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sprach er in etwas unbestimmten Ausdrücken. Dass die Keime kaum den ursprünglichen Glutzustand überlebt haben könnten, erklärte er als ziemlich sicher. Sie wären infolgedessen erst später gekommen. Sind sie von selbst aus den abgekühlten, unorganischen Elementen des Erdballs entstanden? Sehr wahrscheinlich. Sind sie durch einen Meteor von außen her gekommen? Das war kaum denkbar. Im ganzen sprach der kluge Gelehrte sehr wenig dogmatisch über diese Dinge. Wir wären nicht imstande – oder wenigstens wir hätten es bis heute noch nicht erreicht, organisches Leben aus unorganischen Substanzen in unseren Laboratorien zu erzeugen. Die Kluft zwischen Totem und Lebendigem hätte bisher von unserer Chemie noch nicht überbrückt werden können. Aber es gäbe eine höhere und feinere Chemie der Natur, die mit Hilfe großer Kräfte und während langer Perioden wohl Resultate erzielen könne, die uns unmöglich wären. Hierbei müsse man es bewenden lassen.

      Dies führte den Vortragenden hin bis zu der großen Stufenleiter animalischen Lebens, die, tief unten mit Mollusken und kleinen Wassertieren beginnend, Sprosse für Sprosse über Reptilien und Fische zuletzt hinaufführt bis zur Känguruhratte, die lebendige Junge zur Welt bringt und als direkte Vorgängerin aller Säugetiere und daher vermutlich auch aller im Saal Anwesenden zu betrachten sei. (»Nein, nein!« rief ein skeptischer Student im Hintergrund.) »Wenn der junge Gentleman mit dem roten Schlips, der gerufen habe: Nein! nein!' und der vermutlich annehme, aus einem Ei ausgebrütet zu sein, ihn nach dem Vortrag erwarten wolle, so würde er sich freuen, das seltsame Wesen kennenzulernen.« (Gelächter.) »Der Gedanke, dass die Erschaffung dieses Gentlemans mit dem roten Schlips im Laufe dieses unendlich langen Naturprozesses den Höhepunkt bilden würde, wäre seltsam. Sollte der Entwicklungsprozess damit aufgehört haben? Hätten wir diesen Gentleman als den endgültigen Typus, als den Sinn und das Wesen der Entwicklung anzusehen? Er hoffe, dass er die Empfindungen des Gentlemans mit dem roten Schlips nicht verletzen würde, wenn er behaupte, dass, welche Tugenden der Gentleman in seinem Privatleben auch immer haben möge, die weitgreifenden Vorgänge im Universum keinen rechten Sinn hätten, wenn sie bereits jetzt am Ende ihrer Leistungen wären. Evolution bedeute nicht eine verschwendete Kraft, sondern sie wirke dauernd in der Richtung immer größerer Vollendung weiter.«

      Nachdem der Vortragende den Zwischenrufer so unter allgemeinem Gekicher mit rednerischer Anmut abgeführt hatte, wendete er sich wieder der Schilderung der Vergangenheit zu. Der Austrocknung der Meere, dem Auftauchen von Sandbänken, dem trägen, schleimigen Leben an ihren Ufern, den überfüllten Lagunen, der Neigung der Seetiere, sich auf die Schlammbänke zurückzuziehen, dem Überfluss der Nahrung, der ihrer dort wartete, und ihrer daraus resultierenden riesenhaften Größe. »Hier, meine Damen und Herren«, fügte er hinzu, »liegt der Ursprung jener furchtbaren Rasse von Sauriern, die uns noch heute erschrecken, wenn wir sie in Wealden [Geologisch interessantes, sich durch Kent, Sussex, Surrey und Hampshire hinziehendes Gebiet.] oder in den Schieferplatten bei Solnhofen erblicken, die aber glücklicherweise längst vor dem ersten Auftreten des Menschengeschlechts auf unserem Planeten ausgestorben sind.«

      »Das ist die Frage!« ertönte eine dumpfe Stimme auf der Rednerbühne.

      Professor Waldron war ein absolut disziplinierter Mann mit der Gabe kaustischen Humors, die es so gefährlich machte, ihn zu unterbrechen, wie das Beispiel des Gentlemans mit dem roten Schlips bewies.

      Aber dieser Einwurf erschien ihm so lächerlich, dass er nicht wusste, was er damit anfangen sollte. So sieht ein Vertreter der Shakespeare-Partei aus, wenn er einem unangenehmen Verfechter der Bacon-Theorie gegenübergestellt wird, oder ein Astronom, der von jemand angegriffen wird, der die Erde fanatisch für eine flache Scheibe erklärt. Er machte eine kurze Pause und wiederholte dann mit erhobener Stimme die Worte: »Die ausgestorben waren, bevor der Mensch auf der Erde erschien.«

      »Das ist die Frage!« erdröhnte die Stimme von neuem.

      Waldrons erstaunter Blick lief die Reihe von Professoren auf der Rednerbühne entlang, bis seine Augen die Gestalt Challengers erfasst hatten, der sich mit geschlossenen Augen und amüsiertem Gesichtsausdruck in seinem Stuhl zurücklegte, als wenn er im Schlaf lächelte.

