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Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Читать онлайн.Название Mythos, Pathos und Ethos
Год выпуска 0
isbn 9783738030754
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wie so viele Andere auch, kam ich ebenfalls in Kriegsgefangenschaft, doch ich blieb ein Ewiggestriger und schleimte mich bei den Besatzungsmächten nicht ein. Das wiederum imponierte jenen nur bedingt, sie hielten mich für einen Unbelehrbaren, weshalb sie mich länger in Kriegsgefangenschaft behielten als meine opportunistischen Kameraden, die unbedingt zu ihren Familien zurückwollten. Ich dagegen hatte im Grunde nichts mehr zu verlieren und genau so benahm ich mich auch. Der Führer war tot, mein Idol hatte sich aus dem Staub gemacht und uns mit den Besatzern allein gelassen. Am schlimmsten waren nicht die Russen, sondern die Neger. Wenn die einen ganz fröhlich und unverschämt angrinsten, dann wurde einem Rassisten wie mir ganz schlecht. Aber die würden ihre Quittung nach ihrer Rückkehr in die Heimat schon noch bekommen, davon war ich felsenfest überzeugt, denn die Amis waren im Grunde genauso rassistisch wie wir Deutschen, von daher würde den Bimbos das Lachen schon noch vergehen. Rassenschande gab es nun natürlich allerorten, die deutschen Frauen gaben sich den Besatzern hin und all die Schauspielerinnen, die früher bei Goebbels auf der Besetzungscouch gelandet waren, um sich in einen tollen Film zu ficken, waren nun auf der Besatzungscouch vertreten, um Uncle Sam und Uncle Joe, wie Stalin in den USA genannt wurde, einen zu blasen.
Das war der Treppenwitz der Geschichte schlechthin: Die Loser wie Rußland und Frankreich durften plötzlich über das deutsche Schicksal mitbestimmen, obwohl sie gegen uns keine Chance gehabt hatten, eine Demütigung sondergleichen. Na ja, irgendwie ging das auch alles vorüber, ich aber brauchte unheimlich lange, um mich in jenem neuen Deutschland wieder zurechtzufinden, in dem plötzlich alles verboten worden war, was bis vor Kurzem noch als das einzig Wahre gegolten hatte. Wenigstens lebte ich im Westen des Landes, so daß ich mit den russischen Soldaten nicht in Kontakt kam, das hätte mich völlig fertiggemacht.
1949 gab es dann die ersten Bundestagswahlen und neben mir dürfte es doch so einige Leute gegeben haben, welche die NSDAP auf dem Wahlzettel vermißten. Na ja, also wählte man halt das kleinere Übel, nicht unbedingt die FDP, die damals auf stolze 11,9 Prozent der Stimmen kam. Erster Bundeskanzler der neuen Bundesrepublik Deutschland (BRD, im Osten gründete man die DDR) wurde ein gewisser Elmar Wadenhauer von der Christlich Demokratischen Union (CDU). Der Mann war damals schon sage und schreibe 73 Jahre alt, aber wenn uns jemand prophezeit hätte, daß "der Alte" länger an der Macht sein würde als unser geliebter Führer, dann hätten wir uns tot gelacht und so gar nicht mehr erlebt, daß es dann tatsächlich so kam. In Bayern konnte man die CDU gar nicht wählen, dort gab es die bayerische Variante der Partei, nämlich die Christlich Soziale Union (CSU). Jene war damals noch jung, frisch gegründet und hatte mit der Bayernpartei, welche Bayern vom Bund abspalten wollte, eine beachtliche Konkurrenz neben sich. Ein Mann namens Hans Werner Braus ragte schon recht bald aus der CSU heraus, man merkte ziemlich schnell, daß es der noch weit bringen wollte und vielleicht auch würde. 14 Jahre Wadenhauer, das war die Höchststrafe für einen Altnazi wie mich, auch wenn der ehemalige Kölner Oberbürgermeister wenigstens fast genauso eindringlich vor den "Soffjets" warnte wie sein Amtsvorgänger. Es waren bewegte Jahre, aber wir waren ein geschlagenes Volk, litten Hunger und waren Verlierer, die nichts mehr hatten worauf sie stolz sein konnten. Nur gut, daß sich die USA und die UdSSR nicht verstanden und überhaupt nicht zusammenpaßten, denn so wurden wir für die Amerikaner plötzlich wichtig und sollten zu einem Bollwerk gegen die kommunistische Gefahr aus dem Osten werden. Dazu waren wir gerne bereit, vielleicht hatte unser kleines Leben also doch noch einen höheren Sinn.
