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Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Читать онлайн.Название Les Misérables / Die Elenden
Год выпуска 0
isbn 9783754173206
Автор произведения Victor Hugo
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Herr Valjean, nehmen Sie Platz und wärmen Sie Sich. Wir speisen sofort, und während der Essenszeit wird Ihr Bett zurecht gemacht.
Jetzt begriff der Vagabund. Auf seinem bisher finstern und grimmigen Gesicht war plötzlich eine unsagbare Verwundrung, Zweifel, Freude zu lesen. Mit einer Ueberstürzung, als wäre er irrsinnig geworden, stieß er die Worte hervor:
»Wahrhaftig! Sie behalten mich hier! Sie jagen mich nicht fort? Einen ehemaligen Sträfling? Sie sagen: Herr Valjean, nicht Du? Mach, daß Du fortkommst, Du Hund Du! So sagen sie immer zu mir. Ich glaubte wirklich, Sie würden mich rausjagen. Deswegen habe ich ja auch gleich gesagt, wer ich bin. Das ist mal eine gute Frau, die mich hierher gewiesen hat. Ich kriege was zu essen! Und ein Bett mit Matratze und Laken wie alle andern Leute! Ein Bett! Neunzehn Jahre habe ich in keinem Bett gelegen! Sie sagen nicht, daß ich wieder fortgehn soll. Ihr seid gute Leute. Aber ich habe Geld. Ich will alles richtig bezahlen. Verzeihung, Herr Gastwirt, wie heißen Sie? Ich bezahle, so viel Sie wollen. Sie sind ein braver Mann, Sie sind doch Gastwirt, nicht wahr?
»Ich bin ein Priester, der hier wohnt.«
»Ein Priester! Ein guter braver Priester! Dann verlangen Sie kein Geld von mir? Sie sind der Pfarrer von der großen Kirche da drüben? Nun natürlich! Jetzt erst sehe ich Dummkopf das Käppchen,«
Während seiner Rede hatte er Tornister und Stock in eine Ecke gestellt, den Paß wieder eingesteckt und sich gesetzt. Fräulein Baptistine betrachtete ihn mit freundlichen Blicken. Er fuhr fort.
»Sie sind menschlich, Herr Pfarrer, Sie haben keine Verachtung gegen mich. Wie gut das ist, so ein guter Priester! Also haben Sie's nicht nöthig, daß ich was bezahle?«
»Nein! Behalten Sie Ihr Geld. Wieviel haben Sie? Sagten Sie nicht hundertneun Franken?«
»Und fünfzehn Sous!«
Hundertneun Franken und fünfzehn Sous. Und wieviel Zeit haben Sie gebraucht, das zu verdienen?«
»Neunzehn Jahre!«
»Neunzehn Jahre!«
Der Bischof seufzte tief.
Der Fremde fuhr fort. Ich habe noch mein ganzes Geld. Seit vier Tagen habe ich nur fünfundzwanzig Sous ausgegeben, und die habe ich in Grasse verdient. Da wurden Wagen abgeladen und dabei habe ich geholfen. Da Sie Abbé sind, so muß ich Ihnen sagen, wir hatten auch einen Geistlichen im Gefängniß. Und einmal habe ich auch einen Bischof zu sehen gekriegt. So Einer, den Sie Ew. Bischöfliche Gnaden nennen. Er war aus Marseille. Das ist ein Pfarrer, der über den andern Pfarrern ist. Entschuldigen Sie, ich drücke mich schlecht aus, aber was versteht Unser Einer von so was! – Er hat die Messe gelesen, mitten im Bagno, vor einem Altar, er trug ein spitzes goldnes Ding auf dem Kopf. Das glänzte mal im Sonnenlicht: Wir waren an drei Seiten aufgereiht, uns gegenüber die Kanonen mit angezündeter Lunte. Wir konnten nicht gut sehn, er war zu weit ab, da hinten. Und was er gesagt hat; verstand man auch nicht. Das ist ein Bischof.«
Während er noch sprach, war der Bischof aufgestanden und hatte die offen gebliebne Thür zugemacht.
In demselben Augenblick kam auch Frau Magloire mit dem Gedeck wieder zurück.
»Möglichst nahe am Kamin!« befahl der Bischof. Und zu seinem Gast gewendet: »In der Nacht weht ein kalter Wind in den Alpen. Sie friert gewiß, Herr Valjean?«
Jedes Mal, wenn er mit seiner freundlichen Stimme das höfliche »Herr« aussprach, leuchtete es auf in dem Gesicht des Unglücklichen. Der Klang dieses Wortes wirkt auf einen Sträfling, wie der Anblick eines Glases Wasser, das man einem Verdurstenden darreicht. Wer in der Schande steckt, lechzt nach Achtung.
»Die Lampe leuchtet schlecht!« bemerkte mit einem Mal der Bischof.
Frau Magloire verstand den Wink, holte aus dem Schlafgemach Sr. Bischöflichen Gnaden die beiden silbernen Leuchter und stellte sie auf die Tafel.
