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dabei, direkte Fragen zu stellen. Sie war sowieso eine Person, die Sachen einfach mal sagte, ohne groß zu überlegen – außer es war etwas Verletzendes. Sie wusste, was ihre Stärken und Schwächen waren; zurückhaltend zu sein war also bestimmt nicht ihre Stärke, obwohl sie darauf achtete, ihr Gegenüber nicht zu kränken. Ihrer Meinung nach lebte man viel einfacher, wenn man die Dinge realistisch sah und sich nichts vormachte. So verstand sie nicht, wie man bei solchen Sachen Mühe hatte, schließlich kannten nicht alle den Aufbau der Körperzelle einer Ratte und das war auch nicht überlebenswichtig. Dennoch konnte ihre praktisch veranlagte und auch häufig sarkastische Art manchmal falsch rüberkommen, dessen war sie sich bewusst. Aber hier im Land der Nacht wollte sie sich nicht länger ducken, das nahm sie sich fest vor: Es war besser, wenn man einen klaren Charakter hatte. Sie hatte es satt, sich ständig verändern zu müssen.

      Melanie drehte sich mit einem abschätzenden Blick zu den Jungs um. „Wenn sich keiner von euch traut, geh ich sie fragen ...“, wiederholte sie und wartete, ob jemand protestierte. Als niemand dergleichen tat, stand sie auf und ging auf Emma zu.

      Sie setzte sich leicht nervös neben sie und zupfte an ihren Kleidern herum. „Du heißt Emma, nicht wahr?“, vergewisserte sie sich zaghaft.

      Emma drehte sich zu ihr um und musterte sie. „Ja, so heiße ich.“ Sie lächelte. „Warst du nun schon bei John?“

      Melanie nickte und lächelte ebenfalls. Sie hatte das Gefühl, dass sie in der letzten Stunde mehr gelächelt hatte, als das ganze Jahr zuvor.

      Schon mal positiv.

      „Äh ... Die Jungs da drüben haben eine Frage bezüglich der Hausaufgaben, aber keiner traut sich, dich zu fragen“, sagte Melanie.

      Emma runzelte belustigt die Stirn. „Du meinst Emanuel und seine Freunde?“

      Melanie nickte und Emma musste lachen. „Wenn du wüsstest, dass ich Feuer spucke, würdest du dich vielleicht auch nicht trauen ...“ Sie senkte geheimnistuerisch die Stimme.

      Melanie lachte, auch wenn ihr für einen Moment der Gedanke kam, dass das vielleicht gar nicht so abwegig war. „Na klar. Was kannst du denn Besonderes?“

      Emmas Gesicht verdunkelte sich. „Nichts Besonderes. Einfach das

      Übliche.“

      „Das Übliche?“

      „Alle hier können Magie erlernen. Das unterscheidet uns von den gewöhnlichen Menschen.“ Emma stand auf und die beiden Mädchen bahnten sich einen Weg zu den Jungs. „Und jetzt muss ich den Jungs wohl die Hausaufgaben erklären.“ Magie?

      Melanie warf einen Blick zu Emanuel. „Emanuel gefallen deine Augen.“

      Emma hätte beinahe ihre Tasche fallen lassen. „Ach ja?“ Sie wollte desinteressiert klingen, doch das gelang ihr ziemlich schlecht – ihre Stimme zitterte.

      „Mhmm“, schmunzelte Melanie.

      Emma setzte sich auf die Sofalehne und sie nahm wieder ihren Stuhl in Beschlag. Die Jungs hatten sich kaum bewegt.

      „Keine Angst, ich beiße nicht“, sagte Emma ironisch zu Daniel, Emanuel, Ramón und Jack. Dann nahm sie Emanuel die Hausaufgaben aus der Hand und begann zu erklären.

      Melanie hörte gar nicht zu, sie beobachtete bloß Emmas Bewegungen und fragte sich nicht zum ersten Mal, was an ihnen seltsam war. Sie bewegte sich sehr geschmeidig, aber gleichzeitig unsicher. Melanie wurde einfach nicht schlau daraus. Nur am Rande nahm sie wahr, dass die Jungs offenbar begriffen hatten, wie der Aufbau einer Rattenzelle aussah. Eilig schrieben sie es in ihre Hefte.

      Bis um sechs Uhr blieb Melanie im Gemeinschaftsraum, ließ sich von Emma so einiges über den Unterricht erklären und begann, den Spanischstoff nachzuholen. Es stellte sich heraus, dass Emma in so ziemlich allen Fächern spitze war, denn sie wurde noch oft bei diesem und jenem um Hilfe gefragt.

