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brauchte er auch nicht jeden Tag. In der Partei war die Stimmung mies, so wie eigentlich immer, Schräder konnte sich nicht daran erinnern, daß die Stimmung in der Partei jemals gut oder normal gewesen wäre, das schien wohl in der SPD einfach Usus zu sein. Ganz egal ob die Sozialdemokraten regierten oder opponierten, sie trugen immer diesen gequälten Gesichtsausdruck mit sich herum, in dem sich das ganze Leid der Welt widerspiegelte. Was für Heulsusen! Er aber war der Kanzler der ruhigen und starken Hand, er wollte etwas vorwärtsbringen in diesem Land. Seine Agenda 2010 wurde ihm fast pausenlos um die Ohren gehauen und als ob das nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, machte der relativ neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Pierre Seinglück, nun ein weiteres Faß auf, indem er damit drohte, die Koalition mit den Grünen zu beenden und stattdessen die FDP mit ins Boot, beziehungsweise ins Koalitionsbett zu holen. Das hätte Schräder und seiner SPD gerade noch gefehlt, es war so schon alles mühselig genug. Was konnte man dagegen tun? Ein Killerkommando engagieren? Einen Privatdetektiv ansetzen? Oder einfach mit den betreffenden Leuten vernünftig reden? Alles Optionen, die nicht wirklich überzeugen konnten und so ärgerte sich Bernhard ein wenig, bevor er sich wieder in seine soziale Hängematte legte, um dort von seinem Recht auf Faulheit Gebrauch zu machen, wie es seiner Ansicht nach vor allem die Lehrer, jene "faulen Säcke", tagtäglich praktizierten. Das Leben war schön, nur in der SPD schien die Sonne nie.

      05.06.2003: Was war passiert? Jörg D. Böllermann, der ehemalige absolute Überflieger der FDP, hatte sich mit einem Fallschirmsprung das Leben genommen. Ganz Deutschland war schockiert und das völlig zurecht. Der Betroffene selber aber hatte scheinbar keinen anderen Ausweg mehr gesehen, denn nachdem er in seiner Partei nicht mehr sonderlich gern gesehen gewesen war, hatte nun auch noch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet gehabt. Eigentlich etwas, das man einem FDP-Mitglied durchaus zutraut und wofür man sich als Liberaler nun wirklich nicht schämen braucht, außer vielleicht dafür, daß man dabei erwischt wurde, aber bei Jürgen, den manche Leute gerne lieber würgen wollten als für ihn zu bürgen, war alles ein bißchen anders. Er hatte ein Buch geschrieben gehabt, mit dem bezeichnenden Titel "Klartext" und plante, eine eigene Partei zu gründen, die mal gründlich aufräumen sollte mit den Altparteien und den ganzen Lügen, Tabus und was da noch so alles dazugehörte. Doch er wußte, daß er das alles vergessen konnte, wenn gegen ihn ermittelt wurde. Scheinbar hatte der gute Mann Millionen ins Ausland gebracht, vielleicht die Zinsen nicht versteuert, womöglich war er auch ein wenig korrupt gewesen, Hans Werner Braus läßt grüßen, wer weiß das schon so genau? Man soll über die Toten nichts Schlechtes sagen, auf alle Fälle war Jörg D. Böllermann einer von denen gewesen, die ganz hoch hinaus hatten wollen. Er hielt sich für den geborenen Kanzlerkandidaten der FDP, hatte Festerbelle das Projekt 18 eingeredet und versucht, am rechten Rand zu fischen. Doch nun war er tot und die Welt mußte ohne ihn weiterleben. Würde ihr das gelingen?

      Anfang Juli 2003: Luigi Herlusconi hatte die Schnauze voll gehabt und deshalb zurückgeschlagen. Andauernd hatten ihn die europäischen Linken provoziert und kritisiert, doch dann kam die Retourkutsche und die hatte es in sich gehabt. "Diese blöden Deutschen können mich mal", hatte er sich vermutlich gedacht gehabt und deswegen seinem Lieblingsgegner vorgeschlagen, er könne in einem Film über Konzentrationslager, der gerade in Italien gedreht werde, "den Kapo spielen". Eigentlich durchaus lobenswert, wenn der italienische Regierungschef einem deutschen Sozi ein Jobangebot macht, aber in dem Fall handelte es sich dann wohl doch eher um eine gezielte Beleidigung.

      Andererseits mußte man den guten Luigi auch verstehen. Immer wieder kritisierten die europäischen Linken sein Medienimperium, seine Macht und seinen Einfluß, dabei fühlte er sich unschuldig und hielt sich selbst für einen liberalen Freigeist. Na ja, jedenfalls wollte er sich nicht andauernd anpissen lassen, zunächst hatte er sich alles Mögliche angehört gehabt, doch irgendwann war ihm die Hutschnur geplatzt. "Diese Deutschen sollen sich mal nicht so haben. Die waren es doch gewesen, die ganz Europa überfallen haben", bemerkte Herlusconi. "Das stimmt natürlich, aber den Faschismus erfunden haben wir Italiener", wandte ein Freund von ihm ein. "Na und? Was geht uns das an? Diese Deutschen sind viel zu empfindlich, die haben keinen Sinn für Humor und verstehen keine Ironie." "Da hast Du natürlich Recht, Luigi, aber vielleicht solltest Du Dich doch besser entschuldigen." "Ich? Mich entschuldigen? Aber warum das denn? Die haben mich doch die ganze Zeit angegriffen, verleumdet und beleidigt!" "Ja, aber trotzdem." "Also gut, solange ich es nicht ehrlich meinen muß." "Aber natürlich.Wir verstehen uns schon."

