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mochte diesen Jesus aus Nazareth, auch wenn er schuld daran war, daß die Mutter oft wochenlang fort war, weil sie mit dem Meister durchs Land wanderte wie viele andere, Männer und Frauen. Der Vater sagte dann immer: „Sie probt für das Himmelreich!“ Doch das hatte sie nie so recht verstanden, und sie wusste auch nicht, ob Chusa, ihr Vater, den Meister wirklich ernst nahm oder das ganze für eine Marotte der Mutter hielt, die er nachsichtig lächelnd duldete, auch wenn sie manchen Denar für den Meister und seine Freunde ausgab.

      Nun aber war der Meister fort, verhaftet, verurteilt und umgebracht. Sie hatte einmal auf dem Weg nach Cäsarea, wohin der Vater sie mitgenommen hatte, zwei Männer an einem solchen Kreuz hängen sehen, die Arme an einen Balken gebunden. Chusa konnte nicht verhindern, daß sie dort vorbei mussten, und auch wenn er der Tochter rasch den Kopfschleier ins Gesicht zog, damit sich diese Szene nicht in ihr kindliches Gemüt eingraben konnte – das schreckliche Stöhnen dieser Männer, ihr rasselnder Atmen, ihre unflätigen Flüche und Verwünschungen, die ihren Peinigern galten, das alles hatte sie gehört, und es hatte sie noch wochenlang bis in ihre Träume verfolgt. Ja, sie wusste, wie der Meister an einem solchen Kreuz gestorben war. Auch wenn man ihr alle Einzelheiten vorenthielt, ihre Träume von damals kehrten zurück. Doch niemals, das wusste sie noch Jahre später, hatte Jesus in diesen Träumen seinen Peinigern geflucht wie jene Männer an den Kreuzen vor Cäsarea. Nein, das hatte er nicht!

      Jetzt aber sprach die Mutter von etwas anderem, und das war bestens geeignet, ihre Fantasie zu beflügeln: Die vier Frauen waren am Tag nach dem Passahfest zum Grabe gegangen, um die Salbung des Meisters nachzuholen, die während des Festtages ja verboten war. Und sie hätten dort in eine leere Grabeshöhle geschaut und eine Stimme gehört, die ihnen sagte, daß Gott den Meister auferweckt habe, daß er nicht im Totenreich weilte, sondern bei Gott. Und nun, so erzählten die Frauen, hätten auch die Freunde des Meisters Jesus gesehen, nicht so, als wenn er noch lebte, aber doch auch nicht tot. Und Junia sah vor ihrem inneren Auge, was jene erlebt hatten: Sie sah den Meister, wie er zu ihnen sprach, ihnen ganz nahe war und doch unendlich weit entfernt, weil er ja nun in der Welt Gottes lebte. Und sie war überzeugt, das sind keine Träume, das ist wirklich so.

      In diesem Augenblick betrat Chusa den Innenhof, freundlich grüßte er die Frauen und winkte dann der Tochter. „Schade,“ dachte Junia, „ich hätte viel lieber zugehört, was die Großen hier besprechen“. Aber eben das wollte ihr Vater verhindern. Er ließ sich die Wachstafel zeigen und sah sofort, wie abgelenkt sie dieses Mal gewesen sein mußte. Doch er schalt sie nicht für die Fehler, sondern wischte die Zahlen einfach fort und gab ihr den Auftrag, der Sklavin in der Küche bei der Zubereitung des Mahles zu helfen. „Bei so vielen Gästen musst du ihr schon zur Hand gehen,“ sagte er. „Du willst doch nicht, daß man die Flavia bestraft, weil sie nicht rechtzeitig fertig geworden ist.“ Nein, das wollte Junia nicht, auch wenn sie sicher war, die Mutter würde die Sklavin deswegen nicht bestrafen. Aber Flavia war immer lieb zur Tochter des Hauses gewesen, da war es nur recht, wenn sie ihr half.

      Chusa, ihr Vater, hatte indessen noch ganz andere Sorgen. Er war verantwortlich für den Palast des Herodes, des Tetrarchen von Galiläa, in Tiberias, doch dieser einträgliche Posten bedeutete schon stets, daß er zwischen die Fronten geraten konnte. Einerseits ging es um seine Tätigkeit in der neuen Hauptstadt Tiberias. Chusa war durchaus ein frommer Jude, denen jedoch war diese Stadt fluchwürdig. Nicht nur, weil sie ganz nach Art heidnischer Städte angelegt war mit all den Gebäuden, die heidnischer Lebensart entsprachen – Theater, Bäder, sogar ein Tempel. Vor allem aber hatte Herodes für die Anlage der Rennbahn einen Friedhof überbauen und die Grabsteine einfach beseitigen lassen – ein unverzeihlicher Frevel in den Augen der Pharisäer. Die Rabbinen hatten die Stadt deshalb für unrein erklärt, aber Chusa mußte sie dennoch betreten. Immerhin hatte er selbst sich ein Grundstück im benachbarten Magdala gekauft, um dort sein durchaus luxuriöses Haus zu errichten – also nicht auf entweihtem Boden. Daß sein fürstlicher Arbeitgeber, Landesherr in Galiläa und den Gebieten östlich des Jordans, bei seinen schlicht gläubigen Untertanen herzlich unbeliebt war, wegen seiner Prunksucht, seiner Arroganz und seiner wenig frommen Lebensart, das kam noch hinzu.

