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erläuterte, es wäre wie eine Falle gewesen“, sagt Karin versonnen. „Du tappst hinein und bist gefangen, ehe du dich versiehst.“

      „Macht ja nicht ohne mich weiter“, sagt Kerala und öffnet die Wagentüre. „Die gelben Engel sind da.“

      Ein schmächtiger Mann in einer gelben Montur stellt seine Werkzeugkiste krachend auf den Boden. Der Rauch unter der Kühlerhaube hatte sich verzogen. Mit einer Zange in der Rechten macht er sich daran, das Problem zu finden.

      „Der Bus muss in die Werkstatt“, verkündet Kerala. In gebückter Haltung sieht er durch das offene Autofenster von einem zum anderen. Vor allem wendet er sich Karin zu. „Ihr müsst aussteigen. Er schleppt mich zum Parkplatz dort drüben.“

      Doris schnäuzt sich und runzelt die Stirn, als sie ein gelbes Sekret in ihrem Taschentuch bemerkt.

      „Eiter“, sagt sie lakonisch und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Ich sag‘s nur ungern. Ich hab Fieber.“ Beim Aussteigen aus dem Bus kommt ein Hüsteln hinter der Maske hoch.

      „Jetzt haben wir wirklich ein Problem“, stellt Karin fest. „Wir müssen die Corona-Hotline informieren.“

      „Vor allem rate ich euch, in einem sicheren Abstand zu Fuß zu gehen. Wegen der Ansteckungsgefahr“, ruft der Mechaniker herüber. Karin nickt verständnisvoll, mit einem Ohr klebt sie an ihrem Handy. Man hört das besänftigende Brabbeln der Warteschleife.

      „Na kommt, die Taschen können wir im Bus lassen.“ Im Gänsemarsch trotten sie hinter einander. Kerala geht voran, wortlos und energischen Schritts. Weiter entfernt, in Sichtweite, rollt ein antriebsloser Bus. Dessen Motor dahin ist, fürs Erste.

      „Immer heiter, dann kommst du weiter“, sagt Karin.

      „Also, den Tag habe ich mir anders vorgestellt. Wie gut, dass du noch dichten kannst.“

      „Es reimt sich, und was sich reimt, ist gut.“

      „Sagt Pumuckl.“

      „Also, alles Gute. Muss ja nicht immer der Virus sein“, ruft der Mann vom Pannendienst aus sicherer Entfernung. Dann steigen sie erneut ein. Karin schildert die Symptome in ihr Smartphone und starrt vor sich hin. „Wir sind auf dem ersten Parkplatz nach der Abfahrt.“

      „Nun müssen wir warten. Sie kommen uns testen. Alle.“ Dann informiert sie die Kunden, gibt sich bedauernd und herzlich. „Tut mir leid“, sagt sie jedes Mal, in sanftem Ton. Autos brausen vorbei. Ein rauchender Auspuff lässt auf mangelnde Wartung schließen. Er gehört zu einem in die Jahre gekommenen LKW. Für die Werktätigen geht der Stoßverkehr weiter, an diesem Montag.

      „Ich will unbedingt wissen, wie es der reizenden Tänzerin ergangen ist.“ Kerala reibt sich die Hände, um sich aufzuwärmen. „Frisch, hier am Stadtrand“, sagt er und lässt sich in den Polstersitz fallen. „Macht es dir etwas aus, wenn du weiter erzählst? Ich meine, trotz Maske.“

      „Aber nein, ich brenne darauf. Wo war ich noch mal?“

      „Der böse Eddy. Ihr besitzergreifender Mann“, sagt Pietro.

      „Eines Tages, im Frühsommer. Sie hatte sechs Jahre lang alles Erdenkliche versucht, um mit ihm zurechtzukommen.“ Dajana sah keinen Ausweg mehr. Die Zeichen sprachen dafür, dass sie ein Kind erwartete. Wenn sie für ihr Baby sorgen müsse, wäre sie mehr denn je auf ihn angewiesen. Inzwischen kannte sie ihn gut genug, um zu wissen: er würde das Kind für sich beanspruchen, sobald es das Licht der Welt erblickt hätte. Also beschloss sie, ihn in Unkenntnis darüber zu lassen. Während der Bürostunden überlegte sie fieberhaft, wie sie ihn unbemerkt verlassen könnte. Sie fühlte sich am Ende ihrer Kraft, unfähig, sich gegen seine Gemeinheiten zu wehren.

      „Worauf wartest du“, fragte ihre Kollegin. „Also besser wird der nicht.“

      „Wahrscheinlich hast du Recht. Auf keinen Fall werde ich ihn heiraten. Das kann er sich abschminken.“ Der Anlass folgte auf den Fuß. Gewissermaßen der Stein, der das Geschehen unwiderruflich ins Rollen brachte. Ungeduldig wartete Eddy am späten Nachmittag. Die Menschen saßen in den Schanigärten. Schlürften genüsslich ihren Nachmittagskaffee, hinter blühenden Oleanderstauden. An diesem Montag harrte er vor dem Eingang aus, stieg rastlos von einem Fuß auf den anderen. Als er sie mit einer Kollegin im Hausflur scherzen sah, verzog sich seine Miene.