      Nun wandte sich Emma wieder Melanie zu. „Ich könnte dir mal das Zimmer zeigen, dann kannst du deine Sachen dort deponieren. Um sieben gibt es sowieso Essen.“

      Nebeneinander gingen sie ein paar Treppen hoch in ein Zimmer, das wohl nun das ihre war. Es handelte sich um einen großen Raum, den man durch eine Schiebewand in zwei kleinere Bereiche abtrennen konnte. Das wurde aber kaum gemacht, erklärte Emma. Im linken und rechten Teil des Zimmers waren je ein Bett, ein Schrank und eine Kommode, ein Schreibtisch und ein bequemer Stuhl zu sehen. Neben dem Kopfende von Emmas Bett – man erkannte es an den Büchern, die darauf lagen, und dem Bettbezug – war ein Fenster, wie auch an der linken Wand, durch das man auf den Innenhof des dritten Areals sehen konnte. Melanie packte möglichst schnell ihre Sachen aus und verstaute sie in dem geräumigen Holzschrank.

      „Wohnen alle, die im Gemeinschaftsraum waren, hier?“

      „Nein, nur acht von ihnen. Emanuel, Daniel, Ramón und Jack und mit mir noch vier Mädchen. Aber eine von ihnen, Laura, ist gerade woanders in einem Extrakurs für Nähen.“

      „Also sind wir ...“ Melanie überlegte. „Mit mir zehn Leute hier?“ Emma nickte.

      „Und wo schlafen die Leiter?“ Wenn sie nun beschloss, dass sie sich nicht in einem verrückten Traum befand, wollte sie alles genau wissen.

      „Die haben ein separates Gebäude. Du hast bisher erst John kennengelernt, aber es gibt über den zehn Leitern noch einen Chef, Anthony.“

      Melanie hob ihre Jeans aus dem Koffer. „Ne, den kenne ich noch nicht.“

      „Macht nichts.“

      Melanie hob die Augenbrauen. „Ist er nicht nett?“

      „Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst“, wich Emma aus.

      Melanie hatte fertig ausgepackt und schob den Koffer unter ihr Bett. „Aha.“

       Das klingt ja erfreulich ...

      „Was ist denn mit dem Gebäude, in dem Daniel mich verarztet hat und wo Johns Büro war?“

      „Das ist quasi das „Krankenhausgebäude“. Dort haben auch die Leiter ihre Büros. Die meisten Leiter sind auch im medizinischen Bereich geschult und helfen dort oft aus. Wir haben aber auch professionelle Krankenschwestern.“

      Melanie schloss die laut quietschende Schranktür und speicherte die Information gedanklich ab. „Wieso sind eigentlich so viele im Gemeinschaftsraum, wenn sie gar nicht hier wohnen?“, überlegte sie laut.

      Emma zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich war es gerade näher für sie, in unseren Gemeinschaftsraum zu kommen, als in ihren eigenen zu gehen. Das ist aber nicht immer so.“

      „Verstehe.“ Melanie musste sich immer noch an all das Neue gewöhnen. Es gab wahrlich sehr viele Dinge, die man hier tun konnte, wie sie bereits gemerkt und gesehen hatte. Ob es auch eine Möglichkeit zum Klettern gab? Sie liebte das Klettern, seit sie mit acht Jahren in einen Kletterpark gegangen war, und sie würde das Hobby gerne fortführen … Sie merkte, dass sie gar nicht mehr in Erwähnung zog, nicht hierzubleiben, auch wenn sie dieses seltsame Land erst seit einem halben Tag kannte.

      „Was denkst du?“, fragte Emma und schaute sie von der Seite her an.

      „Hm“, machte Melanie. „Ob man hier klettern kann.“

      Emma riss erstaunt die Augen auf. „Du kletterst?“

      Melanie lächelte. „Ja, also, als Hobby.“

      Emma war nahe daran, vor Freude auf der Stelle zu hüpfen. „Ich auch! Du bist die Erste hier, die auch außerhalb des Unterrichts klettert!“

      Melanie konnte kaum fassen, dass Emma tatsächlich auch kletterte. Sie schaffte es nicht, das Strahlen zu verbergen, das sich auf ihr Gesicht drängte. „Dann kann man hier klettern?“, wollte sie wissen.

      Emma nickte heftig. „Im Wald darfst du auf jeden Baum, solange du gesichert bist. Und es wurde eine Art Kletterpark ausgebaut, auch für den Kampfunterricht.“

      Melanies Augen

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