»Herr Pfarrer,« sagte der Gast, »Sie sind recht gut. Sie verachten mich nicht. Sie stecken Ihre feinen Kerzen für mich an. Ich habe Ihnen aber doch nicht verschwiegen, wo ich herkomme, und daß ich ein elender Mensch bin.«
Der Bischof, der neben ihm saß, berührte sanft seine Hand. »Sie konnten es unterlassen mir zu sagen, wer Sie sind. Dies ist nicht mein Haus, sondern das Haus Jesu Christi. Wer hier herein will, den fragt diese Thür nicht, ob er einen Namen, sondern ob er einen Kummer hat. Sind Sie leidbedrückt, hungert und dürstet Sie, so sind Sie willkommen. Und danken Sie mir nicht, sagen Sie nicht, daß ich Sie in mein Haus aufnehme. Hier wohnt Niemand, außer wer einer Zufluchtsstätte bedarf. Ich sage Ihnen, Sie, der Sie hier vorbeigehen, haben mehr Anrecht auf den Schutz dieses Hauses, als ich selber. Alles, was hier ist, gehört Ihnen. Wozu brauche ich Ihren Namen zu wissen? Uebrigens haben Sie einen Namen den ich wußte, bevor Sie mir Ihren Namen nannten.«
Der Gast machte große Augen vor Verwundrung.
»Wahrhaftig? Sie wußten, wie ich heiße?«
»Ja, Sie heißen mein Bruder!«
»Hören Sie,« Herr Pfarrer, rief der Gast »Ich hatte gehörigen Hunger, als ich hier hereinkam, aber Sie sind so gut, daß ich – ich weiß nicht, wie das kommt, meinen Hunger nicht mehr fühle.«
Der Bischof sah ihn an und fragte:
»Sie haben wohl viel Schlimmes durchgemacht?«
»Ach ja! In der rothen Jacke, die Kanonenkugel am Bein, ein Brett zum Schlafen, Hitze, Kälte, Arbeit, Stockschläge. Eine doppelte Kette, wenn man so gut wie gar nichts verbrochen hatte. In die Einzelzelle, wenn man mal ein Bischen aufmuckte. Auch im Bett noch, wenn man krank war, behielt man die Kette. Die Hunde, die Hunde sind glücklicher. Neunzehn Jahre lang. Ich bin sechsundvierzig Jahre alt. Und jetzt zu guter Letzt der gelbe Paß. Ja ja!«
»Ja, Sie kommen aus einem Ort des Jammers. Hören Sie auf meine Worte. Es wird im Himmel mehr Freude herrschen über die Thränen eines reuigen Sünders, als über das weiße Gewand hundert Gerechter. Wenn Sie aus jenem Ort des Leidens mit Gedanken voll Haß und Groll gegen die Menschen kommen, so sind Sie zu bemitleiden; hegen Sie aber Gedanken des Wohlwollens, der Sanftmuth und der Friedfertigkeit, so sind Sie ein besserer Mensch, als der Beste von uns.«
Währenddem hatte Frau Magloire das Essen aufgetragen. Eine Suppe bestehend aus Wasser, Oel, Brod und Salz; etwas Speck, ein Stück Hammelfleisch, Feigen, frischer Käse, und ein großes Roggenbrod. Außerdem hatte sie aus eignem Antrieb eine Flasche alten Mauves spendirt.
Bei diesem Anblick überflog plötzlich die Züge des Bischofs jene Vergnügtheit, die gastfreundlichen Menschen eigen zu sein pflegt. »Zu Tische!« kommandierte er lebhaft. Er lud, wie er zu thun pflegte, wenn er einen Gast zu Tische hatte, den Vagabunden ein zu seiner Rechten Platz zu nehmen, und Fräulein Baptistine setzte sich ruhig und unbefangen links von ihm.
Dann sprach der Bischof das Tischgebet und schöpfte seiner Gewohnheit gemäß die Suppe aus. Der Gast fiel gierig über seinen Teller her.
Plötzlich bemerkte der Bischof: »Mich dünkt, es fehlt irgend etwas auf dem Tische.«
In der That hatte Frau Magloire nur die drei durchaus nothwendigen Bestecke auf die Speisetafel gelegt. Wenn aber der Bischof einen Gast hatte, so war es der Brauch des Hauses, daß die sechs silbernen Bestecke auf dem Tische prangen mußten. Diese kindliche Prahlerei mit einem so bescheidnen Luxus muthete angenehm an in diesem Hause, wo die Armuth für wohlanständig galt.
Frau Magloire verstand die Bemerkung des Bischofs, ging ohne ein Wort zu sagen hinaus und alsbald erglänzten auf dem Tischtuche die drei andern Bestecke.
IV. Über die Käsereien in Pontarlier
Damit man sich eine Vorstellung machen könne, wie es an dieser Tafel herging, wollen wir eine Stelle aus einem Briefe von Fräulein Baptistine an Frau von Boischevron hier wiedergeben, in dem mit naiver Ausführlichkeit