      „Da brennen mir ja die Sicherungen durch“, schrie er. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als er eine Schimpfkanone auf sie losließ. „Hure“ war hier noch das Mildeste, was er an Vokabular hervorstieß. Unterste Schublade, wie sie zu sagen pflegte. Dajana zog den Kopf ein, als könnte sie in einen Schildkrötenpanzer kriechen. Ein bitterer Geschmack machte sich in ihr breit. Was würden ihre Kollegen von ihr denken. Vor lauter Verlegenheit, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Erst später, als sie sich im Badezimmer einschloss, überlegte sie hin und her. Sie musste dem Treiben ein Ende setzen. Ab dem Augenblick, in dem du erkennst, wie es sich verhält, kannst du nicht mehr zurück. Wie gerne würdest du weiter in deinen Zukunftsträumen schwelgen? Dir einen guten Ausgang ausmalen. Doch du hast es klar gesehen: er fügt dir Schaden zu. So sehr du auch möchtest, es wäre anders.

      Am nächsten Tag ging sie, wie üblich, ins Büro. Ihrer Kollegin sagte sie, sie wäre krank, hätte eine Magenverstimmung.

      „Ich habe mir alles mit angehört“, sagte diese. „Auch verstehe ich, dass wir Eddy keine Auskunft darüber geben dürfen. Ich werde es den anderen sagen.“ So kam es, dass sie sich Hals über Kopf von ihm trennte. Kurzerhand übergab sie ihre Aufgaben einer Kollegin, als Vertretung, und nahm sich zwei Tage frei. In einer Pension für Dauergäste, einige Blocks weiter, mietete sie ein Zimmer. Die klassizistische Fassade war ihr bereits früher aufgefallen. Von den Fensterbänken fielen rote und violette Petunienranken, wie ein Vorhang. Sie liebte die Farbenpracht ihrer feinen, trichterförmigen Blüten. Ein gutes Omen, dachte sie. Bei der Reservierung gab sie sich selbstsicher, die Blutergüsse unter getöntem Makeup und einer dunklen Brille verdeckt.

      „Penelope Higgins“, sagte sie und fühlte sich ein wenig geborgen, des fremdländisch klingenden Namens wegen. „Ich zahle die erste Monatsmiete im Voraus.“ Die Geldscheine legte sie ohne Aufforderung auf das Pult. Sie benötigte einige Gegenstände für sich, entschloss sich aber, Geschäfte in der näheren Umgebung zunächst zu meiden. Wie rasch könnte er sie entdecken. So fuhr sie mit der Tramway den Ring entlang, bis zum achten Bezirk. In den Supermärkten besorgte sie sich Zahnbürste, Duschgel und einige Toilettenartikeln, eine Leggins, T-Shirts, das Notwenigste. Sie änderte ihre Dienstzeiten. An ihrer Arbeitsstelle konnte er sie schwerlich besuchen. Das vermied sie geschickt, indem sie die Rezeptionistin instruierte, ihn nicht vorzulassen. Dazu kopierte sie ein Foto von ihm, das im Empfang auflag. Einzig das Tanzstudio war eine heikle Stelle in ihrem Terminplan. Sie verlegte ihre Tanzstunden auf unorthodoxe Termine. Zehn Uhr abends, drei Uhr früh, dann tanzte sie allein zu orientalischen Klängen in den geräumigen Sälen. Der Besuch bei der Frauenärztin bestätigte es: sie war im dritten Monat schwanger.

      Eddy blieb allein zurück. Er ahnte bereits, dass etwas nicht stimmte, als sie ihr Telefon nicht mehr abnahm. Ein weiterer Telefonanruf untertags wurde unterbrochen.

      „Sie ist nicht erreichbar, im Moment“, sagte ihre Kollegin am anderen Ende der Leitung. Des Abends kam sie nicht nach Hause, was ihn vollends in Wut versetzte. Wie von Sinnen lief er ins Polizeirevier, um sie als vermisst zu melden. Sein Haar stand ihm wirr vom Kopf. In Badeschlapfen und Morgenrock tauchte er auf, was im Revier für Heiterkeit sorgte.

      „Meine Frau ist spurlos verschwunden. Ich mache mir Sorgen“, begann er atemlos. Der Beamte erinnerte sich jedoch unterdessen, einen Meldezettel abgestempelt zu haben. Womit seinerseits die junge Dame als übersiedelt zu betrachten wäre.

      „Sie hat sich an einer anderen Adresse gemeldet“, sagte er nüchtern.

      „Ja, dann geben sie sie mir“, verlangte Eddy.

      „Sie heißen Edward Krenz“, sagte der Beamte. „Hier hat sich eine Frau Dajana Dumont ordentlich gemeldet. Sie sind also nicht verheiratet.“

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