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gegen Lindholm entfacht, welche aber am breiten Widerstand der Parteibasis kläglich gescheitert war.

      Folglich stand auch die heutige Tagung nicht zufällig unter dem Motto ‚Stärke durch Überzeugung‘, in Anspielung auf Brusigs Sticheleien.

      Und dass Lindholm für beides sprach, bewies allein schon seine sprachliche Spitzfindigkeit. Damit wusste er bestehende Widersprüche derart zu verklausulieren, bis niemand sie mehr verstand. Fragte man aber nach, zog er das Ganze sofort ins Lächerliche und stellte dem Fragenden damit ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Kein Wunder, dass sich kaum noch jemand mehr an ihn heranwagte.

      Aber genau das erwarteten seine Anhänger heute im randvoll gefüllten Saal des Kulturhauses in der Mümmelmannstraße. Diese skandierten bereits unter rhythmischem Klatschen fortwährend Lobgesänge und Lindholmrufe, während ihr Held im Vorbereitungsraum genüsslich seinen Kaffee schlürfte und gar nicht daran dachte, sich zu beeilen.

      Erst als die Menge tobte und erste Misstöne laut wurden, ließ er sich dazu herab.

      Noch einmal bürstete seine Angetraute Ludmilla ihm übers Jackett, kontrollierte Make-up und Frisur und wirkte dabei überaus konzentriert, denn alles musste sitzen. Nur so gelang die perfekte Show. Zum Schluss zwickte sie ihm vergnügt in die Wange und entließ ihn mit einem Klaps aufs Gesäß ins Rampenlicht.

      Doch obgleich sie an ihn glaubte, wie man nur an jemanden glauben konnte, hielt sie ihn zuweilen für einen Trottel, vor allem, wenn er in seinem Überschwang wieder einmal überzog. Dann war seine Zunge oftmals schneller als sein Verstand und die daraus entstehenden Widersprüche nur schwer zu glätten. Blieb nur zu hoffen, dass ihm das heute nicht passierte.

      Inzwischen wurde ein Tusch intoniert und Lindholm trat mit gebreiteten Armen vor sein Publikum. Dieses säumte dicht gedrängt die Reihen. Von der Welle der Begeisterung getragen, streckte er ihnen die aufgereckten Daumen entgegen, klopfte sich auf die Brust und deutete eine leichte Verneigung an.

      So stand er mit geschwollener Brust vor ihnen und badete in den Ovationen. Dann tänzelte er elegant die Stufen zum Podest hinauf, vollführte eine kunstvolle Drehung nach allen Seiten und trat schließlich ans Pult.

      „Hallo Mitstreiter, Freunde, Radikale und unbeirrbare Populisten!“, jubelte er sarkastisch und erntete neben heiserem Gelächter erneut tosenden Applaus. Selbstredend verlängerte er die dafür nötige Pause. „Ist es nicht herrlich, derart provoziert und bekämpft zu werden und das ausgerechnet von Leuten, die weder das eine noch das andere beherrschen? Aber das ist ja der Vorteil einer Demokratie, wie wir sie verstehen. Jeder soll sich so lächerlich machen, wie er kann! Und manche verstehen sich darauf ganz besonders!“

      Erneut brüllte der ganze Saal. Sogleich legte der Redner nach, indem er über das Klima, die Rote Liste der Artenvielfalt und die politische Katastrophe in Europa frotzelte. Kurzum, all das, was seine Gegner, allen voran eine ganz bestimmte Person, propagierten.

      Schatten der Neuzeit nannte er das und spielte damit auf die Ängste der neuesten Umfragen an. Seine Diagnose: Krise im Endstadium, ein Krebsgeschwür der Natur, geschürt durch panikmachende Dilettanten, gefördert durch eine unfähige Regierung. Zeit für eine Kehrtwende! Jawohl! Das zündete.

      Als gefürchteter Querulant scheute er nicht mal den Konflikt mit scheinbar übermächtigen Gegnern. Zwar wirkten seine Thesen bisweilen etwas plump, fußten jedoch – und das musste man ihm lassen – stets auf fundierten Fakten.

      Selbst wenn er beim Reden mit der Hand in der Tasche Lässigkeit gaukelte und gelegentliche Einwände als ‚dümmliche Zoten‘ abschmetterte, war das keine Geringschätzung, sondern Taktik. ‚Seht her. Ich bin einer von Euch und lasse mich nicht unterkriegen‘ sollte das heißen, wozu auch sein bisweilen recht schnoddriger Ton passte. Das war sozusagen sein Markenzeichen und dafür liebte man ihn.

      Lindholm griff zum Wasserglas und registrierte wohlwollend die plötzliche Stille. Dann nahm er eine parlamentarische Pose ein, streckte die Arme aufs Pult, wobei seine goldenen Manschettenknöpfe blinkten, und wurde konkret.

