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Tod eines Agenten. Lars Gelting
Читать онлайн.Название Tod eines Agenten
Год выпуска 0
isbn 9783753189055
Автор произведения Lars Gelting
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Kapitel 1
Oslo, 12. September 2016.
Ein Montag, trübe, regnerisch, ohne jede Verheißung. Erik sah aus dem Hotelfenster, die Arme vor der Brust verschränkt. Schon seit zwei Tagen saß er hier fest, sah hinaus in den Regen und wartete darauf, dass es endlich losging. Wie er das hasste. Wie er diese Typen überhaupt hasste. Hier ging es um alles oder gar nichts und diese Typen spielten mit der Zeit.
Unten im Hafen schob sich eine Fähre der „Stena Line“ behäbig aus ihrer Anlegebucht, quirlte das dunkle Wasser an ihrem Heck schaumig auf. Schob sich dann wie in Zeitlupe an einer mächtigen, blauen Fähre vorbei, deren Heck eine endlose Schlange von PKWs und LKWs absonderte.
Erik sah das alles nicht. Unzuverlässigkeit war etwas, was ihm geradezu physische Schmerzen verursachte. Zumal, wenn es sich um solche riskanten Aktionen handelte. Sein Blick flog zum x-ten Mal hinüber zur Uhr am rechten Rathausturm: vierzehn Uhr fünfzig.
„Verdammt! Es reicht jetzt! Komm schon, Bengtson! Komm schon! Lass mich nicht hängen, Kerl!“
Mit zusammengepressten Lippen brannte er seinen Blick auf der Uhr fest. Er kam an diesem verdammten Bengtson nicht vorbei, aber geahnt hatte er es. Im Voraus schon, von Anfang an. Er kannte diese radikalen Typen. Die lebten nur in ihrer eigenen Welt, kannten nur ihre eigenen Regeln, waren einfach…
Hinter ihm auf dem Tisch gab das Smartphone ein klares „Ping“ von sich. Er fuhr so heftig herum, dass er gegen die Tischkante stieß. Griff nach dem Smartphone und öffnete die eingetroffene Mitteilung.
„Hau ab! Verschwinde aus Oslo. Sofort! Treffen achtzehn Uhr Scandinavian in Arvika. S.B.“
Was sollte das denn jetzt? Verschwinden! Er zog seine Tasche heran, schob sein Laptop noch hinein und war schon an der Tür. Offensichtlich hatte der Bengtson tatsächlich was ziemlich Heißes in der Pfanne. Davon war im Voraus nicht die Rede. Verdammt! Und dann jetzt „Arvika“. Wo lag denn das jetzt? Wo lag Arvika? Er hetzte zu seinem Auto, weckte sein Navi, sah sich die Karte an: Arvika in Schweden, hundertsechzig Kilometer von Oslo entfernt. Er brauchte nur der E18 zu folgen. Mit etwas Glück war das machbar. Aber das war auch wieder so etwas. Warum nicht neunzehn Uhr? Du verdammter Kerl weißt genau, dass ich hier in Oslo bin. Er schaltete das Navi aus, fädelte sich in den Verkehr ein.
Zwanzig Minuten später lag Oslo hinter ihm, die Grenze nach Schweden überfuhr er um sechzehn Uhr fünfunddreißig. Der Regen wurde stärker.
Zwei Kilometer hinter Töcksfors kroch vor ihm ein mit Baumstämmen beladener LKW aus einem Waldweg auf die Fahrbahn. Erik ließ sich etwas zurückfallen, wollte nicht den hochgewirbelten Dreck auf der Scheibe haben.
Die Zeit rann dahin. Er setzte mehrere Male zum Überholen an und musste doch wieder hinter den LKW zurück. Und dann wurde er allmählich unruhig. Er saß fest hinter dem LKW, während ihm die Zeit davonlief. Als er ihn endlich an einem Berg überholen konnte, war es siebzehn Uhr fünfundzwanzig. Er fuhr am Ortseingangsschild von Arjäng vorbei.
Arjäng! Nur einen Atemzug lang stockte er, dann wusste er, dass etwas verkehrt lief. Er war noch auf der E18, aber Arjäng lag nicht auf seiner Strecke. Dort gab es vor Arvika keinen Ort dieser Größe.
Er steuerte den nächsten Parkplatz an, stieg aus und lief durch den Regen zu einem Toilettenhaus. Die eintönige Fahrt hinter dem LKW, das regelmäßige Schrubben der Scheibenwischer – er hatte sich einlullen lassen. Es musste irgendwo einen Abzweig nach Arvika gegeben haben, und den hatte er übersehen.
Ein langer Kühl-LKW donnerte in einer Gischtwolke vorbei, zog seinen Blick hinter sich her. Er würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Die Erkenntnis schmerzte geradezu. Bengtson war eine vorsichtige Ratte. Der würde sich kaum ein zweites Mal herauslocken lassen.
