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Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz
Читать онлайн.Название Der Gott des Zwielichts
Год выпуска 0
isbn 9783754187104
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der dritte Stoß blieb nicht unbeantwortet. Von weit her war ein dumpfes Grollen zu vernehmen, tief aus den Eingeweiden der Erde, und fast zeitgleich erschauerte der Berg. Der Boden bebte nur leicht, und doch setzte sich das Zittern an den Baumstämmen fort, lief wie eine Welle bis hinauf in die Kronen und in die äußersten Zweige. Vereinzelt segelten dürre Blattreste zu Boden, fielen abgestorbene Kiefernnadeln herab. Der Wald wurde aus seiner Winterruhe aufgeschreckt. Der Eichelhäher pfiff, und ein Eichhörnchen huschte verschreckt über nackte Äste.
Der Wanderer wandte wie suchend den Kopf. Dann, nach einem kurzen Moment des Zögerns, hielt er auf eine Felsspalte zu, die sich im Schoß des vor ihm hingebreiteten Hanges geöffnet hatte, jetzt nicht ohne Anzeichen leichter Erschöpfung.
Er tastete sich voran an trockenen, frisch geborstenen Wänden. Entlang unzähliger Windungen ging es tief ins Innere des Bergs. Bereits wenige Schritte nachdem er den Eingang hinter sich gelassen hatte, herrschte pechschwarze Finsternis. Kein Laut der Außenwelt drang mehr herein. Weiter und weiter ging es hinab, Biegung um Biegung wand sich der klammenge Weg in den Fels, sinnverwirrend, weil ohne jeden Anhalt zur Orientierung.
Wer jedoch die Fähigkeit besitzt, mittels Stockschläge den Schoß der Erde zu sprengen, oder eine andere Macht dazu zu bewegen ihn in seinem Namen zu öffnen, der ist sicher auch sonst auf keine gewöhnlichen Mittel angewiesen. Irgendwann, nach einer schier endlosen Wegstrecke, begann sich die rechte Felswand immer mehr herabzuneigen, bis die Enge erdrückend wurde. Der Spalt hatte jetzt eine leichte Schräglage und wurde so schmal, daß man sich nicht einmal mehr hätte umdrehen können. Dann schien auf einmal gar kein Durchgang mehr vorhanden zu sein, als die Wände so weit zusammenrückten, daß kaum mehr eine Hand dazwischen paßte. Genau an dieser Stelle war aber auch ein Luftzug zu spüren.
Eine Donnerstimme hallte mit solcher Macht durch den Fels, als ob sie allein den Durchgang sprengen sollte:
„Faowgh!!!“
Dumpf setzte sich das Echo auf der anderen Seite des Spalts fort und verlor sich in der Weite einer Felshalle gewaltigen Ausmaßes. Sonst war keine Antwort zu vernehmen, aber dafür begann sich der Felsriß nach und nach glutrot in der Dunkelheit abzuzeichnen, wie eine Ader schmelzenden Erzes.
„Faowgh!“ brüllte der Besucher erneut. „Laß mich ein, du stinkende Schlange! Du bist der einzige Gebieter an diesem Ort. Nur dir gehorcht das Skelett der Erde, das weißt du genau.“
Das Schauspiel vollzog sich als das, was es im Grunde war: ein Erwachen. Die rubinrot gewordene Lichtader veränderte weiter ihre Farbe, langsam, aber stetig. Fast blendend drang es jetzt durch den engen Spalt, ein orangegelber Widerschein, der die ruppigen Ausformungen der Felswand betastete, sie aus der schwarzen Einförmigkeit herausmodellierte. Und eine weitere Stimme ertönte. Nicht laut, nicht ohrenbetäubend, aber dunkel und alles durchdringend, alptraumhaft nah, ein langgezogenes Grollen aus den Tiefen einer Kehle, deren entsetzliche Vorstellung allein genügt hätte, einen Mann um den Verstand zu bringen. Lange rollte die ungeheure Stimme dahin, bis sie schließlich am Ende einen deutlich verständlich Namen artikulierte:
„Rrrrrrrrrrrrakhmyr......“
„Ja, ich bin es“, donnerte es zurück. „Rakhmyr. So nennt mich dein Volk, Faghnar das meine. Und nun öffne den Spalt und laß mich hinein. Hast du mich etwa nicht gerufen? So zwinge mich auch nicht, in Gestalt einer Maus vor dich zu treten....“
Noch immer tat sich nichts, wurde dem Verlangen des Besuchers nicht stattgegeben. Der Herr dieses Ortes schien seine Macht auszukosten. Wieder ertönte das Grollen, das der, dem es galt, als hämisches Lachen zu deuten wußte.
