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auf dem Feld hinter dem Gehöft zuwenden. Hier gab es eine Entscheidung. Die preußische Infanterie hatte Karrees gebildet, wehrte die französischen Dragoner ab, während die preußische Reiterei die Ulanen verfolgte, die als erste die Flucht ergriffen hatten. Siegesgeschrei beendete die kleine Schlacht, als die nicht geflüchteten Franzosen die Waffen streckten.

      Es war nur ein kleiner Sieg, aber ich erfuhr später, dass es zum Ende des Tages viele dieser kleinen Siege gab. Und damit hatten Blücher und Gneisenau und Bülow und wie auch immer die Befehls- und Unterbefehlshaber der Preußen hießen, die Briten und Niederländer gerettet und verhindert, dass Napoléon Bonaparte an diesem geschichtsträchtigen Tag den entscheidenden Schlag ausführen konnte.

      Es ist heute längst belegt, dass es nicht ein einzelnes Ereignis war, sondern die Summe aus Missverständnissen, Fehlentscheidungen, Wetterbedingungen und Glück oder eben Pech, die zur Niederlage in der letzten Schlacht des französischen Kaisers führte. Zwei Tage zuvor konnte Napoléon noch seinen letzten Sieg verbuchen, der allerdings immer und ewig einen Makel besitzen würde, denn dieser Sieg führte nicht zur Vernichtung der Preußen, sondern zur entscheidenden Stärkung der Koalition. Und hätte Napoléon doch gesiegt, so hätte es nur eine Verzögerung seines Untergangs bedeutet, denn Russland und Österreich rückten bereits heran und wären die nächsten schweren Gegner gewesen.

      Abschließend stelle ich hier fest, dass ich die Schlacht bei Waterloo nicht erlebt habe. Ich traf erst am Abend des 18. Juni an einem Gasthaus mit dem Namen Belle-Alliance ein. Ich habe nicht gesehen, dass hier Historisches geschah, obwohl dies in späteren Berichten oft behauptet wurde. Belle-Alliance war für mich die Ansammlung toter und verwundeter Soldaten, war ein Teil des Schlachtfeldes von Waterloo. Ich für meinen Teil hätte dem Dorf Wavre ein Denkmal gesetzt, denn dort leisteten die Preußen einen guten Dienst, banden mehrere zehntausend französische Soldaten, die Napoléon in Waterloo bitter nötig gehabt hätte. Ich hielt es daher in Belle-Alliance nicht lange aus. In Wavre wurde weiterhin gekämpft und so schlug ich noch in der Nacht den Weg nach Brüssel ein. Ich fragte mich damals tatsächlich, ob der Ball der Herzogin von Richmond noch andauerte und ob ich dort Freund Louis Berg wiedersehen würde.

      Fluchtpläne

      Ich blickte hinauf zu den Masten. Die britischen Matrosen rafften mit sicherer Routine die Segel am großen Baum. Im nächsten Moment wimmelte die Takelage von Männern und dann war das Manöver auch schon ausgeführt. Mit einer spürbaren Verzögerung neigte sich die HMS Myrmidon leicht nach Steuerbord, als das Ruder ein oder zwei Strich nach Backbord gesetzt wurde. Ich war gerne Beobachter des maritimen Treibens, konnte mich auf dem Schiff frei bewegen und traf Captain Gambier oft auf dem Achterdeck, wo wir uns unterhielten und nicht nur seemännische Diskussionen führten. Während sich Captain Gambier rühmen konnte, bereits auf anderen Schiffen seiner Majestät bei Abukir und später bei Trafalgar gegen Frankreich in die Seeschlachten gezogen zu sein, war die HMS Myrmidon noch ein recht neues Kriegsschiff, ohne nennenswerte Einsätze.

      Dies fand ich aus Sicht eines Schiffbauers eher interessant. Wenn ich alleine auf der Brigg unterwegs war, berührte ich gerne das noch frische Holz der geschwungenen Reling oder verglich unter Deck die Konstruktion und die Aufteilungen mit denen jener Schiffe, die auf der Werft meines Vaters in Lomma gebaut wurden. Captain Gambier versicherte allerdings, dass die Myrmidon ein schlechter Segler sei. Das Ruder reagiere eher träge und auch die Wendigkeit hatte unter der Entscheidung gelitten, ein knapp hundertzwanzig Fuß langes Schiff mit recht schweren 32-Pfund-Karronaden auszurüsten, von denen achtzehn Stück über Deck verteilt waren. Weniger ist mehr, sagte ich mir, wenn man die Schlagkraft nicht einsetzen konnte, weil einem der Feind davonsegelte. Was mir allerdings an der Ausrüstung gefiel waren die beiden 9-Pfund-Jagdkanonen im Heck, mit denen sich der Captain die Kajüte teilte.

      Aber ich schweife ab, denn ich muss noch erklären, dass seit den Schlachten vor den Toren Brüssels fast vier Wochen vergangen waren. Und so bin ich noch schuldig, zu erzählen, was ich seither erlebt hatte. Bei meiner Rückkehr nach Brüssel in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1815 war von dem großen Sieg über Napoléon Bonaparte noch nichts zu spüren. Die Stadt war weiterhin mit Militär überfüllt, allerdings waren es jetzt zurückkehrende Kolonnen von Infanteristen und Fuhrwagen von Verwundeten, die zu ihren Wachfeuern und Zelten strebten oder in die Lazarette und zu den Verbandsplätzen gekarrt wurden. Die Euphorie sollte sich erst einige Tage später einstellen.

