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Tod eines Agenten. Lars Gelting
Читать онлайн.Название Tod eines Agenten
Год выпуска 0
isbn 9783753189055
Автор произведения Lars Gelting
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Sobald ich ganz sicher bin, werde ich dem Kerl aufs Fell rücken, Rudi. Ich werde ihm die Rechnung für seine Schweinereien präsentieren und ihn dafür bluten lassen.“
Rudi nickte verstehend, strich sich mit Zeigefinger und Daumen über seinen buschigen Schnauzbart, als wolle er die Borsten seitwärts in Form bringen. Das tat er immer, wenn ihn etwas besonders beschäftigte oder wenn ihn etwas aufbrachte, erzürnte. Etwas steif ging er ins Haus und kam einen Moment später mit zwei Flaschen Bier wieder heraus. Im Vorbeigehen hielt er Erik eine hin, setzte sich dann wieder und hielt die Flasche mit dem Boden voran herüber, um anzustoßen.
„Es gab wohl keinen Tag in den vergangenen zwanzig Jahren, an dem ich mir nicht gewünscht habe, diesen Hund zur Strecke zu bringen. Das ist ein ständiger, bohrender Schmerz.“ Er nahm einen Schluck aus der Bierflasche, sah mit zusammengepressten Lippen raus aufs Wasser, wo der Fischkutter jetzt Fahrt aufgenommen hatte, die Horde kreischender Möwen im Schlepptau.
„Man gewöhnt sich nicht daran, aber irgendwann hält man das aus. Notgedrungen. Dem Kerl ist nicht mehr beizukommen, diesem Verbrecher.“
„Du weißt, dass das nicht so ist. Du leidest, deine Umwelt leidet und der Kerl lebt derweil ein geradezu feudales Leben. Ich denke, wir wissen jetzt, wo er sich versteckt, und jetzt holen wir ihn uns.“
„Nein! Werden wir nicht!“ Mit einem entschlossenen Ruck hatte Rudi sich ihm zugewandt, „Wir schon gar nicht und du auch nicht.“ Rudis Augen waren immer etwas feucht, jetzt aber blickten sie ihn an, dunkel und klar, als habe Rudi gerade eine Anweisung gegeben, von der er erwarten konnte, dass sie eingehalten wurde. Danach nahm er seine gewohnte Haltung wieder ein, strich sich mehrmals über seinen Schnauzbart. „Zu wissen, dass dieser Ganove mit einer falschen Identität in der vornehmsten Ecke von Kiel lebt, als wäre er dort geboren, das setzt einem zu. Das macht einen wütend, aber das hilft uns gar nichts.“
Erik sah ihn einen Augenblick verstört an, schüttelte leicht den Kopf.
„Du weißt, wo der Kerl sich aufhält? Seit wann weißt du das?“
„Das spielt keine Rolle. Ich weiß es jedenfalls.“ Rudi sah ihn an, aufgebracht jetzt. „Und ich weiß noch einige anderen Dinge, die du nicht weißt. Und deshalb sage ich dir, an den kommst du nicht heran, ohne Kopf und Kragen zu riskieren. Denkst du, ich hätte sonst all die Jahre stillgehalten?“
„Verdammt noch mal! Verstehe ich das Spiel hier falsch, Rudi? Der Kerl lebt dort mit einer gestohlenen Identität. Der hat sich durch seine Schweinereien strafbar gemacht. Damit kann ich ihm doch kommen. Und ich werde mir seine Akte ansehen, das kann ich, und der war Stasioberst. Ich werde etwas finden, um ihm einen Strick zu drehen. Was soll daran falsch oder sogar bedrohlich sein?“
„Dass du keine Ahnung hast.“ Rudi saß jetzt ganz aufrecht auf der Bank, schob ihm sein Gesicht entgegen, zornig jetzt. „Du springst im Dunkeln in einen Teich, von dem du nicht weißt, wie tief er ist und wer alles darin herumschwimmt. Was weißt du schon! Du siehst nur diesen Doktor. Aber ich sage dir: Kommst du dem zu nahe, dann wirst du sehr schnell das Gefühl haben, mitten auf einem brennenden Feld zu stehen. Und diese blöde Akte, die kannste getrost vergessen.“ Rudi lehnte sich wieder zurück und strich energisch über seinen Schnauzbart.
„Akte! Die ist so sauber wie Mutters Küchentisch. Da findste nichts mehr.“
Einen Augenblick sagte er nichts, verschränkte die Arme vor der Brust und biss die Zähne aufeinander, dass die Wangenmuskeln hervortraten.
„Wir haben Verantwortung, Erik. Vergiss das nicht. Helga und Kathrin brauchen uns und das geht vor. Unbedingt. So weh es auch tut: Wir werden diesem Ganoven nicht mehr auf die Füße treten. Wir werden das nicht tun.“ Den letzten Satz hatte Rudi wie eine unmissverständliche Anweisung ausgesprochen. Eine Anweisung, bei der die Drohung für den Fall der Nichtbefolgung schon mitklang.