      »Ich sehe,« sagte Waldron achselzuckend, »es ist mein Freund Professor Challenger.« Und er nahm, als ob diese Worte zur Erklärung ausreichten und nichts weiter dazu gesagt zu werden brauchte, unter allgemeinem Gelächter den Faden seines Vortrages wieder auf.

      Aber der Vorfall war damit durchaus nicht erledigt. Welche Wege durch die Wildnis vergangener Zeiten der Vortragende auch beschritt, alle schienen sie immer zu der Behauptung, dass das prähistorische Leben erloschen sei, hinzuführen, worauf jedesmal sofort das Gebrumm des Professors Challenger ertönte. Die Zuhörerschaft begann diese Einwürfe schon jedesmal vorauszuahnen und brüllte vor Entzücken, wenn sie fielen. Die überladenen Bänke der Studenten stimmten mit ein, und jedesmal, wenn Challengers Bart sich öffnete, ertönte aus hundert Kehlen, bevor er noch ein Wort gesagt hatte, der allgemeine Ruf: »Das ist die Frage!«, während eine Gegenpartei »Pfui« und »Zur Ordnung!« schrie. Waldron, obwohl ein erfahrener Redner und kräftiger Mann, wurde nervös. Er zögerte, stammelte, wiederholte sich, verfing sich in einem langen Satz und drehte sich schließlich wütend nach dem Urheber dieser Störungen um.

      »Das ist in der Tat unerträglich«, rief er, mit funkelnden Augen zum Gegner hinüberblickend. »Ich muss Sie bitten, Professor Challenger, diese dummen und unmanierlichen Unterbrechungen zu unterlassen.«

      Da wurde es still im Saal. Die Studenten waren starr vor Entzücken, als sie sahen, dass die hohen Götter im Olymp selbst miteinander in Fehde gerieten. Challengers schwere Gestalt erhob sich langsam vom Stuhl.

      »Ich muss im Gegenteil Sie bitten, Professor Waldron, keine Behauptungen mehr aufzustellen, die nicht im absoluten Einklang mit den wissenschaftlichen Tatsachen stehen.«

      Diese Worte lösten einen Sturm aus. »Pfui, Pfui!« »Lasst ihn doch sprechen!« »Schmeißt ihn raus!« »Stoßt ihn von der Rednerbühne!« »Ehrliches Spiel!« ertönte es aus dem allgemeinen Aufruhr, in dem sich Vergnügen und Verachtung mischten. Der Vorsitzende war aufgesprungen, winkte mit beiden Händen und blökte aufgeregt. »Professor Challenger – persönliche Ansichten – später –«, das waren die einzigen Worte, die man in diesem undeutlichen Gemurmel unterscheiden konnte. Der Störenfried verneigte sich, lächelte, strich seinen Bart und ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen. Waldron, hochrot und in kriegerischer Stimmung, setzte seine Ausführungen fort. Hin und wieder, wenn er eine Behauptung aufstellte, warf er einen giftigen Blick zu seinem Gegner hinüber, der, anscheinend im tiefen Schlummer, mit einem breiten, glücklichen Lächeln auf dem Antlitz dasaß.

      Schließlich war der Vortrag zu Ende – ich neige zu der Annahme, dass es ein vorzeitiges Ende war; denn der Schluss war übereilt und ohne Zusammenhang. Der Faden der Beweisführung war roh zerrissen und die Zuhörerschaft aufgeregt und erwartungsvoll. Waldron setzte sich, und nach einer Aufforderung des Vorsitzenden erhob sich Professor Challenger und trat an den vorderen Rand der Rednerbühne. Im Interesse meiner Zeitung habe ich seine Rede wörtlich stenographiert:

      »Meine Damen und Herren«, begann er inmitten einer andauernden Unterbrechung aus dem Hintergrund. »Verzeihung – meine Damen, Herren und Kinder – ich muss um Entschuldigung bitten, dass ich versehentlich eine beträchtliche Gruppe meiner Zuhörerschaft ausgelassen habe.« (Tumult, während dessen der Professor dastand, eine Hand erhob und liebenswürdig mit seinem riesigen Kopf nickte, als wäre er der Papst, der der Menge seinen Segen erteilt.) »Ich bin bestimmt worden, Professor Waldron den Dank der Versammlung auszusprechen für den sehr anschaulichen und gedankenreichen Vortrag, den wir soeben gehört haben. Er enthält einige Punkte, mit denen ich nicht übereinstimme, und es war meine Pflicht, auf sie hinzuweisen, sobald sie auftraten. Nichtsdestoweniger hat Professor Waldron seine Aufgabe gut gelöst, die darin bestand, einen allgemeinverständlichen und interessanten Bericht darüber zu geben, was er als die Geschichte unseres Planeten ansieht. Volkstümliche Vorträge hören sich ja ganz gut an. Aber Professor Waldron (er blinzelte mit liebenswürdigem Lächeln zu dem Vortragenden hinüber) wird entschuldigen, wenn ich sage, dass sie notwendigerweise sowohl oberflächlich als auch irreführend sind, sobald sie dem Verständnis einer ungebildeten Zuhörerschaft angepasst werden müssen. (Ironischer Beifall.) Volkstümliche Redner sind ihrer Natur nach Schmarotzer. (Professor Waldron

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