      In den letzten Jahren hatte Chusa dazu mit einem anderen Problem zu kämpfen. Seine Frau Johanna hatte sich ganz eindeutig diesem Wanderprediger aus Nazareth angeschlossen, lud ihn in sein Haus ein, begleitete den Meister auch gelegentlich auf seinen Wanderungen und sammelte eifrig Spenden für ihn und seine Freunde, wobei sie selbst am meisten gab. Chusa fand diesen Jesus durchaus sympathisch, und manches von dem, was er sagte, beeindruckte ihn, doch er wusste wohl, daß der Tetrarch nichts von dem Nazarener hielt, ja, sogar zweimal einen Haftbefehl ausgestellt hatte, der aber jedes Mal wieder außer Kraft gesetzt wurde. Da war es schon höchst gefährlich, einen Landesfeind als Gastfreund im Hause zu haben. Doch Johanna zuliebe hatte er das stets geduldet, und bislang war es auch ohne böse Folgen geblieben.

      Nun aber war eine neue Situation eingetreten. Jesus war tot, das machte Chusa das Leben leichter – auch wenn er den Nazarener für unschuldig und das Opfer bloßer Intrigen hielt. Aber eben – Jesus war ein vom römischen Prokurator verurteilter Verbrecher, und dennoch trafen sich seine Anhänger weiterhin und verbreiteten die Nachricht, er sei von den Toten auferweckt worden. Und ausgerechnet seine Frau Johanna wurde da als Zeugin genannt. Chusa wusste, Johanna war eine ernsthafte Frau, nie würde sie solche Behauptungen aufstellen, wenn sie nicht wirklich etwas Besonderes erlebt hätte. Doch sie war eben auch nur eine Frau, deren Zeugnis in der Öffentlichkeit wohl wenig Gewicht hätte. Und er, ihr Mann, der Verwalter des Tetrachen, stand wieder einmal dazwischen. Wenigstens die Tochter, die mit ihren acht Jahren noch für vieles empfänglich war, wollte er deshalb aus dieser Angelegenheit heraushalten.

      In den nächsten Wochen wurden die Treffen der Frauen im Hause des Chusa allerdings seltener, einerseits versammelten sich die Anhänger des Meisters, Männer wie Frauen, nun häufig im Hause des Fischers Simon Petrus in Kapernaum, um dort das gemeinsame Mahl zu feiern, wie der Meister es ihnen bei seinem Abschied nahegelegt hatte. Andererseits trafen die Frauen sich zwar weiterhin auch in Magdala, doch jetzt vermehrt im Hause der Maria. Jesus hatte sie, wie alle wussten, vor langer Zeit von einer tiefen Schwermut befreit, und seitdem war Maria eine besonders treue und fürsorgliche Jüngerin gewesen. Dennoch vermied der Meister es, in ihr Haus einzukehren, sie war ehelos geblieben, da schickte es sich nicht, wenn Männer dort zu Gast waren, und er wollte keinesfalls ihrem Ruf schaden. Nun aber freute sich Maria, endlich die Freundinnen bei sich bewirten zu können, und weil Johanna manches zu den Mahlzeiten beisteuerte, brachten sie diese Einladungen auch nicht in Verlegenheit. Johanna jedoch sah schon, daß Chusa darüber erleichtert war, und sie verstand seine Lage durchaus.

      So war es vor allem Junia, die die Gespräche der Frauen vermisste, doch bald hatte sie die Mutter überredet, sie wenigstens zu Maria mitzunehmen, und der Vater konnte es ihr nicht verwehren. Je älter Junia wurde, desto mehr fragte sie nun auch, statt bloß zuzuhören, und manche Erinnerung an den Meister blieb ihr so im Gedächtnis. Anderes dagegen lernte sie bei den Treffen der Frauen, was sie als Kind noch nicht verstanden hatte. So galt sie dann ebenfalls als eine Jüngerin des Meisters, und sie selbst verstand sich auch so – hatte Jesus sie nicht ebenso gesegnet wie andere?

      2

      Zwei Jahre war es nun schon her, daß der Meister in Jerusalem gekreuzigt worden war. Seitdem mied Johanna die Stadt, niemals wieder würde sie den Hügel Golgatha wiedersehen wollen; aber auch vor jenem Grab des Josef, an dem sie zusammen mit den anderen Frauen jene Botschaft erhalten hatte, daß der Meister von Gott aus dem Totenreich herausgeholt worden sei, hatte sie eine fast panische Scheu – das Licht, die Stimme, die Nachricht selbst – das alles war so überwältigend gewesen, hatte sie für einen Augenblick die Nähe des Allmächtigen erfahren lassen, daß sie es nicht über sich bringen konnte, diesen Ort noch einmal und ohne all dies zu sehen.

      Immer wieder hatte Junia sie nach ihrem Erlebnis ausgefragt, und sie hatte versucht, ihr zu erklären, was doch unerklärbar war, doch die Tochter war dennoch immer tiefer eingetaucht in eine Wahrheit, die sie selbst nie erlebt hatte und die ihr inzwischen so vertraut war wie die Erinnerung an die Besuche des Meisters im Hause des Chusa. Junia war ein verständiges, ernsthaftes Mädchen, dazu durchaus lebhaft und von rascher Auffassungsgabe. Der Vater, dem keine Söhne geschenkt waren, ließ

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