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Weißkittelphobie. Aenne Dornbusch
Читать онлайн.Название Weißkittelphobie
Год выпуска 0
isbn 9783742750099
Автор произведения Aenne Dornbusch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich war mir ziemlich sicher: Aenne Dornbusch, Du Dummerchen, bist einem Scharlatan aufgesessen!
Aber kurz nachdem ich den Satz zu Ende gedacht haben musste, war ich auf einmal total müde. Müde, und doch irgendwie „auf Sendung“. Ein ganz merkwürdiges Gefühl führte mich auf eine Welle, eine Ebene, es lässt sich schwer beschreiben. Dann auf einmal begann meine komplette rechte Körperhälfte wie unter Strom zu stehen, auch meine rechte Kopfseite kribbelte wie verrückt. Keine Ahnung, was das war. Es war nicht unangenehm, auch nicht ganz unbekannt, jedenfalls machte es mir keine Angst. Irgendwelche Wellenbewegungen strömten durch die rechte Seite und ich war auf einmal wie weggetreten.
Ich weiß nicht mehr, wann ich wieder wach wurde. Auf einmal stand Onkel Kelly neben der Liege und fragte ganz nüchtern: „Und, gab es eine Reaktion?“
Ja, und was für eine. Ich versuchte, ihm so sachlich wie möglich zu erklären, was gerade passiert war.
Er sagte nur: „Das war der Schock von dem Unfall, der saß noch in ihrem Körper. Aber das dürfte jetzt Vergangenheit sein. Die Lebenskraft, die Dynamis, wird jetzt wieder voll da sein.“
Als ich die Praxis verließ, war ich irgendwie high. Nichts erinnerte mich mehr an meinen Unfall. Ich ging in die nächste Eisdiele und rauchte erst einmal eine Zigarette, trank einen Cappuccino und fühlte mich befreit.
Dabei hatte ich kurz vorher noch gedacht, auf eine Empfehlung hereingefallen zu sein…
Von da an ging es mir besser.
Wer hat denn sowas angeordnet?
Nach zwei Monaten im Krankenstand erfolgte der erste Arbeitsversuch, zur Freude meines Vorgesetzten, der schon lautstark angekündigt hatte, dass „Riesenstapel voller Arbeit“ auf mich warteten. Klar, dass viel liegenbleibt, wenn jemand für längere Zeit ausfällt. Ich war aber motiviert und besten Willens, meinen Beruf wieder aufzunehmen, Beschwerden hin oder her. Mit der Zeit würde das schon vergehen, dachte ich. Also, ran an die Arbeit, zuerst jedoch nur für drei Stunden pro Tag. Man nennt das „Stufenweise Wiedereingliederung“, was eigentlich eine sinnvolle Erfindung ist, aber trotzdem doof klingt. Langsam sollte die Arbeitszeit gesteigert werden, ohne jedoch zu überfordern. Das wäre ja kontraproduktiv. Wie gesagt, es war nur ein Versuch. Was sollte auch dabei herauskommen, wenn man unter Schmerzen zur Arbeit geht? Keine zwei Stunden konnte ich am Schreibtisch sitzen, mir tat alles weh, ich konnte mich kaum rühren und schwindlig war mir außerdem.
Die Wiedereingliederung wurde für gescheitert erklärt, denn ich war noch nicht so weit, und die Schmerzen waren auch wieder schlimmer geworden. Erneut wurde ich zu 100 Prozent krankgeschrieben. Doch irgendwie musste es ja weitergehen. Nur wie? Da kam ich auf die Idee, nochmals einen klassischen Orthopäden aufzusuchen, und in einer nahegelegenen Klinik wurde ich fündig. Der Arzt war sehr erfahren, Herr Dr. Ordentlich, ein vertrauenswürdiger Mensch. Er untersuchte mich gründlich, hörte sich meine noch junge Krankengeschichte an und war ziemlich empört über die Behandlungen im Krankenhaus. Konkret, die wiederholten chiropraktischen Eingriffe durch den Arzt, dessen Hobby das Einrenken war.
„Wer hat denn sowas angeordnet?“, fragte er mich. Tja, was sollte ich als Patientin dazu sagen? Es hörte sich für mich an wie die ewige Handwerker-Frage, die jeder kennt, wenn irgendetwas repariert werden muss und nicht gerade derjenige erscheint, der es einst installiert hat: „Wer hat denn DAS gemacht?“ Vorgänger, die „ES“ vermeintlich verbockt haben, sind oftmals gut für vielerlei Attacken. Das zieht sich offenbar durch alle Berufszweige.