      Ich fand meine Unterkunft leer vor, obwohl ich so gehofft hatte, Freund Louis in die Arme schließen zu können. Ich wusch mich notdürftig mit kaltem Wasser und legte mich recht hungrig schlafen. Am nächsten Morgen weckte mich Tumult. Ich kleidete mich schnell an. Zum Glück hatte ich eine zweite Uniform im Zimmer deponiert, denn der Rock, den ich während meines Abenteuers getragen hatte, war ohne eine gründliche Reinigung und ohne Flickarbeit nicht mehr zu gebrauchen. Dies war mir aber auch erst aufgefallen, als ich am Abend die Kleider abgelegt hatte.

      Unten im Haus traf ich den Wirt, der mir sofort die Neuigkeiten mitteilen wollte, die Brüssel in den letzten Stunden erreicht hatten. Ich ließ mir berichten, aber erfuhr zumeist nur Unbedeutendes, um festzustellen, dass die Lage und der Ausgang der Schlacht keineswegs bekannt waren. Nur eines schien sicher, keine der Parteien hatte Napoléon Bonaparte gefangengenommen, aber angeblich wurde auf dem Brüsseler Marktplatz ein Planwagen mit den persönlichen Habseligkeiten des Kaisers ausgestellt. Kleidung, die Napoléon getragen haben soll und die jetzt zu ersteigern war. Mir schien dies eher unwahrscheinlich, da längst Offiziere dem Treiben Einhalt geboten hätten.

      Ich konnte meinem Wirt gerade noch die verschmutzte und zerrissene Uniform übergeben, mit dem Auftrag der Reinigung und Instandsetzung, als mich der Tumult, den ich schon auf meinem Zimmer gehört hatte, vors Haus trieb. Ich eilte aus der Gasse zu einem Platz, auf dem gerade mehrere Fuhren Heu abgeladen wurden. Eine preußische Kavallerieeinheit hatte den Ort eingenommen, die Pferde wurden mit Wasser und Heu versorgt, die Reiter erhielten Speisen und Wein von den Anwohnern, die ebenso zahlreich erschienen waren. Ich ging umher, sah mir Männer und Tiere an. Es war eindeutig, dass die Kavallerie aus der Schlacht kam. Ein junger Leutnant versorgte gerade die Wunde am Hinterlauf seines Pferdes, als ich dazu trat. Der Mann richtete sich sofort auf und salutierte vor meiner Majorsuniform.

      »Nein, nein, machen Sie weiter«, sagte ich schnell, »das Tier geht vor. Kann ich Ihnen helfen, benötigen Sie Verbandsmaterial?«

      Der Leutnant schüttelte den Kopf und zeigte mir, dass er ausreichend mit Leinen und Charpie versorgt war. »Danke, es wird schon gehen, nur ein Kratzer, er hat es schnell vergessen, wenn wir erst die Franzosen nach Paris hineinjagen.«

      »Wo haben Sie gekämpft?«, fragte ich.

      »Bei Wavre und dort ist es noch nicht zu Ende, aber ich glaube, wenn wir zurückgeschickt werden, brauchen wir nur noch aufzuräumen und dann geht es nach Paris.« Er stockte. »Vor zwei Tagen haben wir noch ordentlich Haue gekriegt, das zahlen wir jetzt zurück.«

      »Ich war dort, ich habe es gesehen. Am Ende zählt nur die Summe und nicht ein einzelner Erfolg.«

      Der Leutnant sah mich ungläubig an, aber ich gab ihm keine weiteren Erklärungen, auch weil ein Trompetensignal ihn und seine Kameraden zum Aufbruch rief. Reste von Heu, leere und zerbrochene Flaschen und einige Brüsseler Bürger blieben auf dem Platz zurück. Im Verlaufe des Tages sollten weitere Einheiten durch die Stadt kommen, Briten, Niederländer und Preußen. Ich aber setzte meinen Weg fort, durchquerte einen Park und stand vor jenem Stadtpalais, in dem drei Tage zuvor die Geschichte ihren Lauf nahm. Tatsächlich waren einige Bedienstete noch mit Aufräumarbeiten betraut.

      Ich ging einfach ins Haus und in den Saal, der sich doch sehr verändert hatte. Die Girlanden und Vorhänge waren abgenommen, die Tische und Stühle standen auf der Tanzfläche, gestapelt und abholbereit. Einige Handwerker bauten eine Trennwand wieder ein, die aus dem Saal zwei oder drei separate Räume machen sollten. Allein das kleine Sofa, auf dem der Duke of Wellington gesessen hatte, während ihm einer seiner Stabsoffizieren Berichte von den Vorgängen an der Kreuzung Quatre-Bras übermittelte, stand noch an seinem Platz neben einem schmalen, hohen Fenster. Ich setzte mich hinein, schloss kurz die Augen, wurde dann aber angesprochen und höflich gebeten, mir eine andere Sitzgelegenheit

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