Rudi nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, sah ruhig hinaus auf den Bodden, auf dem der Fischkutter nicht mehr zu sehen war.
Nach einer ganzen Weile dann, ohne die Haltung zu verändern, „ich kann dich nur zu gut verstehen, Erik. Ich war in Kiel. Ich habe ihn von seiner Villa wegfahren sehen, in seinem schwarzen Mercedes. Erschießen hätte ich den können. Ohne Skrupel ein ganzes Magazin in diesen korrupten Körper jagen. Ich hätte es nur zu gern getan und bin bald wahnsinnig geworden an der Unmöglichkeit, das auszuführen. Wir können das nicht tun. Was soll dann aus Kathrin werden? Sie kommt auf dieser Welt nicht mehr alleine klar. Es geht nicht, Erik.“
„Wir müssen ihn ja nicht gleich erschießen. Der Kerl hat gegen Gesetze verstoßen. Wir schicken ihm den Polizeiapparat auf den Hals. Wir verklagen ihn.“
„Wenn das so einfach wäre, warum habe ich das dann wohl nicht getan? Hältst du mich für so blöd oder nur für so alt?“ Rudi wandte ihm kurz das Gesicht zu, sah dann wieder hinaus. „Die Anzeige kannste noch aufgeben. Danach wirste durch einen ganz alltäglichen Verkehrsunfall oder auf andere Art aus der Angelegenheit entfernt. Ich weiß, dass es genau so läuft, Erik. Und das glaub mir jetzt und gib den Kerl auf.“
Er kramte seine abgegriffene Pfeife wieder aus der Jackentasche, stopfte mit seinem kleinen Finger im Pfeifenkopf herum, setzte den Tabak mit einem Streichholz in Brand und sog einige Male an der Pfeife, bis sie zuverlässig gleichmäßig rauchte.
„Wie bist du dem Ganoven überhaupt auf die Spur gekommen? Kann ja nicht ganz einfach gewesen sein.“
„Ich habe ihn auf einem Foto erkannt. Er ist im Juni in Kiel geblitzt worden und ich habe zufällig den Bußgeldbescheid in die Hände bekommen. Das Auto gehörte zwar jemand anderem, aber er saß am Steuer. Außerdem habe ich einige Tage mit der Frau, mit der er zusammenlebt, in Schweden unter einem Dach gelebt. Es war das Zusammensetzen eines Puzzels.“
„Weiß die Teisch jetzt, wer du bist?“
„Nein. Natürlich nicht. Aber Rudi, ich wüsste jetzt gerne mal, woher du alle diese Informationen hast. Die stehen nicht in der Zeitung. Rudi, du hast Insiderwissen. Woher?“
„Wissen Helga und Kathrin schon etwas?“
„Rudi, ich habe dich gerade etwas gefragt. Woher hast du all diese Informationen? Du bist nicht der Neugierige, bist kaum unter Leuten, du wohnst hier in Greifswald, weit ab vom Schuss, aber du bist informiert. Woher hast du diese Informationen?“
Rudi stand ruhig auf, streckte sich, nahm seine Pfeife aus dem Mund und klopfte durch einen kurzen, harten Schlag auf die Handfläche die Asche aus dem Kopf.
„Ich habe sie halt.“ Er steckte die Pfeife wieder in seine Jackentasche, nahm die leere Bierflasche, hielt Erik die Hand hin, um auch dessen Flasche mit ins Haus zu nehmen. „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wichtig ist, dass du den Frauen nichts erzählt hast.“
„Dann sind wir beiden jetzt also Geheimnisträger, jeder für sich. Ist das wie in alten Zeiten?“
Rudi ging einfach weiter, brachte die Flaschen ins Haus und kam wieder heraus. Einen Atemzug lang blieb er in der Tür stehen, abschätzend, das Kinn leicht vorgestreckt, den Mund geöffnet, als wolle er etwas sagen. Dann löste er das Bild auf. Strich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnauz, trat ganz heraus und schloss die Tür.
„Gehen wir. Und kein Wort von alledem zu Hause.“
Auf dem Weg zurück redeten sie nur wenig miteinander. Rudi wirkte angespannt und schnaufte, während er sein Fahrrad am Fluss entlang nach Hause schob.
Helga erkannte sofort, dass etwas nicht so war wie sonst. Ihr Blick traf Rudi nur ganz kurz und bohrte sich dann in Eriks Augen. Es war nicht möglich, vor Helga etwas zu verbergen. Er musste sich eine gute Ausrede einfallen lassen.
In den nächsten Tagen saß Helga ihm im Nacken, wann immer er in ihre Nähe kam. Er begann, ihre Sanftheit zu hassen, mit der sie ihn