„Faowgh“, klang es jetzt fast wie eine Bitte, „im Namen des Feuers, das du hütest, und im Namen von Ghléan, geachtet von dir und den deinen: öffne den Fels und laß mich ein!“
„Ha! in Gestalt einer Maus“, tönte es höhnisch zurück. „Das sähe dir ähnlich, erbärmlicher Vagabund. Passen würde es jedenfalls zur Farbe deines Gewands. Aber bitte – “ Auf die letzten Worte folgte ein sengender, weißglühender Blitz, und mit einem letzten, betäubenden Krachen barst die Öffnung auseinander. „Niemand soll sagen dürfen, Faowgh wüßte Gäste nicht zu empfangen.“ Faghnar wartete, bis auch die letzten Gesteinsbrocken herabgepoltert waren und betrat so befreit die Halle.
Und stand endlich vor ihm: Faowgh, dem Gewaltigen, dem Einzigen seiner Art. Und er sein Rivale.
Es waren die Augen, die leuchteten. Seitlich am Kopf sitzend, verströmten sie Glutlicht wie das einer Esse. Faghnar war auf einem erhöhten Felsvorsprung in die Halle getreten, und Faowghs linkes Auge war das erste was er zu sehen bekam, da es sich auf gleicher Höhe mit ihm befand. Er schlug seinen Mantel enger um sich und schritt darauf zu. Was leuchtete, waren die vorstehenden Augenbälle, und obwohl ihr Licht die Felshalle fast bis in die letzten Winkel erhellte, war es nicht grell. Aber mitten in dem Leuchten stand die Pupille, mannshoch, oben und unten spitz zulaufend, ein pechschwarzer Spalt von Dunkelheit in einem Meer von Licht, eine Bresche zu den Abgründen unsagbarer Finsternis. Unterhalb der Augen rundeten sich mit weitem Schwung die Backenknochen, und darunter wiederum waren Schädel und Unterkiefer ineinander gefügt. Zwei Reihen spitzer, ungleichmäßiger, elfenbeinfarbener Zähne verliefen weithin bis zur Kopfspitze, wo sich die Nüstern blähten. Wie ein schmaler, roter Bach schlängelte sich die Zunge über die Zahnpalisade und gabelte sich am Ende.
Der Drache verharrte bewegungslos, und Faghnar ließ sich furchtlos nieder. Genau dem Auge gegenüber setzte er sich, so nahe, daß er es mit der Spitze seines Stabes hätte berühren können.
Eine ganze Weile geschah nichts. Keiner von beiden hatte auch nur die geringste Eile. Faghnar wandte den Kopf nach rechts und ließ den Blick über Faowghs langen, massigen, gewunden daliegenden Körper gleiten, der das Innere des Berges wie dessen äußeres Abbild durchzog. Er genoß einen Anblick, wie er nur den wenigsten je vergönnt war: Myriaden und Abermyriaden von Schuppen glitzerten smaragdgrün vom Rumpf und von den Gliedmaßen, brachen das aus den Augen strömende Licht und ließen den Widerschein ringsum über die Felswände tanzen. Eine lange Reihe knochiger Zacken krönte den Körper, schlängelte sich wie ein zerklüfteter Bergkamm vom Kopf her über den Rücken, aus dem Nacken heraus mählich ansteigend, bis sie etwa über den Lenden den höchsten Punkt erreicht hatte und von da aus sanft wieder abfiel, um als Aneinanderreihung zahlloser kleiner Zinnen dem Schwanz bis an die eingeringelte Spitze zu folgen. Zwischen den muskulösen Beinen lag gefaltet ein ledriger Flügel, der ausgebreitet an den einer gigantischen Fledermaus erinnert hätte. Jede seiner vier knöchernen Streben, wie auch die Spitze an der sie miteinander verwachsen waren, liefen zu einer scharfen Kralle aus. Der gegenüberliegende Flügel war nicht zu sehen, der dazwischenliegende Rumpf verdeckte ihn.
Schließlich war es Faowgh, der das Schweigen brach:
„Es ist lange her, seit wir uns zuletzt begegnet sind, Rakhmyr…. sehr lange!“
„Oh ja, alter Freund, eine lange, lange Zeit. Selbst für unsereinen.“
„Aber keiner von uns würde je vergessen, nicht wahr?“
„Das will ich meinen!“
„Weder du noch ich.“
„Und du sicher am wenigsten.“
„Nicht ohne Grund, wie du weißt.“
Faghnar sinnierte vor sich hin. Seinem geschuppten Gastgeber war keine Regung anzumerken, aber wenn es irgendwen gab, der ihn kannte, dann er, Faghnar. Stille umfing sie, tief wie ein See. Die Erinnerung trieb darin wie ein Schatten. Sie war ihnen beiden gemeinsam und verband sie wie eine Brücke, war beredter und lebendiger als jedes Gespräch. Auge war auf Auge gerichtet, aber dazwischen standen die Bilder. Faghnar hielt mit geballten Fäusten den Stab, den er vor sich auf den Knien liegen hatte, wie zur Abwehr einer Gefahr.