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Mann, der ihnen geöffnet hatte. Er hatte lange, lockige silbergraue Haare und trug ein abgewetztes Gewand, das selbst genäht aussah. Ein großer Schrank aus dunklem Holz mit vielen Fächern bedeckte eine Wand, ansonsten war der Raum schlicht, fast kahl eingerichtet. Sein einziger Schmuck waren die verblassten Muster in den geflochtenen Wänden.

      Ruki beäugte die Keksdose, die auf der Anrichte stand, mit gierigen Blick. Wahrscheinlich hoffte er, dass der Alte ihnen etwas daraus anbieten würde. Aber der machte keine Anstalten dazu.

      „Es kommen selten Fremde in die Stadt“, bemerkte der Mann. Rena sah, dass seine Hände knotig und schwer beweglich waren, und beobachtete verlegen, wie er sich mühte ihnen einen Cayoral zu brühen. Wortlos half sie ihm, so gut sie konnte. Er dankte ihr mit einem Nicken.

      „Wir sind auf der Suche nach Wissen“, sagte sie. „Es heißt, dass die Anderskinder, die jetzt das Mond-Orakel bilden, von hier stammen.“

      Der Alte verzog den Mund, öffnete eine Schublade seines Schranks und reichte Ruki ein kleines Fläschchen mit der Aufschrift Nuss-Öl. „Da, Wolkenbruder. Könnte noch regnen heute.“

      Rena wusste, dass viele Storchenmenschen dieses Öl benutzten, um ihre Flügel gegen Feuchtigkeit abzuschirmen. Ruki schien etwas enttäuscht, dass er nichts Essbares bekommen hatte und die Keksdose verschlossen geblieben war. Aber er griff trotzdem nach dem Fläschchen und machte sich an die Gefiederpflege. Damit war er, wie Rena wusste, erst einmal gut beschäftigt.

      „Es ist besser, dass das mit den Kindern kaum jemand weiß“, sagte der Alte zu Rena gewandt. „Sonst wäre es aus mit unserer Ruhe.“

      „Kanntet Ihr die Familie?“

      „Ja, natürlich, ich habe mein ganzes Leben in diesem Tal verbracht“, sagte der Alte. „Nichts gegen sie zu sagen. Nein, nichts.“

      Doch seine Stimme war zurückhaltend, und das machte Rena misstrauisch. „Zu welcher Gilde gehörten sie?“

      „Hier ist das nicht so wichtig, Meisterin. Hier, am Schnittpunkt der Provinzen.“ Schwerfällig schlurfte er zum Tisch und goss ihnen den Cayoral ein.

      Rena ließ nicht locker. „Hat es die Leute nicht misstrauisch gemacht, als die Eltern sich so plötzlich zurückgezogen haben, nachdem die Kinder geboren waren?“

      „Wir mischen uns nicht in anderer Leute Angelegenheiten.“ Der Alte nippte an seinem Becher und blickte auf die geflochtene Wand. „Der Südwind weht mal wieder. Könnte regnen heute. Oder vielleicht morgen. Besser, Ihr reist weiter, bevor es Euch erwischt. Meine Kräfte reichen nicht mehr, um Regen aufzuhalten oder Wolken zu verscheuchen.“

      Er will das Thema wechseln, dachte Rena. Gut, das kann er haben. „Wie sind die Eltern gestorben? Wisst Ihr, wer sie entdeckt hat?“

      Schweigend blickte der Alte sie an. Er sah aus, als bedaure er, sie hereingelassen zu haben – und als würde er sie am liebsten wieder vor die Tür setzen, Regen hin oder her. „Wer ist es, der das wissen will?“, fragte er schließlich. „Wer seid Ihr? Kommt Ihr vom Rat?“

      „Mein Name ist Rena ke Alaak“, sagte Rena sanft.

      Das Gesicht des Alten entspannte sich. „Die Friedensbringerin. Euch kann ich es sagen. Ihr werdet mich nicht preisgeben.“

      Rena schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Aber wieso habt Ihr solche Angst?“

      Der Alte beugte sich vor, winkte sie zu sich heran. „Die Kinder dürfen nicht erfahren, dass ich von diesen Dingen gesprochen habe“, flüsterte er. „Nie, versteht Ihr! Und den Kerlen in der Felsenburg vertraue ich nicht.“

      Angespannt wartete Rena ab. Ruki hatte aufgehört, sein Gefieder zu putzen, und hörte unruhig zu.

      Und der Alte begann zu erzählen.

      ***

      Finley war im Gegensatz zu Jorak offenbar nicht gewohnt, leise zu gehen. Er stieß ständig irgendwo an und ließ keine knarrende Stelle auf den Stufen aus.

