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      Gabriel Ferrys

      Der Untergang der Amazone

      Wir finden in den französischen und englischen Blättern Details über den, von wahrhaft erschütternden Umständen begleiteten Untergang, dieses großen neuen Dampfschiffes, das zum ersten Mal die Fahrt nach Amerika machen wollte und dazu am 2.d.Mlts, den Hafen von Southampton verlassen hatte. Mehr als hundert Personen sind mit dem Schiffe zu Grunde gegangen, unter ihnen einer der ausgezeichnetsten und geistreichsten Schriftsteller der ganzen französischen Literatur.

      Ein französischer Kaufmann, der Passagier auf der Amazone war, erzählt im Journal des Debats: „Am 2., um 4 Uhr nachmittags, waren wir in See gegangen. Wir bewunderten alle den Bau des ungeheuren Paketbootes, die Schnelligkeit seines Ganges: wir rechneten aus, dass wir in 13 oder 14 Tagen schon in St. Thomas sein würden, und dachten nur an das schöne Klima der Tropenländer. Am 5., abends um 9 Uhr, begab ich mich zur Ruhe in meiner Kabine, im Vorderteil des Schiffes. Wenige Stunden nachher ward ich durch den Ruf: Fire, Fire! erschreckt. Ich stürzte augenblicklich zum Bett hinaus, und nachdem ich bloß nach dem allernötigsten Kleidungsstück gegriffen, eilte ich auf das Vorderteil des Verdecks, dessen ganze Mitte schon in Flammen stand. Es war keine Rettung mehr zu hoffen, als durch die Boote, welche immer auf dem hinteren Teile des Schiffes ihren Platz haben. Ich musste also durchaus nach diesem hinteren Teile, aber ein Flammenmeer lag zwischen ihm und mir in der Mitte. Ich erinnere mich nur, dass ich meine Seele Gott empfahl und dass ich mich in die Flamme warf mit dem Gedanken, dass ich in den ungeheuren Feuerschlund stürzen würde. Einige Sekunden darauf befand ich mich glücklich auf dem Radkasten der Backbordseite. Von da gelangte ich auf den hinteren Schiffsteil. Von sieben Fahrzeugen, die wir an Bord hatten, waren bereits zwei im Meere. Dieses ging hoch, der Wind war heftig und conträr. Der Kapitän und einige Offiziere waren am Steuer und strengten sich an, das Schiff vor den Wind zu bringen, um den Schiffsteil, auf dem wir uns befanden, womöglich einige Zeit länger vor dem Brande zu bewahren. Es war zu spät. Der Dampf wirkte nicht mehr, das Schiff gehorchte dem Steuer nicht.

      Die Flammen nahten mit unglaublicher Schnelligkeit. Der Kapitän Symmons schrie nun: ‚Boats for ladies! Boats for passengers!‘ Er hielt ein Pistol in der Hand; so sehe ich ihn noch einen Offizier, der in eines der Boote niederstieg, zum Wiederheraufkommen zwingen. Es war in demselben Augenblicke, dass zwei der Fahrzeuge in dem Drängen und Stürmen nach Rettung umschlugen und alle Unglücklichen, die sich darin befanden, in den Wellen begruben! Eines der Boote hing noch am Schiff, Matrosen waren beschäftigt, es flott zu machen, um sich hinein zu werfen. Als ich ihr All right! (Alles fertig) hörte, ließ ich mich am Geländer der ersten Treppe hinuntergleiten und fiel geschunden und gebrannt in das Boot hinab. Einige Augenblicke, ehe ich das Schiff verließ, hatte ich mit einem meiner Landsleute gesprochen, der, in einen Mantel gehüllt, sich in der Nähe des Kapitäns hielt. Ich fragte ihn: ‚Was wollen Sie tun?‘ Er antwortete: ‚Sterben. Ich ziehe vor, hier zu bleiben!‘ – Es war der Abgesandte der französischen Regierung nach San Franzisko, um dort die Personen in Empfang zu nehmen, welche man mit dem Überschuss der Goldbarren-Lotterie dahin senden will, Hem von B., früher Mitarbeiter der Revue des deux Mondes und Verfasser des Romans Le Coureur des Bois – unter dem Pseudonym Gabriel Ferry. – Es mochte halb zwei Uhr in der Nacht sein, als unser Boot sich von der Amazone losmachte und bald darauf verschwand. Eine Engländerin mit einem Kinde von 14 Monaten, ein Engländer, dreizehn Matrosen und ich füllten das Fahrzeug. Die Wogen gingen hoch. Um ein Segel zu bekommen, nahm man der Dame, die so viel Geistesgegenwart bewies, um ihr Kind zu retten, und die jetzt, seit wir die Amazone verlassen, ohnmächtig dalag, ihr einziges Gewand. Unsere Lage war schaurig. Wir waren ohne Kleider, und es regnete; die Brandwunden und Verletzungen, die ich erhalten, wurden höchst schmerzlich. Wir hatten kein einziges Schifffahrtsinstrument, gar keine Lebensmittel, und obendrein teilte mir der Engländer mit, er habe einen der Matrosen einen anderen fragen hören, ob er ein Messer besitze, worauf dieser geantwortet: ‚Ich habe eins und ein sehr gutes‘. Trotz meines Vertrauens auf die Vorsehung hatte ich nur noch sehr wenig Hoffnung und war entschlossen, wenn die nächste Nacht käme, ohne dass wir gerettet würden, meinem Leben ein Ende zu machen. Als der Tag sich zum Ende neigte, entdeckten wir am Horizont die Spitze eines Mastes: die Hoffnung kehrte in unsere Herzen zurück: wir ruderten mit aller Kraft darauf zu: der Mast vergrößerte sich, wir nahmen die Segel wahr … wir wurden endlich gesehen.“

