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bin ich hier.«

      Melzick wälzte sich auf die andere Seite und landete mit ihrer Nase an der Wand, die nach frischer Farbe roch. Es war kurz nach sieben. Das wusste sie, ohne die Augen zu öffnen. Sie hatte den Schuss gehört. Natürlich war es kein Schuss. Wie jeden Morgen um dieselbe Zeit hatte Frau Stalinke aus dem Erdgeschoss das Haus verlassen, um mit ihrem selbst gestrickten Kampfdackel das zu machen, was normale Hundebesitzer als „Gassi gehen“ bezeichnen. Frau Stalinke fasste diese Tätigkeit eher militärisch auf: Sie ging auf Patrouille, nicht ohne zuvor die Tür zum Treppenhaus einer Belastungsprobe zu unterziehen. Melzick hatte sich schon oft gefragt, woher diese Frau mit ihren dünnen Ärmchen die Wucht nahm, das ganze Haus erzittern zu lassen. Sie vermutete eine bisher unbekannte asiatische Kampfkunst. Die frische Farbe roch angenehm. Melzick nahm einen tiefen Zug durch die Nase und wusste im selben Augenblick, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Wie zur Bestätigung meldete sich ihr Handy. Auf ihr verschlafenes »Ja?« meldete sich Zacharias.

      »Morgen Mel. Heute geht’s rund. Bist du dabei?«

      »Wobei?«, antwortete sie umrahmt von einem herzhaften Gähnen.

      »Ach Schwesterchen! Ich hab dir doch den Link geschickt. Die Demo in Augsburg.« Melzick kratzte sich an der Nase, während sie in ihrem Gedächtnis kramte.

      »Was für’n Link? Welche Demo? Wer spricht da überhaupt?« Zacharias wollte schon empört loslegen. Im letzten Moment ging ihm ein Licht auf.

      »Keine Chance, Mel. Wenn du mich reinlegen willst, musst du früher aufstehen.«

      »Will niemand reinlegen, kleiner Bruder, will einfach nur liegenbleiben«, nuschelte Melzick und drehte sich auf den Rücken.

      »Hätte ich mir denken können«, sagte Zacharias mit vollem Mund und legte noch eins drauf. »Kommst eben jetzt auch schon ins Ego-Alter.« Er schmatzte genüsslich. »Fängt bei den meisten ab dreißig an, bist wohl etwas früher dran.« Melzick setzte sich abrupt in ihrem Bett auf und blinzelte den letzten Rest Schlaf weg.

      »Deine Provokationen waren auch schon mal cooler, Zack.«

      »Da gehen die Expertenmeinungen auseinander.« Zacharias hatte den Mund schon wieder voll.

      »Was kaust du mir da eigentlich andauernd vor?«

      »Etwas, worüber die Experten sich einig sind.«

      »Und das wäre?«

      »Meine Mango-Maccadamia-Muffins.«

      »Ok ok, Zack, heb mir welche auf.«

      »Sind schon eingepackt. Wir treffen uns am Bahnhof. Vergiss dein Transparent nicht.«

      »Was für’n Transparent denn?«

      »„Freiheit für Gluten“«, »„Nieder mit den freien Radikalen“«, was man eben so fordern darf als Polizeibeamtin.«

      »Ich denk das ist ’ne Klima-Demo.«

      »Na dann eben: „Inlandsflüge nur für Bienen“.«

      »Das ist mir zu lang.« Zacharias ließ einen Stoßseufzer hören.

      »Forget it. Hauptsache du machst mit.«

      »Was ist mit deiner Freundin Jocelyn?«

      »Was soll mit ihr sein?«

      »Könnte riskant sein, als Illegale bei einer Demonstration erwischt zu werden.«

      »Mel, es gibt keine illegalen Menschen.«

      »Du weißt, wie ichs meine.«

      »Weiß ich und Jocelyn weiß, was sie tut.«

      »Na dann — man sieht sich.« Zacharias wollte noch etwas sagen, überlegte es sich anders und legte auf. Melzick musste dran denken, wie Zacharias ihr die junge Frau aus Äthiopien vor ein paar Wochen vorgestellt hatte. Sie beschloss, sich bei Gelegenheit um eine Rechtsberatung zu kümmern. Zacharias war ein unverbesserlicher Optimist. Seine rosarote Brille war zu oft beschlagen. Er weigerte sich einfach, Schwierigkeiten wahrzunehmen, bevor sie ihm im Genick saßen.

