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des Großwesirs war etwas Besonderes. Kara Mustafa verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.

      "Nimm meinen Aiolos, siegreicher Herr!"

      Von den Tribünen kam mitfühlendes Gemurmel, als der Großwesir dem Pferd, das er in der Schlacht bei Wien geritten hatte, zum Abschied einen Kuss auf die schweißnasse Stirn drückte.

      „Schmuse den Hengst nicht ab wie ein Weib!“ lästerte Mehmed. „Er gehört jetzt mir!“

      Auf seinen Wink wurde der widerstrebende Aiolos von Pferdeknechten weggeführt. Scheinbar geknickt stieg Kara Mustafa hinter seinem Herrn die Stufen hinauf und nahm, nachdem Mehmed sich in die bequemen Kissen eines Sofas gelehnt hatte, den Platz zu seinen Füssen ein. Rechts von ihm saß mit unbewegtem Gesicht der Statthalter von Rumelien Ali Pascha, genannt der Scheichsohn, links putzte Janitscharengeneral Mustafa Aga seine rote Nase, die ihm zu Unrecht – niemand hatte ihn je Alkohol trinken sehen - den Namen Bekir - Trunkenbold - eingebracht hatte. Zur Unterscheidung der vielen Mustafas, Mehmeds und Alis wurden gerne Merkmale ihrer Herkunft oder ihres Aussehens dem Namen vorangestellt. Häufig Kara (Schwarz) für dunkle Männer, oder Sary für Blonde. Bekir Mustafa legte Kara Mustafa mitfühlend die Hand auf die Schulter.

      "Warum hast du Aiolos nicht auch springen lassen?"

      "Weil Aiolos klug ist!"

      "So wie sein Reiter" sagte der General. "Aber weshalb hast du ihn dem Sultan überlassen? Er ist mehr wert als fünf Beutel Gold."

      "Weil sich ein kluges treues Pferd von keinem andren reiten lässt!“

      Es dauerte eine Weile bis der General begriff. „Du meinst, du bekommst ihn bald zurück, weil er sich dem Sultan verweigert? Ha!“

      "Bei Allah, es ist nur gerecht. Mehmed quält mich jeden Tag mit seinen Flausen!"

      Beide lachten so laut, dass der Sultan auf sie aufmerksam wurde. Was sie miteinander schwatzten, hatte er nicht verstanden, weil die Höflinge immer noch lautstark seinen Sieg beim Rennen bejubelten, aber ihre Unbeschwertheit ärgerte ihn. Vor kurzem hatte sich ihm eine neue schreckliche Kraft offenbart. Er legte seine mit Gold und Edelsteinen beringte rechte Hand auf die Schulter seines Großwesirs.

      "Spürst du die Kraft, die von mir ausgeht, schwarzer Mustafa?"

      "Das tue ich, mächtiger Herr" versicherte der Berührte und setzte eine ängstliche Miene auf, die eher komisch wirkte bei einem so furchteinflößenden Gesicht. Eine gekrümmte Nase ragte aus einem dunkel bärtigen Antlitz mit Beryllium farbenen Augen, die drohend unter buschigen Brauen glühten. Mehmed beugte sich vor und musterte ihn von der Seite.

      "Wie spürst du sie?"

      „Wie einen Strahl eiskalten Wassers an einem heißen Sommertag, oh Herr!“

      Mehmed war das zu wenig. Er legte auch seine linke Hand auf. „Und nun?“

      Kara Mustafa konnte keine Antwort geben. Ein Schauer durchlief seinen Leib und die Glieder gerieten ins Zucken. Solche Anfälle hatte Mehmed beim schwarzen Eunuchen seines Harems gesehen, der an Fallsucht litt. Rasch zog er die Hände zurück, weil sich mit einem ohnmächtigen Großwesir nichts anfangen ließ. Zu spät! Kara Mustafa war bereits zusammen gesunken und General Bekir Mustafa stützte seinen Kopf.

      Mehmed unterzog seine Hände einer intensiven Betrachtung. Unverändert sahen sie aus und besaßen doch die Gaben seines großen Vorfahren, Sultan Süleyman des Prächtigen, der ein Seher und Zauberer gewesen war. Seine Kraft wuchs, die seiner Gegner schwand. Das deutsche Kaiserlein war nach Westen geflüchtet, sein Heer und das der Bayern und Polen vernichtet. Deutschland bot sich ihm wie eine hitzige Stute dar, die genommen werden wollte!

      „Sieh nur, Herr, was du mit ihm angestellt hast!“ jammerte der Janitscharengeneral. „Er atmet kaum!“

      Mehmed überging gnädig den respektlosen Ton.

