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Die neun. Zbigniew Georg
Читать онлайн.Название Die neun
Год выпуска 0
isbn 9783754916834
Автор произведения Zbigniew Georg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Maschine wird neu justiert. Mehrmals haben sie den Zeitpunkt auf die Sekunde genau überprüft. Es gibt keine Abweichung und es darf auch keine geben. Sie dürfen keine Aufmerksamkeit erregen. Noch nicht.
Das Brummen vergeht zu einem leisen Summen. Die Ringe verlieren ihre Farbenpracht.
Kalter Stahl, dem man nicht ansieht, zu was er fähig ist.
Pria geht zögernd auf die Ringe zu. In ihren Händen hält sie behutsam eine Miniaturausfertigung der Säule aus dem Palmenhain. In ihr ihrer aller Hoffnung. Prias Schritte werden langsamer, stocken. Noch einmal blickt sie zu Qori hoch.
Sie hat Angst, erkennt Qori voller Zärtlichkeit. Wer hätte sie nicht? Geh mit dem Göttlichen, mein Engel, und pass gut auf unseren Boten auf ...
Pria nickt ihm zu. Sie hat seine Worte verstanden. Noch einmal atmet sie tief durch, dann nimmt sie ihren Platz zwischen den Ringen ein.
Der Projektleiter blickt hinauf zum Professor. Dessen Nicken ist kaum zu erkennen, doch ist es das Signal für alle. Klare Anweisungen erschallen im unteren Teil der Zentrale. Jeder kennt seinen Posten, jeder weiß, was er zu tun hat. Kein Fehler darf ihnen jetzt noch unterlaufen.
Ruhe breitet sich unter den arbeitenden Menschen aus. Routine. Sie haben gelernt, jeden anderen Gedanken zu verdrängen, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Prias Leben hängt davon ab. Und auch das des kleinen Lebens, das ihrer aller Leben so nachhaltig verändern soll.
„Geht mit dem Göttlichen Segen“, flüstert Miguel neben Qori, der mit versteinerten Zügen den starren Blick nicht von Pria lässt.
Miguel spürt die starken Energiewellen, die Qori ihr schickt, und macht einen behutsamen Schritt zur Seite, um Qori mehr Raum zu geben. Aus seiner Aura zu treten, damit sein eigenes Energiefeld sich nicht mit deren vermischt.
Pria blickt auf die Säule in ihrer Hand, als das gleißende Licht der energetisch geladenen Ringe Tränen in ihre Augen treibt. Ihr letzter Blick flüchtet sich hilfesuchend zu Qori, noch bevor ihr der reißende Schmerz der Entmaterialisierung einen grauenvollen Schrei von den Lippen lockt, der jedem, der ihn hört, das Blut in den Adern stocken lässt.
Als das Licht vergeht, ist auch Pria fort. Sie starren auf die Stelle, an der sie eben noch stand.
Fort. Einfach fort ... Über Qoris Wangen laufen Tränen. Tränen des Schmerzes. Der Angst.
Der Hoffnung. Er lässt sie laufen. Er spürt sie nicht einmal.
Sie hat Angst. Sie spürt die Freude. Den Schmerz. Das Leid. Liebe. Das allumfassende
Eine. Das Göttliche.
Sie spürt keinen Körper. Kann nichts mit ihren Sinnen erfassen. Und doch erfasst sie alles.
Ihre Seele, ihr Wesen, ihre innere Stimme, alles ist eins. Verschmolzen mit allem, was existiert.
Sie fühlt die Kraft dieser Existenz, die sie gemeinhin als das Göttliche bezeichnen. Weil es keine angemessenen Worte für dieses unendliche Wesen gibt. Ein hilfloser Versuch, sich mit ihm zu verbinden. Doch sie sind es. Sie waren nie getrennt. Sie sind eins. Endlich versteht Pria.
Sie sieht alles um sich herum, doch hat sie keine Augen zum Sehen. Sie fühlt nur die Bilder, die jeder Materie beraubt scheinen. Und doch sind sie schöner als alles, was ihre Augen je erblickt haben.
Sie weiß nicht, wo sie ist, aber sie fühlt sich behütet, geborgen. Glücklich. Im Schoß des Einen aufgehoben. Zeit hat keine Bedeutung mehr. Sie ist überall und nirgends. Sie will nie wieder fort.
Doch dann zerreißt sie der erneute Schmerz. Als würde jedes Atom ihres Körpers mit einem gleißenden Hammer gewaltsam zusammen geschmiedet. In eine Form gepresst, die ihr wahres Sein nur begrenzt. Sie fühlt sich hinein gezerrt in diese viel zu enge Hülle aus Fleisch und Blut. Sie will nicht. Aber sie hat keine Wahl. Etwas zwingt sie dazu. Sie muss sich fügen.
