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Cosettens Mutter fort war, sagte Thénardier zu seiner Frau:

      »Nun kann ich die hundert und zehn Franken bezahlen die morgen fällig werden. Es fehlten mir noch fünfzig Franken. Der Wechsel wäre mir faktisch protestirt worden, und wir hätten den Exekutor auf den Hals gekriegt. Die kleine Maus hast Du gut geködert mit deinen Jöhren.«

      »Ohne mir was dabei zu denken,« entgegnete die Frau.

      II. Erste Skizze zweier verdächtiger Gestalten

      Es war ein armseliges Mäuschen, das sie da gefangen hatten! aber eine Katze freut sich auch über einen magern Fang.

      Was waren die Thénardiers für Leute?

      Entwerfen wir in kurzen Umrissen ein Bild von ihnen. Wir werden es in der Folge des Näheren ausführen.

      Diese Wesen gehörten zu jener Zwitterart von Menschen, die aus ungebildeten Emporkömmlingen und heruntergekommenen gescheidten Leuten zusammengesetzt ist, zwischen dem sogenannten Mittelstande und den unteren Volksschichten steht und einige Fehler der letzteren mit fast allen Lastern des ersteren verbindet, ohne die gutherzigen Regungen des Arbeiters, noch die Ordnungsliebe der wohlhabenden Klassen zu bekunden.

      Die Thénardiers waren sittlich unentwickelte Naturen, die unter dem Stachel irgend einer bösen Leidenschaft der ungeheuerlichsten Verbrechen fähig werden. Die Frau war mehr roh und dumm, der Mann mehr Lump und Gauner. Alle Beiden konnten es auf dem Wege, der zur Vollkommenheit im Schlechten führt, sehr weit bringen. Es giebt eben Krebsseelen, die beständig rückwärts gehen, nach der Finsterniß hin, die ihre Erfahrungen nur dazu benutzen, um ihre moralische Verkrüppelung noch zu vermehren und allmählig immer nichtswürdiger zu werden. Zu diesen Naturen gehörten auch die Thénardiers, Mann und Frau.

      Er war eine ausnahmsweise unangenehme Erscheinung für den Physiognomiker. Manche Menschen braucht man blos anzusehen, um Mißtrauen gegen sie zu fassen, ein Mißtrauen, das sich nach zwei Seiten hin erstreckt, auf ihre Vergangenheit und auf ihre Zukunft. Ihre Blicke, ihre Gebärden zeugen davon, daß sie schlimme Handlungen hinter und vor sich haben.

      Thénardier war, wenn man seinen Angaben Glauben schenken durfte, Soldat gewesen und hatte es bis zum Sergeanten gebracht. In dem Feldzuge des Jahres 1815 sollte er sich sogar besonders ausgezeichnet haben; aber wir werden später auseinander setzen, wie sich die Sache in Wirklichkeit verhielt. Eine seiner Waffenthaten war auf seinem Aushängeschild dargestellt. Er selber hatte das Bild gemalt, denn er verstand von Allem ein wenig, aber Alles schlecht.

      Es war damals die Zeit, wo die Romanlitteratur, die sich einst eines Meisterwerks wie »Clölia« rühmen konnte, sich zu nichts Besserem als zu einer »Lodoiska« emporgeschwungen hatte, in der das Scepter von Fräulein von Scuderi und Frau von Lafavette auf Frau Bournon-Malarme und Frau Barthélemy-Hadot übergegangen war und sich dem Niveau des Volkes angepaßt hatte. In dieser Gestalt entflammte der damalige Roman: »Die liebesbedürftigen Seelen der pariser Portierfrauen« und richtete sogar in den angrenzenden Ortschaften arge Verwüstungen in Frauenhirnen an. Auch Frau Thénardier war gerade gescheidt genug, dergleichen Bücher zu lesen. Sie lebte und webte in diesem Unsinn, tauchte ihr bischen Verstand ganz darin unter und erschien in Folge dessen, so lange sie jung war und noch einige Zeit darüber hinaus, als eine sinnige Natur im Vergleich mit ihrem Manne, einem zugleich rohen und pfiffigen Halunken mit einer gewissen Kombinationsgabe und der auch eine gewisse Bildung besaß, es aber in Bezug auf Sentimentalität nur bis zu Pigault-Lebrun's Anschauungen gebracht hatte und sich dem schönen Geschlecht gegenüber immer nur als ein vollendeter Knote betrug. Seine Frau war zwölf bis fünfzehn Jahre jünger, als er. Später aber, als ihre romantischen Schmachtlocken zu ergrauen anfingen, als sich aus einer Pamela eine Megäre entwickelte, war die Thénardier nur noch ein dickes, bösartiges Weibsbild, das sich an dummen Romanen erbaut hatte. Aber Albernheiten ließ man nicht ungestraft. Die Folge bei der Thénardier war, daß ihre älteste Tochter Eponine hieß. Die jüngste wäre beinahe von dem Unglück befallen worden, Gulnare getauft zu werden; glücklicher Weise bewirkte aber ein Roman von Ducray-Duminil eine Ablenkung zu Gunsten des armen Dinges, so daß es mit dem Namen Azelma davon kam.