Erik sandte ihm eine SMS, bat um Zeitverlängerung. Die Antwort kam prompt: „Ok, bis achtzehn Uhr dreißig.“ Es war siebzehn Uhr siebenunddreißig. Kaum eine echte Chance. Verdammt noch mal, was sollte das für ein Spiel sein?
Er stieg wieder ein, rief sein Navi auf, änderte das Routenprofil auf „kürzeste Strecke“ und gab „Arvika“ ein. Unbekannte Gegend, Dunkelheit und heftiger Regen, was sollte da schon passieren? Er entschloss sich, alles auf eine Karte zu setzen, schloss die Wagentür, und fuhr wieder zurück auf die Straße.
„Nach zweihundert Metern rechts abbiegen.“
Na also. Seine Laune hellte sich im gleichen Maße auf, in dem es allmählich dunkel wurde.
Er bog ab, folgte nach wenigen Minuten der neuen Anweisung und war dann auf der Straße nach „Lenungen“ und zum „Naturreservat Glaskogen“.
Das Navi wusste offenbar, was er bevorzugte: asphaltierte, gerade verlaufende Straßen und möglichst kein Verkehr. Er jagte den BMW die Straße entlang, schien das einzige Fahrzeug auf dieser Strecke quer durch den Wald zu sein. Misstrauisch machte ihn diese Tatsache erstmal nicht.
Vier Kilometer später war jedes Misstrauen überflüssig. Übergangslos wechselte der Straßenbelag von Asphalt zu Schotter. Er ahnte sofort, dass er sich verpokert hatte: Regen, Dunkelheit und Schotterstraße quer durch den Wald. Das war wohl die mieseste aller Karten, und er musste sie auf Gedeih und Verderb spielen
Inzwischen leuchteten die Scheinwerfer eine Regengasse zwischen den Bäumen aus, in der nur sichtbar wurde, was das Licht erfasste. Immer wieder tauchten Kurven überraschend vor ihm auf, zwangen ihn zu hektischen Reaktionen. Die Zeit saß ihm im Nacken, die Fahrt wurde allmählich anstrengend und er verfluchte sein Navi.
Die Scheibenwischer! Ihr hastiges Hin- und Herhudeln nervte ihn, machte ihn kribbelig. Außerdem beschlugen die Scheiben. Er tastete nach dem Schalter der Klimaanlage. Im gleichen Augenblick huschte etwas durch sein Blickfeld. Sein Blick zuckte hoch: Im bisher dunklen Rückspiegel bewegten sich die Scheinwerfer eines anderen Fahrzeugs, undeutlich und noch weit hinter ihm. Er ließ den Heckscheibenwischer arbeiten.
Das Gebläse der Klimaanlage lief auf Hochtouren, und er sah wieder in den Rückspiegel. Die Scheinwerfer kamen näher. Solange er auf dieser Schotterpiste fahren musste, mochte er nicht überholt werden und dann eine Dreckschleuder vor sich haben. Er erhöhte die Geschwindigkeit noch etwas, sah in den Spiegel; das Fahrzeug hinter ihm kam dennoch näher heran.
Vor ihm tauchte die nächste Kurve auf. Der BMW rauschte durch eines der gefühlt zwei Millionen Schlaglöcher, das Wasser spritzte hoch bis an die Seitenscheiben, und gleichzeitig tauchte am Rand der Straße ein kleines, weißes Haus auf. Das Scheinwerferlicht huschte nur rasch über eine Wand, er erkannte eine kleine Treppe zur Haustür und ein einzelnes erleuchtetes Fenster. Dann war er vorbei. Im Scheinwerferlicht vor ihm lag wieder die aufgeweichte Straße.
Erik sah in den Rückspiegel, zurück zur letzten Kurve. Sah schon den Lichtschein, und sofort danach tauchten in der Kurve die Scheinwerfer auf. Sein Verfolger kam ihm unerbittlich näher, und das machte ihn nervös. Deutlich konnte er jetzt erkennen, dass es sich um ein höheres Fahrzeug handeln musste, einen Geländewagen.
Und auf einmal war er zu schnell. Die Kurve raste im Regen auf ihn zu. Er war viel zu nah dran, drohte den BMW zu verlieren. Bäume, nur noch Bäume tauchten vor ihm im Scheinwerferlicht auf. Fluchend zog er das Lenkrad herum, weg von den Bäumen. Von unten schlugen Steine gegen den Boden, während er den Wagen durch die Kurve zwang. Eine gefühlte Ewigkeit lang raste er am Rand der Straße entlang, bis er endlich aus der Kurve hinausfuhr, wieder Gewalt über den Wagen bekam.
Angespannt riskierte er einen schnellen Blick in den Spiegel. Der Kurvenbereich hinter ihm war schon hell beleuchtet.
Etwas