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Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Читать онлайн.Название Die toten Seelen
Год выпуска 0
isbn 9783752962406
Автор произведения Nikolai Gogol
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nosdrjow war in gewisser Beziehung eine geschichtliche Persönlichkeit. Jede Versammlung, an der er sich beteiligte, endete immer mit irgendeiner Geschichte: entweder wurde er von Gendarmen an den Armen genommen und aus dem Saale geführt, oder seine eigenen Freunde sahen sich genötigt, ihn hinauszuschmeißen. Und wenn weder das eine noch das andere geschah, so passierte eben etwas anderes: entweder besoff er sich am Büfett so, daß er nur noch lachen konnte, oder er tischte solche Lügen auf, daß er sich schließlich selbst schämen mußte. Dabei log er ohne jede Not: plötzlich erzählte er, daß er mal ein Pferd mit blauem oder rotem Fell gehabt habe oder einen ähnlichen Unsinn, so daß ihn schließlich alle stehenließen und sagten: »Der fängt schon wieder an, seine Kugeln zu gießen!« Es gibt Menschen, die eine Leidenschaft haben, ihrem Nächsten ohne jeden Grund einen üblen Streich zu spielen. Mancher Mann, der sogar von hohem Range ist, ein edles Äußere hat und einen Ordensstern an der Brust trägt, wird sich mit Ihnen über die erhabensten und tiefsinnigsten Gegenstände unterhalten und Ihnen dann vor Ihren Augen einen ganz üblen Streich spielen; und dies tut er wie ein ganz gemeiner Kollegienregistrator und durchaus nicht wie ein Mann, der einen Ordensstern an der Brust hat und über tiefsinnige Gegenstände spricht, so daß man nur staunt und die Achseln zuckt. Die gleiche seltsame Leidenschaft hatte auch Nosdrjow. Je intimer er sich einem Menschen anschloß, um so üblere Streiche spielte er ihm: er ließ irgendein Gerücht los, wie man es sich dümmer gar nicht ausdenken kann, machte Verlobungen zunichte, verdarb Geschäfte, hielt sich dabei aber keineswegs für einen Feind; im Gegenteil, wenn er einem, dem er so übel mitgespielt hatte, zufällig begegnete, behandelte er ihn freundschaftlich und sagte sogar: »Du bist doch wirklich ein gemeiner Kerl: niemals läßt du dich bei mir blicken.« Nosdrjow war in vielen Beziehungen vielseitig, das heißt stets zu allem fähig. Im selben Augenblicke machte er Ihnen den Vorschlag, mit Ihnen auch bis ans Ende der Welt zu fahren, ein beliebiges lohnendes Geschäft zu unternehmen und alles gegen alles zu vertauschen. Ein Gewehr, ein Hund, ein Pferd – waren für ihn nur Tauschobjekte; dabei dachte er niemals an seinen Vorteil, es war nur eine Äußerung seiner erstaunlichen Lebhaftigkeit und seines Temperaments. Wenn er mal auf einem Jahrmarkt einem dummen Kerle beim Kartenspiel die ganze Habe abnahm, so kaufte er alles auf, was ihm in die Augen fiel: Kummete, Räucherkerzen, Kopftücher für das Kindermädchen, einen Hengst, Rosinen, eine silberne Waschschüssel, holländische Leinwand, feinstes Weizenmehl, Tabak, Pistolen, Heringe, Bilder, einen Schleifstein, Töpfe, Stiefel, Fayencegeschirr – soweit ihm das Geld reichte. Alle diese Neuanschaffungen brachte er übrigens in den seltensten Fällen nach Hause; meistens verspielte er sie am gleichen Tage an einen anderen glücklicheren Spieler; oft fügte er auch noch seine eigene Pfeife samt Rohr und Tabaksbeutel hinzu, manchmal auch das ganze Viergespann mit dem Wagen und dem Kutscher, so daß er selbst in einem kurzen Röckchen oder Morgenrock irgendeinen Freund suchen mußte, der ihn dann auf seinem Wagen mitnahm. So war dieser Nosdrjow beschaffen. Vielleicht wird man ihn einen abgelebten Typus nennen, vielleicht wird man behaupten, daß es solche Nosdrjows nicht mehr gibt. Doch nein! Ungerecht urteilen diejenigen, die so sprechen. Nosdrjow wird nicht so bald aus der Welt verschwinden. Er ist immer zwischen uns, nur daß er vielleicht einen anderen Rock trägt. Die Menschen sind aber von einer leichtsinnigen Oberflächlichkeit und immer geneigt, einen Menschen im anderen Rock für einen neuen Menschen zu halten.
