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Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel
Читать онлайн.Название Die Stadt des Kaisers
Год выпуска 0
isbn 9783742781260
Автор произведения Alfred Stabel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Bring mir statt des Weins warme Milch! Was gibt’s zum Frühstück?“
„Saurüssel, der Herr Obrist! Mit Linsen.“
„Saurüssel ist klar am Neujahrstag, aber weshalb Linsen statt Knödel?“
„Weil Linsen Geld ins Neue Jahr bringen.“
„Dann bring mir eine doppelte Portion! Ist Ihre Durchlaucht schon aufgestanden?“
„Schon vor Tagesanbruch. Hat für den Herrn Nachricht hinterlassen. Hole sie gleich!“
Er kam mit zwei versiegelten dünnen Papierrollen zurück und wischte mit einem Tuch über den ohnehin sauberen Tisch. "Fort ist er ohne Bezahlen! Wenn ihn die Türken erschlagen, schau ich durch die Finger!"
Die Bemerkung ärgerte Breitenbrunner. Weil aber Neujahr war und der Wirt gut bediente, öffnete er kommentarlos die Rolle mit seinem Namen. Sie war in hastiger Schrift auf Französisch verfasst, einer Sprache, die er ebenso mangelhaft beherrschte wie der Prinz das Deutsche. Nach hartem Nachdenken meinte er, den Sinn begriffen zu haben. Eugenio war eilends wegen einer Ansammlung feindlicher Truppen beim Markt Mistelbach nach Osten geritten. Colonel Breitenbrunn sollte entweder in Krems seine Rückkehr erwarten - wann das sein würde, war ungewiss - oder besser sofort nach Linz reisen und beim Kriegsminister Hermann von Baden vorstellig werden. Dabei würde ihm das beiliegende Schreiben helfen. Spätestens in sechs Wochen sollte er zurück sein und ihn, Eugenio, gegen die aufständischen Ungarn und ihre türkischen Helfer mit einem Regiment Infanterie unterstützen. Das war neu. Sie hatten sich auf acht Wochen geeinigt, weil Breitenbrunn erst in die Schwäbische Alp wollte.
Der Wirt kam mit einem dampfenden Teller und der Milch.
"Schlechte Nachrichten, der Herr?"
"Nein. Aber ich muss stante pede nach Linz."
"Jesus, jetzt bis Linz! Dorthin fährt keiner in einem Stück. Aber der Hilffinger kann Euch bis Melk mitnehmen. Sein Schlitten steht im Hof. Der Knecht spannt schon die Pferde ein. Sputet Euch!“
Liebenswürdiger Weise wartete Herr Hilffinger, ein Weinhändler, bis Breitenbrunner fertig gegessen, seine Truhe gepackt, die Rechnung bezahlt und einen Stall für sein Pferd gefunden hatte. Seine Begleitung war ihm wegen der Unsicherheit auf den Straßen sehr willkommen. Während der Schlitten unter blauem Himmel wie ein Blitz über die einsame Straße sauste, schwatzte der Weinhändler von Räuberbanden, aufmüpfigen Bauern und einem Rebellen, der Stefan Fadinger geheißen hatte. "Wenn jetzt einer wie der Fadinger lebte, würden Schlösser und Klöster brennen! Sind ein eigensinniges und dumpfes Volk, die Bauern. Aber wehe Gott, es ist ein Gescheiter unter ihnen, der ihre mörderische Wut steuert!" Breitenbrunner fiel ein Vorfall beim Markt Lunz im letzten Oktober ein. Bewaffnete Bauern hatten den Flüchtenden die Brücke blockiert und Weggeld gefordert. Ein glatter Fall von Landfriedensbruch! Wäre der Anführer nicht ein aufgeblasener feiger Kerl gewesen, hätte es übel geendet.
„Wer war dieser Fadinger?“
„Ein Kind des Teufels“ antwortete der Weinhändler. „Protestant natürlich und kriegserfahren. Konnte reden, planen und Ordnung unter den Seinen halten. Vor sechzig Jahren hat er Linz mit einem Bauernheer belagert. Nach seinem Tod war im Großen und Ganzen Ruhe. Bis jetzt! Seid auf der Hut vor den Bauern! Wohin soll die Reise gehen?“
„In die Schwäbische Alp.“
„Und welche dringenden Geschäfte rufen Euch dorthin?“
„Keine Geschäfte, sondern ein Versprechen! Ich muss den Schwestern eines toten Freundes die Erbschaft auszahlen.“
In einem Felleisen am Boden seiner Truhe befanden sich Geld, Schmuck, allerlei Krimskrams und ein großer Brocken Weihrauch. Ein kleiner Schatz, den sein guter Freund Joachim Beck beim Hasardieren gewonnen hatte. Joachim war ein geriebener Falschspieler gewesen, der seinen Opfer das letzte Hemd auszog. Wie er an den kostbaren Weihrauch gekommen war, blieb ein Rätsel. Der Brocken reichte für hundert Kirchen. Mindestens.