      Und siehe, der Verantwortliche war schnell ausgemacht. Oberbürgermeister Wilbur Brusig sei maßlos überfordert und solle endlich seinen Hut nehmen. Schließlich habe er das alles verbockt! Und wenn er den nötigen Schneid besitze, werde er jetzt die Konsequenzen ziehen. Energisch donnerte Uwes Faust aufs Pult.

      Damit nicht genug. Anhand recherchierter Fakten aus dem letzten Haushalt könnte man Brusigs Unfähigkeit exakt belegen und sich nur wundern, wieso die ansonsten so krümelkackenden Revisionisten der KVPD dazu schwiegen. Hatte das womöglich etwas mit der nächsten Diätenerhöhung zu tun? Ein Schelm, wer Arges dabei dachte.

      „Aber für Wochenendpolitiker, die Liberalismus mit Affentheater verwechseln, ist das kein Wunder. Darum weg mit dieser Null auf den Müllhaufen der Geschichte! Die Zeit für eine Wende ist gekommen!“, forderte Lindholm und brachte den Saal zum Toben.

      In der Tat war er heute wieder richtig gut drauf. Er jonglierte geradezu mit den Worten und landete immer wieder einen Treffer. Ludmilla hatte die Rede vorzüglich redigiert. Woher sie ihre Informationen allerdings bezog, blieb oftmals schleierhaft. Aber was kümmerte es ihn? Mochte seine Frau zuweilen auch etwas selbstverliebt wirken und vor allem in Fragen der Parteitaktik wie ein Trampeltier agieren, so blieb sie doch ein Hort der Zuverlässigkeit.

      Während der Beifallssturm nicht abriss, heizte im Hintergrund ein Lichtband mit dem Slogan: ‚Schleswig-Holstein, ein Narrenschiff!‘ die Stimmung weiter an.

      Als Uwe zudem mit der nötigen Inbrunst noch in Richtung Industrie mit ihrer schier unersättlichen Profitgier schoss, provozierte er damit erste radikale Schlachtrufe wie ‚Widerstand‘ oder ‚nieder mit der Demokratur‘.

      Genau so wollte er sie haben. Als Dompteur einer aufgestachelten Menge war er in seinem Element. Nun musste man diese Munition nur noch in zukunftsträchtige Stimmen ummünzen. Dann wäre die Fünf-Prozent-Hürde geknackt. Und wie könnte das besser gelingen, als durch ein paar treffliche Sarkasmen kombiniert mit düsteren Prophezeiungen.

      Kein Wunder, dass er mit subtilem Spott um Verständnis für die neue Fäkaliensteuer warb, einschließlich einer möglichen Bepreisung der Flatulenzen von Mastgänsen.

      Gelächter brandete auf.

      Einen weiteren Kübel der Kritik schüttete er auf die ‚systemtreuen‘ Medien aus, für ihn die Handlanger des Finanzkapitals und Feind jeder Demokratie. Zu guter Letzt knöpfte er sich die korrupte Staatsgewalt vor, welcher er eine Demontage der Rechtsordnung im Sinne eines linken Komplottes vorwarf.

      „Deshalb ist es unsere Pflicht, diesen unseligen Machenschaften ein Ende zu setzen!“, schloss er und reckte kämpferisch die Faust in die Höhe. Tosender Applaus prasselte auf, durchbrochen von Rufen wie „Bravo!“ und „Weiter so!“

      Erleichtert verließ der Redner das Pult und genoss das anschließende Bad in der Menge. Wiederholt schüttelte er Hände und man klopfte ihm auf die Schulter. Manche sprachen von einem „Kometenstart“, andere prophezeiten ihm einen Durchmarsch bis zum Ministerpräsidenten.

      Kaum wieder hinter der Bühne, fiel ihm die zu Tränen gerührte Ludmilla um den Hals. Auch der Rest seiner Begleiter zeigte sich beeindruckt. Doch zu deren Verwunderung blieb sein gewohntes Statement aus. Irgendwie wirkte er erschöpft und nicht ganz bei der Sache.

      Dabei lag es bestimmt nicht am Gebrüll der Gegendemonstranten draußen vor dem Haus. Nichts als bestellte Dummköpfe, die Brusig auf Kosten seiner Parteikasse hatte herankarren lassen.

      Nein. Die Ursache dafür lag woanders. Während seiner Rede hatte wiederholt sein Handy geschnarrt. Als er kurz nachgesehen hatte, beunruhigte ihn die aufblinkende Nummer mit dem Zusatz ‚dringend‘.

      Dabei handelte es sich um eine Notnummer für den Fall wichtiger Informationen. Schon seit Langem misstraute er Fernverbindungen aus Furcht vor einer Überwachung. Deshalb nahm er Dinge von besonderer Brisanz ausnahmslos persönlich entgegen.

      Diese kamen ausschließlich von seinen Informanten, von denen er einige in den verschiedensten Bereichen hatte. Das war nötig, denn

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