      Ende Juli 2003: Die bayerische SPD, seit Jahrzehnten ein Fall für die "Aktion Sorgenkind". In den Städten gut verwurzelt, aber auf dem flachen Land ein unbekanntes Wesen. Jede Menge Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte, aber im Landtag überhaupt nichts zu melden. Wahrscheinlich handelt es sich bei der bayerischen SPD um die Partei, die am längsten von allen in der Opposition gelandet ist. Und dann als Gegner auch noch eine Partei, die nur in Bayern antritt und sich deshalb voll auf dieses Land konzentrieren und so tun kann, als wäre sie eins mit dem Freistaat. Als bayerischer Sozialdemokrat braucht man eine gewisse masochistische Ader, aber zu viel Mitleid ist auch nicht angebracht. "Die sind selber schuld, die theoretisieren immer nur rum und wollen ihre Landsleute umerziehen", urteilte ein Politikwissenschaftler. "Genau, die haben sich in ihrer Oppositionsecke bequem eingerichtet und fühlen sich dort pudelwohl", stimmte ihm ein Soziologe zu. "Sobald einer der Ihren beliebt ist, wird er schon verdächtig und nicht für voll genommen." "Ja, wer Erfolg hat, ist der bayerischen SPD grundsätzlich suspekt. Solche Leute läßt man am liebsten links liegen und ignoriert sie so lange, bis sie aufgeben oder die Partei wechseln." "Ja, man bleibt lieber unter sich und kungelt sowie mauschelt mit seinesgleichen, anstatt die verstaubten Räume mal gut durchzulüften. Schuld sind immer die Anderen, im Zweifel die Wähler." "Glaubst Du, daß die SPD irgendwann mal in Bayern Erfolg haben wird?" "Ich kann es mir nicht vorstellen. Da müßte es sich die CSU schon dermaßen mit ihren eigenen Wählern verscherzen, aber das ist wirklich unrealistisch." "Allerdings."

      Sommer 2003: "Riegler paßt auf Haderlein, der flankt in die Mitte, wo Ode verpaßt, der Ball wird abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Magnet schießen, Magnet holt aus, trifft den Ball Vollspann und der fliegt in den rechten oberen Winkel! Tor! Tor für die SPD!!!" Vielleicht befürchteten die CSU-Granden zukünftig solche Fußballspielkommentare von Hermann Noch, der Reporterlegende aus Franken. Anders konnte man es sich nicht erklären, daß man ihn dazu bringen, beziehungsweise zwingen wollte, sich zwischen seinem Hobby als Fußballreporter, das er neben seiner Lehrertätigkeit ausübte und einem Sitz im Landtag für die bayerische SPD zu entscheiden. Ich persönlich glaube, wenn der Herr Noch für die CSU angetreten wäre, dann hätte damit niemand ein Problem gehabt. Bekanntlich war und ist ja der bayerische Ministerpräsident für alle Belange des Bayerischen Rundfunks zuständig, von daher konnte man sich schon vorstellen, wie die ganze Schmierenkomödie enden würde. Wovor fürchteten sich die schwarzen Männer? Vor Reportagen wie: "Baumeiler vertändelt den Ball im Mittelfeld, Zuber wird getunnelt und grätscht erfolglos hinterher, Waldhauser versucht es mit Schönspielerei und Kapitän Sträuber schimpft und flucht wie ein Rohrspatz. Schwarz-Weiß Tuntenhausen zerlegt sich selbst." Na ja, wenn ich mich entscheiden müßte, dann würde ich weiterhin Fußballspiele kommentieren, denn das ist bestimmt spannender, unterhaltsamer sowie abwechslungsreicher, als die Taten der absoluten CSU-Mehrheit begutachten zu müssen, ohne sie daran hindern zu können, nur das zu machen, was sie will und was ihr etwas bringt.

      20.08.2003: "Ole, Ole, Ole, Ole!" rief ein bekennender Homosexueller ganz laut in Hamburgs Straßen. "Was ist denn los? Wer hat denn jetzt schon wieder gewonnen? Hamburg oder St. Pauli?" wollte ein schwuler Bekannter von ihm, dem er gerade auf einer Straße in Hamburg vor die Füße lief, etwas genervt von ihm wissen. "Von Zeust hat gewonnen und Hamburgs Bürger haben gewonnen. Stills out." "Und wenn schon? Diese merkwürdige Koalition wird ja trotzdem weiter regieren." "Das schon, aber ohne ihren bösen Buben." "Ach was, die Anderen sind doch auch nicht besser oder anders. Immer nur Vetternwirtschaft, Korruption und Wählerbetrug." "Das war aber zu SPD-Zeiten auch nicht anders. Macht macht gierig. Wie dem auch sei, Hamburg ist seit gestern wieder frei." "Abwarten und Astra trinken. Bin nur mal gespannt, ob der Uli von Zeust sich jetzt endlich mal vorne hinstellt und sagt: "Jawohl, ich bin ein Hinterlader und das ist auch gut so." Aber wahrscheinlich traut er sich das wieder nicht." "Mal sehen. Eigentlich muß er jetzt ja Farbe bekennen, denn nachdem ihn der Still dermaßen

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