Ein Leben ohne die FDP, das kann ich mir momentan noch überhaupt nicht vorstellen. Ist das eigentlich möglich? Wir werden sehen, aber nachdem mich jene Partei fast zwei Drittel meines Leben auf meinem Weg begleitet hat, bin ich doch gespannt, wann die ersten Phantomschmerzen auftreten werden. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich habe die FDP nie gewählt und oft gequält, doch für mich war sie wie ein Arbeitskollege, den man kennt und grüßt, aber nicht sonderlich mag. Wenn der eines Tages weg ist, dann freut man sich zunächst darüber, allerdings findet man es auch etwas komisch, nicht lustig komisch, sondern eher merkwürdig komisch. Ich für meinen Teil blieb auch in den Jahren nach dem Krieg ein überzeugter Nazi und das führte dazu, daß ich mich dadurch in der Gesellschaft immer mehr isolierte. Zwar gab es auch Leute, die mich deswegen mochten und ermunterten so weiterzumachen, doch das taten jene nur heimlich, in der Öffentlichkeit dagegen verurteilten sie das alte Regime, auch wenn sie selbst zu seinen allergrößten Fans gehört hatten.
Das deutsche Volk wurde von den Besatzern systematisch umerzogen und in Bayern wurden aus den Nazis lauter Bazis. Bazis bedeutet nicht etwa bayerische Nazis, sondern eher Gauner, Lumpen, Hallodris, Spitzbuben und Schlitzohren. Jene rafften sich was sie kriegen konnten und zu ihrer bevorzugten Partei im Bayerischen Landtag wurde die CSU, denn die praktizierte so etwas in Gestalt von Hans Werner Braus und etlichen seiner Kollegen ebenfalls ungeniert.
Um an dieser Stelle ein großes Mißverständnis endlich mal auszuräumen: Natürlich rückten die Bayern noch enger zusammen, wenn ein bestimmtes angebliches Polit-Magazin aus Hamburg mal wieder über ihren Hans Werner herzog und ihm alles Mögliche unterstellte, aber wir waren nicht so blöd zu glauben, daß an den Vorwürfen überhaupt nichts dran war. Ganz im Gegenteil, viele von uns waren sogar sehr stolz darauf, daß es der Braus so toll trieb und ihm trotzdem niemand etwas anhängen konnte, das war schon sehr beeindruckend.
Der Bayer an sich ist so etwas wie der Italiener Deutschlands. Vetternwirtschaft, Filz und Amigos waren und sind ihm keineswegs fremd, ganz im Gegenteil, sie gehören zu seinem Leben dazu. Alle Räder möchten geschmiert werden und wer als Unternehmer der CSU oder Braus Geld gegeben hat, der brauchte selbstverständlich weniger oder gar keine Steuern ans Finanzamt zahlen. Sonst hätte man sich die Spende ja sparen können. Braus umgab sich mit Milliardären und ließ sich von denen aushalten, das ist mittlerweile bekannt und auch früher hieß es schon oft auch in Kreisen der CSU, daß es sich bei den Mann um einen eiskalten Geschäftsmann mit Selbstbedienermentalität gehandelt hat. Die Mafiamethoden mit Omerta und der Ausschaltung von Gegnern wurden dort ebenfalls höchst erfolgreich praktiziert Auch die Menschen in Bayern wußten das, fanden es aber überhaupt nicht schlimm, denn das gehörte schließlich dazu.
Nicht umsonst landeten fast immer die Skrupellosen an der Macht, welche sie dann auch ohne Rücksicht auf Verluste für die eigenen Zwecke mißbrauchten. Ein Hauch von Korruption haftete der CSU schon seit jeher an und auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben, bei der NSDAP war es nicht viel anders.
Verstehen Sie jetzt endlich, warum ausgerechnet diejenigen, welche in der Verwandtenaffäre des Bayerischen Landtags an den Pranger gestellt worden waren, mit die besten Ergebnisse bei der Landtagswahl 2013 erhalten haben? Ganz genau, "a Hund is er scho", murmelte der bayerische Wähler anerkennend und schenkte dem Skrupellosen sogleich sein Vertrauen und damit auch seine Stimme.
Egal, die Bayern hatten sich mit der CSU ihren Ersatz gebastelt und lebten fortan in ihrer blau-weißen Diktatur, in der ab 1962 nur noch eine Partei ganz allein das Sagen hatte, fröhlich vor sich hin. Da kann man sich dann auch durchaus vorstellen, was für ein Schock es 2008 für die CSU war, als sie plötzlich mit einer anderen Partei koalieren mußte, so etwas hatte sie total verlernt und wollte es sich auch nicht wieder beibringen, wozu auch, schließlich gehörte Bayern der eigenen Partei.
Vielleicht mal zwischendurch einige Details aus meinem eigenen Leben. Ich hatte mich nach dem vermasselten Endsieg und nachdem ich dann 1948 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, in Murnau am Staffelsee niedergelassen. Ein wunderschönes Fleckchen Erde, dort kam ich ein wenig zur Ruhe und hatte etwas Zeit, um dem viel zu schnell zu Ende gegangenen Dritten Reich nachzutrauern. Wie bereits erwähnt isolierte ich mich dadurch, daß ich immerzu von den guten alten Zeiten schwärmte, was mich aber nicht daran hinderte, diverse Frauen kennenzulernen und zu besteigen, die das Anrüchige an mir sehr erregend fanden. Eines Tages hatte ich davon genug und zog mich deshalb noch mehr aus der Gesellschaft zurück. Ich arbeitete