      »Dafür hat er ja mich«, dachte Melzick, seufzte und sprang aus dem Bett.

      2. Kapitel

      Zweifel wollte sich auf nichts einlassen. Sein Vater hatte das Marmeladenglas in beide Hände genommen und drehte es hin und her.

      »Eine Vater-Sohn-WG wär doch mal was anderes«, brummte er. »Ed hat da überhaupt kein Problem damit. Wichtig ist ’ne klare Aufgabenverteilung. Du gehst zur Arbeit, um den Rest kümmert sich Ed. Das ist er gewohnt.« Zweifel nahm ihm die Erdbeermarmelade aus der Hand und stellte das Glas demonstrativ in den Kühlschrank.

      »Du fällst nicht mit der Tür ins Haus, du bretterst mit ’nem LKW in meine Küche. So funktioniert das nicht.«

      »Käme auf einen Versuch an. Und was den LKW angeht — das bisschen Zeug, was Ed hat, passt in einen VW Käfer.« Ed fischte ein Zuckertütchen aus der Schale, riss eine Ecke ab und beglückte den Orangensaft mit einer weiteren Überdosis. Zweifel beobachtete irritiert, wie sein Vater das Glas mit der linken Hand drehte und suchte nach Worten.

      »Es geht nicht. Ich will es nicht. Such dir bitte ein anderes Nest.«

      »Machst du dir Sorgen um deinen Zuckervorrat?«

      »Ich mach mir keine Sorgen. Ich ziehe um.« Eds rechte Hand verharrte mit dem inzwischen leeren Zuckertütchen zwischen Daumen und Zeigefinger über dem Orangensaft.

      »Wohin?«, fragte er, ohne seinen Sohn anzusehen.

      »Nach Friedberg.«

      »Welches Friedberg?«

      »Bei Augsburg.«

      »Wann?«

      »Ich bin mittendrin.«

      »Sieht gar nicht so aus.« Zweifel seufzte.

      »Liegt vielleicht daran, dass mein Zeug auch in einen VW Käfer passt.«

      »Hast du einen?«

      »Was?«

      »VW Käfer.«

      »Nein.«

      »Sondern?« Zweifel stieß noch einen tiefen Seufzer aus.

      »Cadillac Eldorado 1959.« Sein Vater warf ihm einen kurzen Blick zu und knüllte das Papiertütchen zusammen.

      »Viel zu schade für die Straße«, meinte er.

      »Das sehe ich anders. Ich sehe überhaupt vieles anders, als du, Dad, und deswegen würde es nicht funktionieren.« Ed warf ihm einen langen Blick zu.

      »Das sehe ich anders.« Unwillkürlich mussten beide lächeln.

      »Hört sich besser an, wenn du nicht in der dritten Person von dir redest«, sagte Zweifel und stellte die Margarine in den Kühlschrank. Sein Vater ließ sich von dem Frühstücks-Barhocker rutschen und hob einen Zeigefinger.

      »Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.« Er machte ein paar Schritte zur Tür hin, dann drehte er sich um. Seine grünen Augen musterten Zweifel.

      »Nach Eds Erfahrung gibt es drei triftige Gründe für einen Umzug: Du brauchst einen neuen Chef, du bist einer Frau auf der Spur oder du hast was ausgefressen.« Zweifel verschränkte die Arme.

      »Du hast einen Grund vergessen.«

      »Und der wäre?«

      »Flucht.«

      »Bist du auf der Flucht?«

      »Ich nicht, aber ich bin jetzt mal von dir ausgegangen.« Edwin Zweifel kam wieder zurück und stellte sich direkt vor seinen Sohn hin.

      »Wenn du glaubst, dass ich damals vor irgendwas geflohen bin, dann …« Er stockte, verlor die Konzentration. Er schloss die Augen und presste Daumen und Zeigefinger an seine Nasenwurzel.

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