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Gertrud. Luise Reinhardt
Читать онлайн.Название Gertrud
Год выпуска 0
isbn 9783754183656
Автор произведения Luise Reinhardt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Unter diesen freundschaftlichen Mitteilungen, denen Fräulein Margareth mit merklicher Zerstreutheit lauschte, hatte Frau von Pröhl ihre Reisetoilette mit eigenen Händen etwas verbessert und schickte sich nun an, in Margareths Gesellschaft das Zimmer zu verlassen, wo sie während der Zeit ihres Aufenthaltes mit ihrem Gatten wohnen sollte, während den beiden Pflegetöchtern ein Kabinett im nördlichen Turme angewiesen worden war, von wo man weit hinaus ins Land schauen konnte.
Sie hatte, ganz eingenommen von ihrem gelungenen Staatsstreiche, übersehen, welch’ ein reizendes, aber sichtlich verlegenes Lächeln über Margareths Antlitz flog, als sie ›die stürmische Bewerbung‹ des Grafen Levin hervorhob, und es fiel ihr bei ihrem leichten Sinne nicht ein, dass das Fräulein einen Vorwurf der Übereilung aus ihren Worten interpretieren könne. Harmlos, weil eine schnell entstandene stürmische Liebe ganz ihren Beifall hatte, nahm sie die kleine Verwirrung der jungen Dame, die sie späterhin zu bemerken noch Gelegenheit fand, für bräutliche Scham, welche unter den vorliegenden Verhältnissen noch natürlicher und verzeihlicher als sonst wohl war. Margareth kannte ihren Verlobten kaum zehn Wochen, war seit acht Wochen seine Braut und sollte in einigen Tagen seine Frau werden. Allerdings musste jeder zugeben, dass man kaum schneller die nötigen Schritte und Stadien vor einer lebenslänglichen Vereinigung, wie die Ehe, absolvieren konnte, und es musste jeder glauben, dass nur mächtige und leidenschaftliche Gefühle von beiden Seiten das Brautpaar zu der Abkürzung aller üblichen Formalitäten veranlasst hatten. Frau von Pröhl war auch einige Minuten lang sehr verwundert gewesen, dass die zarte blonde Margareth, mit dem sanften süßen Gesichtchen, das so durchsichtig weiß wie Alabaster war, so stark leidenschaftlich für ihren Levin entbrannt erschien, um alle Prüderie des jungfräulichen Sinnes zu überwältigen; allein die Herzensfreude über die damit eingestandene Wahrhaftigkeit ihrer Liebe half sogleich der momentanen Verwunderung ohne weiteres ab und brachte sie auf immer zur Ruhe. Liebe musste der Beweggrund dieser Eile ein – Liebe von Seiten des Verlobten, der in der ersten stürmischen Herzenswallung darnach dürstete, sein errungenes Kleinod sicher in Besitz zu nehmen, Liebe aber auch von Seiten der Braut, die mit vollkommener Willensfreiheit diesen lebhaften Forderungen des Bräutigams Folge geleistet hatte. Und wo die Liebe siegend ihr Panier schwang, da war nach Frau von Pröhls Glaubensbekenntnis: ›nichts zu fürchten!‹
Vertraulich, Arm in Arm, verließ die Dame, in ihren weiten Lebensregeln sicher, mit Margareth das Gastzimmer, um sich zum Frühstück zu begeben, das ihrer wartete. Sie traten unmittelbar von dem Zimmer in die Halle, welche im Mittelpunkte des untern Geschosses lag, und stiegen langsam die mit pomphafter Bequemlichkeit angelegte breite Treppe hinauf, welche sich ganz dicht an diesen nördlichen Flügel des Schlosses anlehnte, während vom südlichen Flügel eine gleiche Treppenflucht aufwärts lief, um sich mit jener unweit der zweiten Etage in einem Balüstre zu vereinen. Schon auf dem Wege vernahmen beide Damen ein lebhaftes Gespräch, mit Beifall und jugendlichem Frohsinn geführt, und Frau von Pröhl wandte ihren Blick fragend auf die Schlossdame, da die hervortönende Männerstimme weder ihrem Gemahle noch dem Hausherrn angehörte.
»Ist das Graf Levin?« fragte sie endlich, als sie das Balüstre erreicht hatten und von dort in den Korridor zu treten Anstalt machten. -
Margareth schüttelte den Kopf.
»Es ist Levins Vetter, Junker Wolf! Er ist unser Hausgenosse seit längerer Zeit und wird auch das Schloss so bald nicht verlassen.«
»Junker Wolf?« fragte Frau von Pröhl, indem sie das Wort ›Junker‹ stark betonte.
»Levins Großvater wurde in den Grafenstand erhoben, als er sich mit einer fürstlichen Dame vermählte. Die andern Linien der Brettows sind Freiherren,« erklärte Margareth.
In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür des Salons, wo das Frühstück eingenommen werden sollte, und Fräulein Gertrud flog, wie ein Schmetterling, der gehascht zu werden fürchtet, heraus, gerade der Treppe zu. Ein Kavalier von auffallend schönem Äußern folgte ihr, einen Myrtenzweig in der Rechten, den er augenscheinlich zu leichtsinnigen Zwecken hoch emporhielt.
