie, die in ihrer nach außen gerichteten Betätigung durch Unterdrückung gehemmt war, hatte sich bei Rahel – wie bei ihrem Volk – nach innen gewendet Rahel war durch ihr Selbstdenken und ihre Freiheitsleidenschaft den Frauen ihrer Zeit weit voraus, den jüdischen wie den europäischen. Aber im Zusammenhang mit der Entwicklung des Ganzen gesehen, ist Rahel typisch für die große Freiheitsbewegung, die noch heute vor sich geht, die Bewegung, die aus dem weiblichen Geschlechtswesen die vollmenschliche Persönlichkeit entwickeln will. Welche Summen von Kraft dieser Freiheitskampf jede einzelne gekostet hat das zeigt uns Rahel.

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      In den unzähligen bewundernden Urteilen, die ihre Zeitgenossen über Rahel fällten, wird – was uns in diesen Zeiten des Antisemitismus beinahe unfaßbar vorkommt – ihrer Rasse kaum Erwähnung getan.

      Aber es scheint, daß der Humanismus dieser Zeit so tief war, daß die Rassenfrage zwischen Gebildeten alle Bedeutung verloren hatte. Oder stellte vielleicht Rahels eigene große Persönlichkeit sie außer und über alle gewöhnlichen Gesichtspunkte, die man sonst ihrem Volke gegenüber einnahm? Oder traten bei diesem die Lichtseiten mehr und die Schattenseiten weniger hervor als in unseren Tagen? Mag nun einer dieser Gründe oder alle zusammen ihre Zeitgenossen veranlaßt haben, sie nur als eine ebenso frei wie einzig dastehende Persönlichkeit zu sehen – gewiß ist, daß diese Betrachtungsweise sie selbst nicht von dem Leid befreite, dem solange ausgestoßenen und verachteten Volk anzugehören, um so mehr als sie – wie andere feinorganisierte Juden – doppelt unter all den Folgen litt, die diese Vorgeschichte im Volke selbst hinterlassen hat. Jedes Vorurteil, jede Unfeinheit, jede Niedrigkeit, die ihr in ihrer Umgebung entgegentrat, quälte sie tiefer, als wenn sie ähnlichen Dingen anderswo begegnete. »Ich habe eine solche Phantasie, als wenn ein außerirdisch Wesen, wie ich in diese Welt getrieben wurde, mir beim Eingang diese Worte mit einem Dolch ins Herz gestoßen hätte: ›Ja, habe Empfindung, sieh die Welt wie sie wenige sehen, sei groß und edel, ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, eins hat man aber vergessen: sei eine Jüdin!‹ Und nun ist mein ganzes Leben eine Verblutung. Mich ruhig halten kann es fristen; jede Bewegung, sie zu stillen, neuer Tod; und Unbeweglichkeit mir nur im Tode selbst möglich. Diese Raserei ist wahr, ist zu übersetzen. Lächeln Sie oder fühlen Sie Tränen aus Mitleid, ich kann Ihnen jedes Uebel, jedes Unheil, jeden Verdruß da herleiten.«

       »Wie ekelhaft herabziehend, beleidigend, unsinnig, niedrig meine Umgebungen, denen ich nicht entfliehen kann; ein einziges Besudeln, eine Berührung macht mich schmutzig, stört meinen Adel. Dieser Kampf dauert ewig! Alles, was mir Schönes im Leben begegnet, geht mir fremd als Besuch vorüber, und mit Unwürdigen soll ich unerkannt leben müssen!«

       Im Zusammenhang mit dieser ungeheuren Empfindlichkeit muß man Rahels spätere Worte verstehen, daß »ganze Vegetationen« in ihr von »Eltern, Geschwistern, Freunden und Freundinnen und elenden Geliebten« verwüstet worden seien.

      Daß Rahel ihrer Abstammung alle Leiden zuschrieb, die sie trafen, ist nur in einem tieferen Sinne berechtigt, als Rahel es meinte. Von außen gesehen, ist kaum mehr als ein Schmerz in ihrem Leben – und auch dieser nur teilweise – dadurch verursacht, daß sie eine Jüdin war: der Bruch ihrer ersten Verlobung.

      Aber das Entscheidende ist, daß Rahels Blut das Blut einer jüdischen Frau ist, und daß dieses Blut nicht nur stark durch die höchsten Kräfte der Rasse war, sondern auch schwer durch ihr tiefstes Unglück.

      Jakob Wassermann, der rassebewußteste jüdische Dichter der Gegenwart, hat in einem Essay »Der Tag«, 24. März 1904. dargelegt, daß »die wehmütige Inbrunst und quälerische Schüchternheit«, unter der Rahel selbst leidet, ihr als dem Urbilde der modernen Kulturjüdin eigen ist; daß die Menschenliebe durch ein geheimnisvolles Schuldgefühl vertieft ist, daß Begeisterung bei ihr zur Ekstase wird, daß das Uebermaß ihr Maß ist, daß ihre Hingebung eine Glut hat, die den Gegenstand ganz umschließt, ja, mit ihm verschmilzt; daß der Mangel an Sicherheit und Gleichgewicht, die nervöse Unruhe, das Abrupte für die Kulturjüdin typisch ist. Rahel hat wahrscheinlich in ihrem Auftreten etwas von jener Unausgeglichenheit gehabt, obschon ihr innerstes Wesen im Gegensatz dazu stand.

      Wassermann betont mit Recht diese Schwächen der jüdischen Frauen. Ich habe doch öfter Gelegenheit gehabt, ihre Vorzüge zu bewundern.

      Ein jeder kennt – und viele anerkennen – die Verstandesbegabung, die Schaffenskraft, den Wissensdurst des jüdischen Volkes, seine ausdauernde, zielbewußte Energie. Aber allzuwenig spricht man von dem Zuge, der doch dem, der jüdische Frauen und Männer aus nächster Nähe gesehen hat, am charakteristischesten erscheint: von der Liebeskraft, dem Brüderlichkeitssinne, der Hilfsbereitschaft, der Opferwilligkeit

      Nicht zufällig ist Jesus aus dem jüdischen Volk hervorgegangen. Man sucht jetzt zwar den Beweis zu erbringen, daß er ein Arier gewesen sei, aber für den, der wie ich seine Eigenschaften häufiger bei Juden als bei Germanen gefunden hat, hat eine solche Hypothese keinerlei Wahrscheinlichkeit

      Rahel besaß alle Vorzüge ihrer Rasse, aber in besonders hohem Grade die zuletzt genannten. Das tiefe, heiße morgenländische Gemüt, das leidenschaftliche Blut bekundete sich besonders in ihrer großen Liebe, die wie jede solche bei der ersten Begegnung entstand und in ihr Wesen so eingriff

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