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fort (S. 497), an die sündhafte und verlorene Menschheit. „Du hast Zeiten, wo jedes Wort von dir eine Predigt ist“. Hadschi Halef muss es wissen in der Erzählung „Ein Rätsel“ („Der Löwe der Blutrache“, Ges. Werke, Bd. 26, Bamberger Ausgabe. 353. Tsd., S. 412). Welcher wahre Prediger aber wäre nicht durchs tiefste Ardistan gegangen! Predigten also ganz vor dem Hintergrund dieser Welt. Ein Prediger in mühevollem Aufstieg zum lichten Dschinnistan – dieser geborene Erzähler Karl May, für den sich immerhin ein Herwarth Waiden im „Sturm“, der Kampfzeitschrift der Moderne, und ein Ludwig von Ficker, dessen „Brenner“ durch die Erstdrucke der Gedichte Trakls berühmt wurde, stark gemacht haben!

      Und so wissen wir denn spätestens seit Max Dittrichs, des getreuen Begleiters Untersuchungen über „Karl May und seine Schriften“ (Dresden 1904) von den drei Handlungsebenen namentlich im Spätwerk, deren fundamentale im wähnten Sinne des Wortes die 1“die realistische Ebene ist. Wie sehr der in schmutzige Anfeindungen verstrickte Schriftsteller die ihn bedrängenden Ereignisse und Menschen, Freunde wie Gegner, symbolhaft verschlüsselt und doch von sehr „realer“ Ebene, dem Alltag nämlich ausgehend, in sein Werk hat Eingang finden lassen, ist vielfach aufgezeigt worden: von Max Dittrich und Adolf Droop („Karl May. Eine Analyse seiner Reiseerzählungen“, Köln-Weiden 1909) bis zu Hansotto Hatzigs „Dokumente einer Freundschaft – Karl May und Sascha Schneider“ (Beitrag zur Karl-May-Forschung, Bd. 2, Karl-May-Verlag, Bamberg, 1967). Denn, so Hatzig (S. 167): „May aber wusste, dass es sich in dieser Welt nicht ohne Anwälte und Ärzte leben ließ“. Folglich, nochmals Hatzig (S. 136): „Zeitkritische Anspielungen waren durchaus Mays Sache“.

      3. Auch ein Agitator des Friedens

      Hatzig zitiert (S. 121 – 128) u.a. auch jenen wohl vom Juli 1906 stammenden Brief Mays an den Malerfreund Sascha Schneider, in dem es heißt: „Ihre Neigung zum Concreten und Realen kenne ich. Ich habe ganz dieselbe Neigung. Nur ist bei mir nicht bloß die Materie concret und real, sondern Beides ragt für mich über das physisch Stoffliche hinaus“.

      Und bekennerhaft:

      „Sie schreiben: ‚Als Kind einer bereits kommenden Zeit gehöre ich ganz der Erde an; mein Blick ist vorwärts gerichtet‘. So sind wir also Kameraden! Denn glauben Sie mir, ich trachte weder zurück, noch will ich sitzen bleiben. Wenn Jemand beinahe flammend an die Zukunft glaubt, so bin ich es, und grad dieses- mein felsenfestes Vertrauen auf die kommende Zeit – hat mir die Kraft gegeben, zu tragen, was ich zu tragen hatte. Und auch diese meine Zukunft gehört der Erde an“.

      Aber, bleibt die Frage, war es denn so weit her mit diesem felsenfesten Vertrauen auf die kommende Zeit? Hatte May doch immer wieder in bitterer prophetischer Vorschau vor den gewaltigen Vernichtungsmöglichkeiten eben dieser Zukunft gewarnt: den nahen Ausbruch des völkermordenden, weltumspannenden Krieges vorahnend. Wenige Tage vor seinem Tod noch sprach er im Wiener Sophiensaal davon! Förmlich ein Aufschrei wird laut in dem erwähnten Brief an Sascha Schneider:

      „Wehe und tausendmal wehe dem Volke, welches das Blut und das Leben von Hunderttausenden vergießt, um anderthalb Schock Ritter des eisernen Kreuzes erster Klasse dekorieren zu können!“

      Wiederholen wir uns diesen Satz mit Bedacht. Die „sogenannten Männer und Helden“ der Geschichtsbücher sind bestenfalls Historie. Kriege werden entschieden „durch gute Stiefelsohlen und chemische Teufeleien, durch Druck und Drill, durch Hunger und Fieber, durch wohlberechneten Transport, durch Riesenanleihen und andere sehr unrühmliche Dinge“. Trotz aller Beteuerungen Sascha Schneiders – „Sie aber, Verehrtester, begeben sich ganz ins Reich der Geister“ (von Hatzig zitierter Brief vom 3. Juli 1906; a.a.O., S. 120) – war May der größere Realist, „war nur noch Bekenner. So hatte er gehofft, dass Kaiser Wilhelm seine Friedenssymphonie, den ‚Mir von Dschinnistan‘, lesen und sich zu Gemüte fuhren würde. So naiv dieser Gedanke erscheint, so realistisch ist doch zu erkennen, auf welchem Gebiet der Kaiser des Deutschen Reiches besonders bildungsbedürftig war“ (Hatzig a.a.O., S.167)