„Die Damen werden Euch hochhalten“ versprach Hilffinger.
„Das will ich auch gehofft haben!“ Wie die Magier aus dem Morgenland würde er in der schwäbischen Alp mit Gold und Weihrauch auffahren! Joachim hatte seine Schwestern als hübsch und liebreizend beschrieben. Leider hatte er ihm beim Seelenheil der Mutter schwören müssen, sie nicht anzurühren.
„Seht Ihr die zwei Gestalten am Waldrand?“ rief Hilffinger aufgeregt. „Drücken sich zwischen den Büschen herum und beobachten uns!“ Hilffinger griff nach seiner Flinte.
Breitenbrunn spannte pflichtschuldig seine Pistolen, obwohl er die Männer für Holzsammler hielt. Und selbst wenn es sich um Räuber handelte - um dem Schlitten den Weg abzuschneiden, hätten ihnen Flügel wachsen müssen!
Sie erreichten Melk unbeschadet vor der Dunkelheit. Der Weinhändler bot ihm Quartier für die Nacht. Natürlich mit dem Hintergedanken, dass der Gast an der Tafel Gattin und Töchter mit Erzählungen aus dem Krieg unterhalten würde. Bei Breitenbrunn hatte er sich geschnitten. "Als Weinhändler kennt ihr das Sprichwort vom Fass und vom Spund“ sagte der Gast nach den ersten zwei Fragen. Wilffinger kannte es. Ist der Spund einmal heraußen, hört das Fass nicht auf zu laufen. Proteste halfen nicht. Breitenbrunn hatte keine Lust, Zivilisten mit Kriegserlebnissen zu unterhalten. Bevor er sich zum Zeichnen und Reimen zurückzog, präsentierte er der Frau des Hauses als Trost ein Ringlein mit einer kleinen Perle. Den Beckschwestern würde der Ring nicht abgehen. In der warmen Kammer, die sie ihm überlassen hatten, blätterte er in seiner Mappe. Die meisten Zeichnungen waren unter dem Eindruck der blutigen Kämpfe entstanden. Musquetiere kämpften gegen Soldaten mit Turbanen und Pickelhauben, eine hochgehende Mine riss Männer in den Tod, Starhemberg winkte frische Kräfte nach vorne. Es war eine Chronik des Untergangs. Am Ende wehte der türkische Halbmond vom Turm St. Stefans wie eine Freibeuterfahne vom Mast eines gekaperten Schiffs
Auch an Portraits hatte er sich versucht. Ein Kunst sinniger Mensch hätte über die verschmierten Kohlezeichnungen die Nase gerümpft. Aber darauf kam es nicht an. Er würde weiter zeichnen. Die Arbeit saugte den Schmerz auf wie ein Schwamm. Nachdem er eine weitere Zeichnung beendet hatte, versank er friedlich in Hypnos Armen.
Versailles
„Mit anderen Worten, Sire, wir haben auf dem Kontinent keine Verbündeten mehr!“ Charles Colbert Marquis de Croissy, seit fünf Jahren Außenminister Frankreichs und Vater der infamen Reunionspolitik war zum Ende seines Referats gekommen. Seit der deutsche Kaiser von den Türken schwer aufs Haupt geschlagen und König Ludwig als der Hauptschuldige ausgemacht worden war, wehte seinen Diplomaten kalter Wind ins Gesicht. Auf den Straßen wurden sie angepöbelt, ihre Kutschen von den Straßen gedrängt, ihre Bitten um Audienz, von den fürstlichen Hofmeistern abgewiesen. Der Albtraum jeden Außenministers, an dem ihm aber, wie er sich selbst ziemlich erfolgreich eingeredet hatte, die geringste Schuld traf. Kriegsminister Louvois und der König selbst hatten Frankreich kompromittiert mit ihrem Angriff auf die Spanischen Niederlande und gegen den hatte er sich klar ausgesprochen.
Mit dem zufriedenen Gesichtsausdrucks eines Mannes, dem späte Genugtuung widerfährt, nachdem seine Ratschläge in den Wind geschlagen worden waren, lehnte Colbert sich herausfordernd im Sessel zurück. Es war Viertel nach zehn. Wie immer hatte die Ministersitzung Punkt zehn begonnen. Ludwig XIV. hatte seinen Ministern mit einem Tag Verspätung ein gutes Neues Jahr gewünscht, im Gegenzug ihre Glückwünsche entgegen genommen und dann gleich als Tagesthema die Außenpolitik vorgegeben.
Den König ärgerte die selbstzufriedene Haltung seines Ministers. Die brillante Idee, die Türken gegen den Kaiser aufzuhetzen, war auf seinem Mist gewachsen. „Freut Euch das womöglich, Monsieur Colbert? “
„Es freut mich keinesfalls, Sire, keinesfalls! Mein Herz schlägt für Frankreich und seinen König. Ich wollte nur die prekäre Lage unserer Außenpolitik eindringlich beschreiben."