Indessen rollten die drei Equipagen vor Nosdrjows Hausflur. Im Hause waren keinerlei Vorbereitungen für ihren Empfang getroffen. Inmitten des Speisezimmers stand ein hölzernes Gerüst, und zwei Bauern weißten die Wände, wobei sie irgendein endloses Lied sangen; der Boden war ganz mit Kalk bespritzt. Nosdrjow ließ sofort das Gerüst mit den Bauern hinausschaffen und lief ins Nebenzimmer, um irgendwelche Befehle zu erteilen. Die Gäste hörten, wie er dem Koch ein Mittagessen bestellte; Tschitschikow, der schon einigen Appetit spürte, berechnete gleich, daß sie sich nicht vor fünf zu Tisch setzen würden. Als Nosdrjow zurückkam, führte er seine Gäste ins Freie, um ihnen seinen Besitz zu zeigen; im Laufe von mehr als zwei Stunden hatten sie schon alles besichtigt, so daß nichts mehr zu zeigen übrigblieb. Zuallererst besichtigten sie den Pferdestall, wo sie zwei Stuten sahen – eine Apfelschimmelstute und eine hellbraune; dann sahen sie noch einen braunen Hengst, der eigentlich recht unansehnlich war, für den aber Nosdrjow, wie er bei Gott versicherte, zehntausend Rubel bezahlt hatte.
»Zehntausend hast du für ihn nicht bezahlt«, bemerkte der Schwager. »Er ist auch nicht eintausend wert.«
»Bei Gott, zehntausend!« sagte Nosdrjow.
»Du kannst schwören, soviel du willst«, entgegnete der Schwager.
»Was gilt die Wette?« sagte Nosdrjow.
Wetten wollte aber der Schwager nicht.
Dann zeigte ihnen Nosdrjow leere Stände, in denen früher einmal vorzügliche Pferde gestanden hatten. Im gleichen Stalle sahen sie auch einen Ziegenbock, wie man ihn nach einem alten Aberglauben bei den Pferden zu halten pflegt und der mit ihnen im guten Einvernehmen zu leben schien: er spazierte unter ihren Bäuchen wie zu Hause. Dann zeigte ihnen Nosdrjow einen jungen Wolf, der an einer Kette lag. »Ein junger Wolf!« sagte Nosdrjow. »Ich füttere ihn absichtlich mit rohem Fleisch. Ich will, daß er recht wild wird!»Dann gingen sie zum Teich, in dem es nach Nosdrjows Behauptung Fische von der Größe gab, daß zwei Mann sie nur mit Mühe herausschleppen konnten, was sein Schwager bezweifelte. »Ich zeig' dir gleich ein wunderbares Paar Hunde, Tschitschikow!« sagte Nosdrjow. »Die Schenkel sind von einer erstaunlichen Prallheit und die Schnauzen wie die Nadeln!« Er führte sie zu einem recht hübschen Häuschen, das von allen Seiten von einem Zaun umgeben war. Als sie in den Hof traten, erblickten sie eine Menge von Hunden: glatthaarige und langhaarige von allen Farben, rote mit schwarzen Schnauzen, schwarze mit braunen Flecken, weiße mit gelben Flecken, rotbraune, gelbbraune, schwarzohrige, grauohrige. Da gab es alle erdenklichen Hundenamen, alle Imperativa: Schieß, Schimpf, Flieg, Feuer, Frechling, Streich, Scheit, Ungeduld, Täubchen, Lohn, Patronesse. Nosdrjow stand unter ihnen wie ein Familienvater da: alle Hunde erhoben sofort die Schweife, die man bei Hunden Ruten nennt, und liefen den Gästen entgegen, um sie zu begrüßen. An die zehn Stück legten ihre Vorderpfoten Nosdrjow auf die Schultern. Der Schimpf erwies den gleichen Dienst Tschitschikow und leckte ihn mitten auf den Mund, so daß Tschitschikow sogar ausspie. So besichtigten sie die Hunde mit den erstaunlich prallen Schenkeln: es waren gute Hunde. Darauf gingen sie zu einer krimschen Hündin, die schon blind war und nach Nosdrjows Behauptung bald eingehen sollte. Sie sahen sich diese Hündin an: sie war tatsächlich blind. Darauf besichtigten sie die Wassermühle, an der die Spindel fehlte, um die sich das obere Mühlrad dreht, und die der russische Bauer sehr anschaulich mit »Hüpfer« bezeichnet. »Gleich kommt die Schmiede!« sagte Nosdrjow. Nach kurzer Strecke stießen sie wirklich auf die Schmiede und besichtigten dieselbe.
»Hier auf diesem Felde,« sagte Nosdrjow, »gibt es eine solche Menge von Hasen, daß man vor ihnen die Erde nicht sieht. Neulich