      Und so müssen wir es mit Nachdruck wiederholen: Wie wenige seiner Zeitgenossen hat Karl May die mit den Massenheeren und der durch die rapide Weiterentwicklung aller Kriegstechnik ins schier Unermessliche gesteigerte Vernichtungskraft ihrer Waffen zusehends wachsenden Probleme erkannt! In deren grenzenloser Verkennung huldigte man in fast allen Kulturstaaten der Bejahung des Krieges – in England, Frankreich und Rußland ebenso wie in Deutschland und Österreich. Ja, eben hier postulierte der kk Generalstabschef (1906 – 11 und 1912 – 17) Franz Graf Conrad von Hötzendorf das Gesetz des unausweichlichen Kampfes, das am 28. Juli 1914 zur Kriegserklärung an Serbien und damit zu dem stets von May gefürchteten Weltkrieg fuhren sollte. Vielleicht war die Einladung des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik gar nicht so sehr zufällig? Vielleicht kam May gar nicht so von ungefähr nach Wien, um als letztes Vermächtnis in aller Öffentlichkeit gegen die ardistanische Kriegsbegeisterung seinen großen dschinnistanischen Friedensgedanken zu setzen? Denn dieser ein paar Tage vor seinem jähen Tod gehaltene Vortrag „Empor ins Reich des Edelmenschen“ wurde gekrönt durch die nachdrückliche Würdigung der Idee eines Völkerfriedens, die Bertha von Suttner, Wiener Baronin und Nobelpreisträgerin von 1905, vorgedacht hatte. Von dieser bedeutenden Frau, Agitatorin des Friedens, sah sich May in der Tat sehr wesentlich beeinflusst! Der biographische Band 34, Ich, und insbesondere die Jahrbücher KMG von 1970 (S. 47 – 97) und 1971 (darin: Hans-Otto Hatzig, Bertha von Suttner und Karl May, S. 246 – 258) berichten detailliert davon. Hatzig zitiert einen Ausspruch der Begründerin der Friedensbewegung, ja – so darf man wohl trotz ihrer heutigen Nichtbeachtung sagen – der Friedensforschung, – einen zweifellos auch ihrerseits von May stark beeindruckten Ausspruch: „Wenn ich nur eines dieser Werke hätte gestalten können, dann hätte ich mehr erreicht!“ Sie wird also die einschlägigen Werke des „Geehrten Gesinnungsgenossen“ gekannt haben. May hatte ihr nach Erscheinen sein Drama „Babel und Bibel“ dediziert; ihr war sicher auch seine radikale Friedensforderung „Und Friede auf Erden“ aus dem Jahre 1901 bekannt, die bezeichnenderweise im Dritten Reich „vergriffen“ war!

      Wir erinnern uns, dass bereits im Karl-May-Jahrbuch 1928 (S. 29ff.) Armand von Ozoroczy den Komplex „Karl May und der Friede“ dargestellt hat. Würde es sich nicht gehören, Mays Namen stets in diesem Zusammenhang zu nennen? Spricht doch in seinem großen Alterswerk „Ardistan“ (Ges. Werke, Bd. 31, Bamberger Ausgabe, 155. Tsd, S. 22) die uralte, weise Marah Durimeh von den „Friedenswissenschaften“ und prägt damit einen Begriff, der erst jetzt in unseren Wortschatz aufgenommen ist, als Friedensforschung!

      Denn es hat sich ja seitdem nichts geändert: „Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch“ („Ardistan“, a.a.O., S. 22). Hätte es unseren May überrascht, wenn er noch hätte erleben müssen, wie 1933 die deutschen Friedensgesellschaften wegen „landesverräterischer Tätigkeit“ aufgelöst wurden?

      4. Esch Schakad und die Revolte des Oberst Arabi

      Mag Karl May auch sein Leben lang der orientalischen Märchenwelt des Hakawati verhaftet geblieben sein, seinem sozialen Herkommen, seiner Entwicklung nach konnte er zwangsläufig den um ihn gezogenen Bannkreis des Alltags nie überschreiten. Sein Ardistan war ganz von dieser Welt! Zwar schlüpft er in die Maske esch Schakads, des Bettlers, der da hörend und schauend und ratend hockt unter dem Tor Bab Zuweileh in Kahira, Kairo. Doch auch hier nur Verkleidung, Flucht vor ardistanischem Ansturm:

      „An den Gassen- und Straßenecken standen bewaffnete Militärwachen, und auf einigen Plätzen sah ich sogar Kanonen. Es war jener 9. September 1881, an welchem Arabi Pascha mit 4.000 Soldaten und 30 Geschützen den Abdinpalast umzingelte und den darin residierenden Vizekönig zwang, das Ministerium Riaz zu entlassen, eine Verfassung zu gewähren und das Heer auf 18.000 Mann zu vermehren. Das war das Vorspiel zu dem Europäermord in Alexandrien und der Beschießung dieser Stadt durch die englische Flotte. Jetzt wusste ich nun freilich, dass sich mein Leben in Gefahr befand.“

      Das ist der sehr reale Hintergrund zur Erzählung „Der Kutb“, 1895 in „Benzinger’s Marien-Kalender“, Einsiedeln, publiziert und 1974 in „Der große Traum“, hrsg. von Heinz Stolte und Erich Heinemann (dtv 1034), S. 98-141; Zitat S. 120) wieder vorgestellt. Konkrete Daten, Zahlen, Namen, Fakten, die zum Zeitpunkt des

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