Hart schlägt ihr Körper auf den sandigen Boden einer fremden Welt. Gnädig umfängt sie tiefe Bewusstlosigkeit.
„Dort ist sie!“ Aufgeregt deutet Malissa zum Monitor auf eine Senke nahe des Dorfes. „Sie hat es geschafft!“
„Gott sei Dank!“ Professor Zulgor überprüft mit Miguel stillschweigend die Daten. Ein wissender, erfüllter Blick wechselt zwischen ihnen. Schließlich wendet sich der alte Mann an seine Mitstreiter. „Der Transfer ist planmäßig verlaufen.“
Qori starrt noch immer auf die kalten Stahlringe, deren Energie gerade heruntergefahren wird. Plötzlich springt er auf, stürmt aus dem Beobachtungsraum hinaus, hechtet die Treppe hinunter und packt den Projektleiter grob am Arm.
„Nicht abschalten!“ Heisere, kaum verständliche Worte dringen aus Qoris trockener Kehle.
„Sie stirbt sonst!“
„Aber ...“ Der Mann schüttelt den Kopf. „Ihr geht es gut. Die Daten sagen ...“
„Die Daten interessieren mich einen Scheißdreck!“ Wütend reißt Qori ihm das Datenblatt aus der Hand und wirft es über die Schulter fort. „Sie stirbt, wenn Sie diese verfluchte Maschine abstellen!“
Miguel drängt sich durch die von allen Seiten heranströmenden Menschen, die ebenfalls nicht verstehen. Er nimmt den Projektleiter beiseite. „Tun Sie, was er sagt!“
„Aber ...“ Dessen Blick wechselt zwischen den Beiden. „Na gut. Aber auf Ihre Verantwortung!“
Er winkt den verantwortlichen Mitarbeitern und ruft ihnen die neue Order zu. Er versteht nicht. Aber wenn er eines während der vielen Jahre hier gelernt hat, dann auf die Worte dieses Mannes zu hören, der ihrer aller Schicksal in der Hand hält.
Miguel zieht Qori beiseite, damit die Leute ihre Arbeit machen können. „Was ist passiert?
Wieso dürfen wir das Feld nicht abschalten? Was ist uns entgangen?“
In Qoris Augen scheinen alle Lichter des Universum als kleine Punkte zu leuchten. Die
Tiefe erschrickt Miguel. Und doch beneidet er seinen Freund um diese Erfahrung.
„Sie ist immer noch ein Teil der Gegenwart. Solange sie der Energiestrahl hält, findet sie den Weg zurück. Doch wenn er versagt, dann ...“
Sein Blick entschleiert sich. Miguel erkennt die Angst darin.
„... dann verliert sich ihre Seele in den Weiten der Zeit und findet nie wieder zurück. In keine Zeit. Wir haben sie der Zeit beraubt. Sie wird zeitlos wie das Eine.“
„Du meinst ... sie erreicht die oberste Sprosse auf dem Weg zur Vollkommenheit?“, fragt Miguel fasziniert.
„Ohne vollkommen zu sein, verstehst du?“ Qori blickt zu den Ringen, deren jetzt sanftes Leuchten ihm Beruhigung für eine Weile verschaffen. „Ohne vollkommen zu sein ...“
Das Zittern ist kaum zu ertragen. Ihr ist kalt. Als wäre sie zu einem Eiswürfel gefroren.
Lautes, klapperndes Dröhnen schmerzt in ihren Ohren. Mühsam schlägt Pria die Augen auf.
Es dauert eine Weile, bis sie erkennt, dass es ihre Zähne sind, die dieses unselige Geräusch verursachen. Sie beißt sich auf die Hand, um es zu unterdrücken. Fühlt kaum den Schmerz, den ihre Zähne in das Gewebe drücken, weil jede Zelle ihres Körpers gepeinigt vor Schmerz aufschreit.
Pria versucht sich zu erinnern. Vage Bilder einer unglaublichen Erfahrung hängen wie verstaubte Spinnweben in ihrem Gedächtnis. Sie versucht sie zu greifen, doch sie zerreißen bei der leichtesten Berührung und verwehen im kalten Wind der nächtlichen Wüste.
Dann kommen erste Erinnerungen an das Davor zurück. Erschrocken tastet sie nach ihrem Begleiter. Ihrer aller Hoffnung. Was muss er erst erlitten haben? Ob noch Leben in ihm ist? Pria findet die Säule im weichen Sand, der den Sturz abgefangen