      Das Schiff war der holländische Galiote Gertruida, deren Kapitän die Schiffbrüchigen nach dem noch siebenzig Meilen entfernten Brest brachte. Die Dame, die ihr Kind rettete, indem sie es fest umklammert hielt, hieß Mistreß Maclennan; ihr Gemahl, Beamter in Demeraiy, ist durch die Explosion der Sainte-Barbe (Pulverkammer) umgekommen. Außerordentlich wird das Benehmen des englischen Konsuls in Brest zur Unterstützung der von Allem entblößten, beinahe nackten Unglücklichen gerühmt. -

      Einer der Matrosen, der in einer anderen Schaluppe gerettet wurde, James Heylin, hat in Southampton vor der Untersuchungskommission ausgesagt: „Um ein Viertel vor ein Uhr hörte ich die Alarmglocke und erblickte das Feuer aus einer Luke schlagen. Ich eilte zu den Eimern, um zu löschen; in diesem Augenblicke stürzte der Kapitän herbei. Er behielt seine volle Geistesgegenwart und erteilte den Umstehenden kaltblütig seine Befehle. Eine Szene des Grausens und unbeschreiblicher Verwirrung folgte jetzt: ich höre noch die Schreie der Verzweiflung, der herzbrechenden Angst der Passagiere, das Gebrülle der von den Flammen umzingelten Tiere vor meinen Ohren; eine große Zahl von Personen sah ich auf das Verdeck stürzen, von Schrecken erstarrt, viele fürchterlich verbrannt; mehrere fielen tot nieder, erstickt oder in Folge der Brandwunden, oder wurden ohnmächtig vor Entsetzen. Während ich half, die Schaluppe, in der wir uns gerettet haben, fertig zu machen, stürzte eine Dame von den Passagieren aufs Verdeck. Sie hatte keine weitere Kleidung als ihr Nachthemd an und war furchtbar verbrannt. Dreimal wurde sie in die Schaluppe gebracht; man schrie ihr in der Eile zu, man werde ihr Kleider genug geben, wenn die Schaluppe einmal auf dem Wasser sei; aber das Gefühl der Scham war mächtiger in ihr als die Lebenslust, sie blieb zurück und muss umgekommen sein. – Der Tag stieg herauf, bevor die Amazone unterging: ich sah es deutlich, als die Sainte-Barbe explodierte und eine ungeheure Masse von Geschützstücken und Trümmern in die Luft schleuderte. – Als wir 25 bis 30 Meilen gerudert waren, bemerkten wir ein Schiff, das wir mit aller Gewalt anriefen. Ich bin überzeugt, dass wir gesehen wurden: eine Laterne geriet in Bewegung, als ob man untersuchen wolle, von welcher Seite das Geschrei komme; aber das Schiff fuhr weiter, ohne sich um uns zu bekümmern.“

      Nach Angaben in Illustrated News war die Amazone das größte in England aus Holz gezimmerte Dampfschiff. Sie hatte eine Tragkraft von 3.000 Tonnen, war 310 Fuß lang, hatte 50 Passagiere und eine Ladung von etwa 100.000 Pfund Wert an Bord; das Schiff selbst hatte über 100.000 Pfund gekostet und war nicht versichert. Das Unglück während des Brandes war gesteigert dadurch, dass die Rettungsboote unzweckmäßig und zu fest am Schiff befestigt waren. Unter den Umgekommenen befindet sich auch eine englische Notabilität, Elliot Warburton, der im Auftrage der Atlantic and Pacific Juncton-Company mit den Indianerstämmen in Darien ein friedliches Einvernehmen anzubahnen versuchen wollte. Gerettet wurden von den 161 Personen an Bord nur 46; 115 kamen um.

      Anmerkung: Gabriel Ferry (v. Bellamare) ist der Verfasser der trefflichen, meisterhaft zu nennenden Schilderungen: „Szenen aus dem Leben in Mexiko“, welche seit Jahren schon den Journalen und Feuilletons, die sich von Übersetzungen aus dem Französischen ernähren, hoch willkommen waren. A.d.R.

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      1913 erschien in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (Nr. 257, 16. Sept.) im Feuilletonteil ein Artikel über Gabriel Ferry-de-Bellemate von Alfred Kitt. Der Autor würdigt darin das literarische Schaffen des französischen Dichters und gibt einen Überblick über die wichtigsten Werke:

      Ferrys hervorragendste Schöpfung ist „Le Coureur de bois“, ein auch in den Deutsch sprechenden Landen durch zahlreiche ältere und neuere Übersetzungen und Jugend-Ausgaben verbreitetes Buch. Diese Übertragungen – eine solche ist auch in Reclams Universalbibliothek enthalten – geben indessen alle kein richtiges Bild der klassisch korrekten, schwungvollen Sprache des Originals. Unstreitig ein Meisterwerk in seiner Art, vielleicht der beste ethnographische Abenteuerroman, war der „Waldläufer“ ein halbes Jahrhundert lang das Entzücken einer für das Außerordentliche

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