      „Sieh nur wie er mit den Augen zwinkert! Der wird wieder!“

      Und tatsächlich, ein paar Atemzüge später, richtete Kara Mustafa sich verwirrt auf. Dumm und hilflos wie ein Hühnchen in den Händen des Schlachters, sah er aus. Mehmeds Hand tastete nach dem Griff seines langen Messers. Was, wenn er Kara Mustafa die Kehle durchtrennte? Sein mächtiger Großwesir würde aufspringen, noch ein paar Schritte laufen und auf den Stufen zusammenbrechen. Würden die Hofleute jubeln? Viele hassten ihn, weil sie ihn fürchteten.

      Musik vertrieb die blutige Phantasie. Seine Kapelle rückte an. Der klingelnde Schellenbaum des Mehterbaschi gab Trommlern, Paukern und Bläsern den Takt vor. Wer niemals eine Janitscharenkapelle in der Schlacht spielen gehört hatte, besaß keine Vorstellung von der Kraft ihrer Musik! Zum Klang der Instrumente gesellte sich rhythmischer Gesang, als die Kapelle sich vor der Tribüne aufstellte.

      „Kommt, kommt ihr rechtgläubigen Krieger! Aus den Wäldern, aus den Steppen, aus den fruchtbaren Ebenen kommt! Die Berge hinunter steigt, über die Meere segelt! Schließt euch zusammen unter dem Banner des Padischah, unsres siegreichen Herrn!“

      Begeistert hieb Mehmed seinen silbernen Streitkolben im Takt ins splitternde Holz der Tribüne. Nebenbei bemerkte er, dass sein Großwesir wieder aufrecht saß und die anrückenden Truppen musterte. Ihn redete er jetzt lieber nicht an! Kara Mustafa war nachtragend wie ein Kamel und die kleine Abreibung mochte ihn erzürnt haben. Die ersten vorbei paradierenden Soldaten waren Veteranen des letzten Feldzugs. Manche Gesichter erkannte Mehmed wieder. In den Hülsen ihrer Filzkappen steckten Federn und Verdienstabzeichen als Beweis ihrer Tapferkeit. Den alten Regimentern folgten neue in frischen Uniformen und nagelneuen Waffen. Mehmed wandte sich an den Janitscharengeneral.

      „Sieh nur, welch prächtige Burschen wir da haben! Du achtest mir darauf, dass es ihnen an nichts mangelt! Füttere sie wie Ochsen, damit sie kräftig bleiben!“

      „Ich werde sie bestens versorgen, hoher Herr!“ Der General teilte nicht die Begeisterung des Sultans für die Rekruten. Viele entstammten dem städtischen Gesindel. Aufsässigkeit und Mordlust standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Bis die Stöcke der Zuchtmeister ihnen Disziplin eingebläut hatten, würden Monde vergehen und bis dahin hieß es: Wehe der Stadt oder dem Marktflecken, der diesen Räubern und Mördern in die Hände fiel!

      „Wo steckt eigentlich Kara Mehmed Pascha?“ fragte Mehmed. „Sag es mir, Bekir Mustafa!“

      „In Buda, Herr.“

      Wesir Kara Mehmed, Sieger über König Sobieski in der Schlacht bei Raab, war nach dem Tode von Wesir Ibrahim zum Statthalter der ungarisch-serbischen Provinz Budin erhoben worden und dort unabkömmlich, solange es Krieg mit dem Kaiser gab. Mehmed hätte dies eigentlich wissen sollen. Er hatte es selbst angeordnet.

      „Und Abaza Hüseyin Pascha?“

      „Weilt als Avusturyas Statthalter in Wien, großmächtiger Herr.“

      „Das weiß ich doch! Ich möchte wissen, warum er nicht zum Kriegsrat erscheint. Und warum Kara Mehmed fehlt. Hat Kara Mustafa die beiden nicht her befohlen?“

      Was für eine unsinnige Frage! Die Anreise war lang und beschwerlich, im Winter sogar abenteuerlich. Der alte Hüseyin hätte die Reise nicht lebend überstanden. Kara Mustafa, der mitgehört hatte, drehte sich zu Mehmed um.

      „Sie sind zutiefst betrübt, dein strahlendes Antlitz nicht aus der Nähe sehen zu dürfen, siegreicher Herr. Doch ist der Feind auch im Winter nicht untätig und wer könnte besser deine neuen Ländereien schützen als diese beiden?“

      „Zwei alte bequeme Esel sind das, die man bestrafen sollte!“ grummelte der Sultan. „Und sag mir bloß nicht, dass die Ungläubigen auch im Winter Krieg führen!“

      „Das tun sie aber. Liebend gerne sogar. Sie spüren nicht die Kälte wie wir.“

      Sultan Mehmed dachte an die Männer, die auf der letzten Treibjagd in den Bergen erfroren waren. Waren das nicht Christen gewesen?

      „Wehe dir, wenn du mir Unsinn auftischt, schwarzer Mustafa!“

      „Allah strafe mich mit den Qualen der Hölle, wenn ich das tue!“ antwortete

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