      „Probier´s mal mit Zehenspitzen“, zischte Alena ihm zu und drehte sich kurz zu ihm um. Erschrocken wich der Geschichtenerzähler vor dem blanken Smaragdschwert zurück. „He, vorsichtig mit dem Ding da!“

      Alena seufzte und drehte sich wieder um. Sie konnte Stimmen aus der Gaststube hören, aber es schienen nur die beiden Reisenden vom Nebentisch zu sein. Hoffentlich kamen nicht noch mehr Leute an. „Wir müssen versuchen, die anderen Reisenden zu warnen, wenn sie die Treppe hochkommen. Zu blöd, dass wir sie nicht schon vor der Tür abfangen können.“

      Sie zogen sich in einen kleinen Vorratsraum neben der Treppe zurück und ließen die Tür einen Spalt offen, damit sie kontrollieren konnten, wer heraufkam. In der Dunkelheit standen sie nebeneinander und atmeten den Duft von getrockneten Blättern und in Sirup eingelegten Corusyn-Blüten ein, der sie umgab. Aus den Küchen unten zog der Geruch von Kurg-Sprossen, die wahrscheinlich gerade zu einem faden Brei zerkochten.

      Ein paar Atemzüge lang lauschte Alena auf das, was unten vorging, dann konzentrierte sie sich auf Finleys regelmäßigen Atem neben ihr. „Sag mal, was war da in Vidrano eigentlich los? Du hattest es ziemlich eilig ...“

      Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Ach, das war nichts. Der Wirt hat es ein wenig übel genommen, dass ich keine Geschichte über seinen Lieblingshelden Gibra Jal erzählen wollte und auch ziemlich genau gesagt habe warum. Ich kann nichts dafür, ich finde manche Legenden der Erd-Gilde tödlich langweilig!“

      „Na, zum Glück hast du wenigstens was für uns Feuerleute übrig“, sagte Alena. Ihr Herz pochte laut, als sie hinzufügte: „Deine Geschichte über Alix ke Tassos hat mir gefallen.“

      „Ich kenne noch zwei Dutzend andere über sie, die kommen immer gut an.“ Finley klang sehr zufrieden mit sich. „Wieso interessierst du dich dafür, kanntest du Alix? Nee, geht nicht, dafür bist du zu jung.“

      „Sie hatte eine Tochter.“

      „Moment mal – bist du das etwa?“

      „Bin ich.“

      „Ich bin vom Glück verwöhnt! Dann weißt du sicher mehr über sie als ich und wir können unsere Geschichten vergleichen.“

      Es war bitter, eingestehen zu müssen: „Leider kann ich mich nicht an sie erinnern und ich weiß bestimmt nicht mehr über sie als du. Eher im Gegenteil, fürchte ich.“ Alena wusste nicht genau, warum sie plötzlich hinzufügte: „Ich würde ihr gerne noch einmal begegnen. Bisher hat das nur im Traum geklappt ... “

      Finley schwieg eine Weile und Alena lauschte wieder auf die Geräusche aus der Gaststube. Es klang nicht so, als wollten die anderen Besucher demnächst ins Bett gehen. Gut – so hatte Jorak genug Zeit, alle anderen Gäste zu warnen. Wo er wohl gerade herumschlich? Hoffentlich glaubten ihm die anderen Leute überhaupt ...

      Plötzlich sprach Finley wieder. Doch jetzt klang seine Stimme anders. Nüchterner. „Ich will dir keine zu großen Hoffnungen machen, aber auf einer meiner letzten Reisen habe ich von einem Trank gehört, der genau das möglich macht. Tiefen-Elixir wird er genannt.“

      Wollte dieser Kerl sich über sie lustig machen? „Soso“, sagte Alena knapp.

      „Nein, wirklich! Man fällt in einen Schlaf und sinkt sehr, sehr tief in sich selbst hinein – bis man das Zwischenreich betritt, in dem man sogar Toten begegnen kann, wenn sie dazu bereit sind.“

      Erst wollte Alena skeptisch schnauben, doch dann erinnerte sie sich an ihr Erlebnis im Tempel der Träume in Rhiannon. Dort war genau das geschehen, sie gelangte versehentlich in dieses Zwischenreich ... und konnte kurz mit ihrer Mutter sprechen, bevor eine Freundin sie zurückholte!

      Aber Alena erinnerte sich auch daran, wie nah sie dem Tod damals gewesen war. „Das klingt nicht ganz ungefährlich.“

      „Ist es auch nicht. Was ist, soll ich versuchen, das Elixir für dich zu besorgen?“

      Alena überlegte lange – und merkte,

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