Aber was konnte ich dazu? Ich gebe als gutgläubige Kranke auf der Suche nach Linderung (und bestenfalls sogar Heilung) doch erst einmal einen Vertrauensvorschuss an denjenigen, dem ich mich anvertraue. Wie sollte es auch sonst laufen? Wenn ich der Diagnose, der Therapie und dem Arzt von vornherein misstrauen würde, dann wäre es doch sinnlos, überhaupt die Hilfe eines Arztes zu suchen? Für Fachgespräche über Behandlungsstrategien bin ich als Patient doch nicht ganz der richtige Ansprechpartner…
Wie auch immer: Im Endeffekt wurde mir erklärt, dass diese Vorgehensweise in eine „frische Schleuderverletzung“ so ziemlich das Allerletzte gewesen ist – und dabei auch noch ziemlich gefährlich. Keinesfalls sollte ich mir nochmals die Halswirbelsäule auf diese Art behandeln lassen. Stattdessen verordnete der Arzt eine Halskrause für mehrere Wochen. Strikte Schonung und Ruhe lautete das Gebot der Stunde!
Später sollte ich dann zur Physiotherapie überwiesen werden. Aber erst einmal war wieder Ruhe angesagt – und der Frust über die Gesamtsituation. Und dass ich nun wiederum in der Firma Bescheid geben musste, dass ich noch immer nicht einsatzfähig bin. Von meiner armen Kollegin, die mich vertreten musste und meinen nicht ganz einfachen Chef so nebenbei mitversorgen sollte, ganz zu schweigen.
Es vergingen nochmals zwei Monate, ich dachte, ich sei auf dem Wege der Besserung. Und ich ging – wie vereinbart zur ersten Physiotherapie. Dort wurde mein Kopf zur Dehnung der Halswirbelsäule in eine Art Schlinge eingehängt, die der gesprächsselige Therapeut unter ständigem Plappern über dies und jenes munter nach oben zog. Bis ich fast aus den Latschen kippte. Ich blaffte ihn an: „Hören Sie sofort auf damit, mir wird total schwindlig und schlecht, was machen Sie denn da?“
Der Mann war ziemlich erschrocken über meine Reaktion und meinte doch tatsächlich: „Frau Dornbusch, ach, Sie haben ja anscheinend WIRKLICH ein Schleudertrauma! Meistens ist es nämlich so, dass die Leute nur ein paar Wochen wegen dem Schmerzensgeld blau machen. Ich wusste ja nicht, dass Sie echte Beschwerden haben…“
Ich habe diese Praxis nie wieder betreten. Dafür kämpfte ich nun öfter mit Übelkeit und Schwindel. Und Langeweile. Das Fernsehprogramm kannte ich komplett auswendig, auf dem Sofa war ich zeitweise sicher angewachsen. Mittlerweile wusste ich sogar über Nachmittags-Talkshows Bescheid, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Doch das alles hängte mir im wahrsten Sinne des Wortes zum Halse heraus. Schon wieder der Hals!
Außerdem war mein Chef auf 180. Die ständige Krankschreiberei nervte ihn, ich konnte ihn schon fast bis nach Hause toben hören. Aber es ging beim besten Willen gar nichts. Auch wenn er versuchte, mich mit einem unangemeldeten Besuch, welch‘ Überraschung abends um halb neun (!), ein bisschen zu verunsichern oder unter Druck zu setzen. Er wollte doch mit eigenen Augen einmal sehen, WIE krank ich denn nun wirklich war. Rechtlich gesehen ist das ein „NO-GO“, wie das heutzutage heißt, aber irgendwie war mir das damals sogar egal. Meine Mutter öffnete ihm damals die Türe und er stürzte herein und sah mich vollkommen heruntergekommen in Schlafanzughose und mit Krücken vor dem laufenden Fernseher sitzen. Mit Halskrause, wohlgemerkt. Das hatte ihm wohl so die Sprache verschlagen, dass er meine Mutter nach einem Cognac aus ihrer Hausapotheke fragte. Naja. Danach konnte ich bei ihm keine Zweifel mehr an meiner Krankschreibung feststellen…
Eines Tages, es waren mittlerweile einige Wochen vergangen, musste meine Mutter zum Zahnarzt. Da hatte ich die glorreiche Idee, dass die Gelegenheit doch nun günstig wäre, sich dort auch mal wieder vorzustellen. Schätzungsweise war ich seit einem Jahr, vielleicht sogar schon länger, nicht mehr dort gewesen. Nicht gerade vorbildlich, wo ich sowieso gerne mal das Putzen am Abend ausfallen ließ. Ich war also auch noch mit einem schlechten Gewissen belastet. Und so schloss ich mich an.
In der dörflichen Praxis war inzwischen ein neuer, junger Zahnarzt tätig. Typischer Vertreter eines aufstrebenden „Ossis“, man kann es nicht anders sagen. Er war sonnenbankgebräunt, sächselte nicht gerade sexy und fuhr einen roten Porsche – und alle Landpomeranzen rannten ihm mit hängender Zunge hinterher. Mein Typ war er nicht, er vertrat auch so merkwürdige Ansichten, dass man „sein Gold im Mund“ ruhig stolz präsentieren könnte. Schließlich würde man dann bei jedem Lächeln zeigen, dass man sich etwas leisten konnte!
Aber mir war das egal, ich stand nicht auf Gold. Zumindest nicht im Mund und schon gar nicht im sichtbaren Bereich. Wir lebten ja nicht in einem osteuropäischen Dorf ohne