      Beiläufig gesagt war aber nicht Alles lächerlich und oberflächlich an dieser eigentümlichen Zeitepoche, die sich durch die Anarchie der Taufnamen charakterisirt. Neben dem so eben angedeuteten romantischen Element tritt ein andres auf, das symptomatisch ist für gewisse soziale Umwälzungen. Es ist heutzutage nicht selten, daß Ochsenjungen sich Arthur, Alfred, Alfons nennen, und Vicomtes – falls man solche Vicomtes noch sprechen kann, sich an dem simpeln Namen Thomas, Pierre, Jacques begnügen lassen. Diese Verbindungen der »feinen« und der plebejischen Taufnamen verdankt man dem neuen Gleichheitsdrange, dessen unwiderstehlicher Hauch jetzt alles durchweht. Auch diesem scheinbaren Mißklange liegt etwas Großes zu Grunde, die französische Revolution.

      III. Die Lerche

      Es gehört noch etwas mehr dazu als bloße Niederträchtigkeit, wenn man auf einen grünen Zweig kommen will. Die Gastwirtschaft ging mehr und mehr zurück.

      Dank den siebenundfünfzig Franken, die Fantine hergegeben hatte, war es Thénardier geglückt dem Protest zu entgehen und seinen Wechsel zu honoriren. Den nächsten Monat brauchten sie wieder Geld, und Frau Thénardier versetzte deshalb in Paris Cosettens Ausstattung für sechzig Franken. Sobald dies Geld ausgegeben war, gewöhnten sich die Thénardiers daran in dem kleinen Mädchen nur ein Kind zu sehen, das sie aus Gnade und Barmherzigkeit bei sich behielten, und behandelten sie demgemäß. Nun sie keine Ausstattung mehr hatte, kleidete man sie in die alten Kleider und Hemden der kleinen Thénardiers, d. h. in Lumpen. Genährt wurde sie mit dem, was die Andern übrig ließen, ein wenig besser als der Hund und ein wenig schlechter, als die Katze. Die Katze und der Hund waren überhaupt des Kindes ständige Tischgenossen, denn Cosette aß wie sie unter dem Tisch aus einem hölzernen Napf, der den ihrigen ähnlich war.

      Ihre Mutter, die sich in Montreuil-sur-Mer niedergelassen hatte, schrieb oder ließ vielmehr jeden Monat einen Brief an die Thénardiers schreiben, um sich nach ihrem Töchterchen zu erkundigen. Sie erhielt regelmäßig denselben Bescheid: »Cosetten geht es recht wohl.«

      Nach dem Ablauf des ersten Halbjahres schickte die Mutter sieben Franken für den siebenten Monat und war überhaupt ziemlich pünktlich mit ihren Geldsendungen. Aber das Jahr war noch nicht zu Ende, als Thénardier eines Tages murrte: Das ist gerade was Rechtes, sieben Franken! Und er verlangte zwölf Franken. Die Mutter, der sie vorredeten, ihr Kind sei glücklich und gedeihe gut, fügte sich und zahlte das Verlangte.

      Gewisse Naturen können nicht auf der einen Seite lieben ohne auf der andern zu hassen. Mutter Thénardier liebte ihre beiden Töchter leidenschaftlich, konnte aber in Folge dessen die fremde Kleine nicht ausstehen. Wie traurig, daß Mutterliebe sich auf eine häßliche Weise äußern kann! So wenig Platz Cosette auch in dem Hause einnahm, die Thénardier glaubte, dieser Platz fehle jetzt ihren Kindern, die Kleine atme Luft, die ihren Töchtern zukäme. Wie viele Frauen ihres Schlages verfügte sie nur über ein bestimmtes Quantum Liebkosungen und über ein gleichfalls begrenztes Quantum Schläge und Scheltworte pro Tag. Hätte sie nicht Cosette gehabt, so wären alle Mißhandlungen, so abgöttisch sie ihre Töchter auch liebte, auf diese niedergeprasselt; so aber hatten diese das Glück, daß die kleine Fremde alle Schläge auf sich ablenkte, während sie nur die Liebkosungen einheimsten. Cosette mochte thun, was sie wollte, immer erweckte sie unbarmherzige Züchtigungen. Was mußte sich wohl das sanfte, schwache Geschöpfchen von der Welt und von Gott für eine Vorstellung machen, wenn sie ohne Unterlaß gescholten wurde und damit das sonnige Glück verglich, dessen sich die beiden andern Kinder erfreuten!

      Da die Mutter gegen Cosette niederträchtig war, so waren Eponine und Azelma es natürlich ebenfalls. Die Kinder sind in diesem Alter nur Abdrücke der Mutter, nur in kleinerem Format.

      So verstrich ein Jahr und dann ein zweites.

      Im Dorfe hieß es:

      »Was die Thénadiers für gute Menschen sind. Haben selber nichts und erhalten ein armes Kind, das man ihnen auf dem Halse gelassen hat!«

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