»Nur eine Minute – nur eine Sekunde, Fräulein Gertrud!« rief er dabei schmeichelnd.
»Nein, nicht eine halbe Sekunde,« entschied das junge Mädchen fliehend.
»Ich möchte nur sehen, wie Ihnen ein Myrtenkranz kleiden würde, gnädiges Fräulein,« bat er weiter, und wurde nun erst der Damen ansichtig, die voller Erstaunen die kleine Szene belauschten.
Sogleich besonnen, wenn auch noch das verklärende Lachen jugendlichen Übermutes in den schönen Gesichtszügen, trat der Junker auf Frau von Pröhl zu und drückte sein Bedauern aus, dass er nur einige Minuten zu spät von der Jagd zurückgekommen sei, um die Herrschaften empfangen zu können, und stellte sich selbst als den Premierminister des Herrn Reinhard Bünau von Rittbergen auf Rittbergen vor. Eine anmutige Gebärde der Frau von Pröhl zeigte ihre Geneigtheit, auf den scherzhaften Ton dieser Präsentation einzugehen, und sie nahm seinen Arm an, den er ihr voll ritterlicher Galanterie darreichte, um sie in den Salon zu führen. Gertrud und Margareth folgten. Die Erstere erzählte die Veranlassung ihrer Flucht vor dem Junker. Sie hatten zusammen vor den kolossalen Myrtenbäumen, welche eine Zierde des großen Familiensaales abgaben und mit der Vergangenheit des Rittberg’schen Stammes verknüpft waren, gestanden. Scherze, wie die leicht vertrauliche Jugend gern zu machen pflegt, flogen von den Lippen der jungen Damen, und plötzlich bog Herr von Rittbergen einen Zweig des Baumes mit vielsagendem Lächeln zu der Stirn seiner errötenden Braut nieder, um zu sehen, wie ihr das dunkle Grün zu Gesichte fände. Junker Wolf fühlte ein unbezwingliches Verlangen zu einer gleichen Probe. Da aber Gertrud nicht so nahe zum Baume fand, so brach er mit räuberischer Hand einen Zweig und verfolgte das fliehende Mädchen. Das war die große Geschichte des ersten Krieges zwischen diesen beiden Leutchen, die in allen andern Punkten sehr gut zu einander passten, nur in Hinsicht der Geldverhältnisse nicht. Junker Wolf von Brettow war der dritte Sohn seines Vaters, welcher nur ein Gut zu vererben hatte und zwar ein Lehngut. Allodialvermögen besaß dieser Zweig der Familie gar nicht.
Der älteste Junker präparierte sich also zum Schlossherrn, der zweite Junker studierte und ging als Attaché in die weite Welt, um sich einsort zu machen, und der dritte Junker lebte bald hier, bald da, wo er sich mit seinen Kräften nützlich machen konnte. Am liebsten wäre er Offizier geworden. Aber da das ganze heilige deutsche Reich jetzt in einem ewigen Frieden versunken zu sein schien, so sagte es ihm nicht zu, sich in die Reihen derer zu stellen, die beim leidigen Kamaschendienst Zeit genug behielten, sich von der fürchterlichsten Langeweile geplagt zu fühlen.
Er lebte seit einigen Jahren auf Rittbergen, hatte während der kürzlich erst beendigten Reisen des jungen Schlossherrn das ganze Hauswesen administriert, und konnte sich also mit Fug und Recht als den Premierminister des Herrn Reinhard Bünau präsentieren. Durch und durch ehrlich und brav, ziemlich unterrichtet, gescheit und praktisch, sozusagen das Ideal eines tüchtigen und ehrenwerten Landjunkers, dabei heiter, für Schönheit, und Anmut empfänglich, allein ohne besondere Anlage zum sogenannten ›Verlieben‹, und schließlich viel zu ehrlich, um sich aus Eigennutz zu poussieren – das waren ungefähr die Grundelemente seines Wesens. Im Hinter halte schlummerten freilich noch die Stammeigentümlichkeiten: ›Ungeduld und aufbrausende Hitze‹; da jedoch seine ganze Erziehung darauf hingewiesen hatte, sich unter der Herrschaft bevorzugter Edelleute zu beugen, so war Junker Wolf zu einer weit größeren Selbstbeherrschung gelangt, als irgendein Brettow vor ihm. Er hatte, vielfach schon, Proben seiner ungestörten Seelenruhe abgelegt, und er war zu dem Selbstvertrauen gekommen, selbst ›die Kämpfe mit einem rebellischen Herzen als Narrenspossen zu betrachten und die Macht der Liebe zu bezweifeln, wenn der Mann nur richtig mit sich fertig werden wollte.‹
Freilich hatte er die Erfahrung für sich. Er war der schönste Mann seiner Zeit, und die Jungfrauen seines Standes nicht allein, sondern die reizendsten Mädchen in allen Schichten der Bevölkerung waren bereit sich von ihm lieben zu lassen. Da der schöne