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      Da er jedoch bereits tot war, hinderten uns nun keine Tabus daran, ihn zu essen. Also schnitten wir kleine Streifen Fleisch aus dem toten Körper, rollten sie im Schnee, bis sie aussahen, als ob sie mit Mehl paniert worden wären, und schluckten sie hinunter, ohne sie zu zerkauen. Es war ein widerliches Mahl, und wir kamen uns dabei wie Kannibalen vor; aber was hätten wir sonst tun sollen?

      Doch selbst dieser Tag ging einmal zu Ende, und nach einer zweiten Mahlzeit aus ein paar rohen Fleischstücken unseres Yak, zogen wir sein Fell über uns - unser Zelt war ja davongeweht worden - und schliefen, so gut es ging, in dem beruhigenden Bewusstsein, dass wir hier zumindest keine weiteren Lawinen zu befürchten hatten. In dieser Nacht wurde es wieder sehr kalt, und ohne das Yak-Fell, unsere wattierte Kleidung und die Decken, die wir glücklicherweise um uns gewickelt getragen hatten, als die Lawine herunterkam, wären wir wahrscheinlich erfroren. Auch so litten wir entsetzlich unter der Kälte.

      »Horace«, sagte Leo, als es zu dämmern begann, »ich will weg von hier. Wenn ich sterben soll, dann lieber, während ich etwas tue. Aber ich glaube nicht, dass wir sterben werden.«

      »Einverstanden«, sagte ich. »Dann wollen wir aufbrechen. Wenn der Schnee uns nach dieser eisigen Nacht nicht trägt, tut er es nie.«

      Also machten wir zwei Bündel aus unseren Decken und dem Yak-Fell, und nachdem wir uns noch einige Stücke von dem hartgefrorenen Fleisch abgeschnitten hatten, begannen wir den Abstieg. Der kleine Berg war zwar nur knapp zweihundert Fuß hoch, doch war seine Basis recht breit - zum Glück für uns, denn sonst wäre er von der Wucht der Lawine losgerissen und in den Abgrund geschoben worden - und zwischen uns und dem Grund befand sich eine Masse von aufgehäuftem Schnee.

      An der dem Berghang zugewandten Seite, wo der Schnee am höchsten aufgetürmt und durch den Druck zu einer eisfesten Masse geworden war, konnten wir nicht absteigen, da der Felsen hier überhing; also waren wir gezwungen, in das erheblich lockerere und weichere Material zu seinen beiden Flanken herabzuklettern. Da sich durch Abwarten nichts daran ändern würde, gingen wir zur linken Seite des Felsens, wo uns der Schnee etwas fester schien als auf der anderen, und begannen den Abstieg. Leo übernahm die Führung und probierte bei jedem Schritt die Festigkeit des Schnees. Zu unserer Freude hatte der strenge Nachtfrost seine Oberfläche so gehärtet, dass sie unser Gewicht trug. Auf halber Höhe des Hanges, wo der Druck weniger stark gewesen war, wurde der Schnee weicher und nachgiebiger, und wir waren gezwungen, den Rest der Strecke kriechend zurückzulegen, um unser Gewicht auf eine größere Fläche zu verteilen.

      Alles ging gut, bis wir nur noch etwa zwanzig Schritte vom Boden entfernt waren, wo wir einen vom Druck der Lawine angewehten Berg Pulverschnee überqueren mussten. Leo glitt sicher über ihn hinweg, doch ich, der zwei oder drei Meter rechts hinter ihm folgte, spürte plötzlich, dass die harte Kruste unter mir nachgab. Mein ängstliches Bestreben, wieder Halt zu finden - eine vollkommen falsche, doch sehr natürliche Reaktion -, machte das Unglück zur Katastrophe, und mit einem erschrockenen, rasch erstickten Aufschrei verschwand ich in der lockeren, weißen Masse.

      Jeder, der schon einmal unter Wasser getaucht ist, wird wissen, dass es alles andere als ein angenehmes Gefühl ist, doch kann ich ihm versichern, dass es eine weitaus schlimmere Erfahrung ist, im Schnee zu versinken; nur Schlamm und Morast kann noch schrecklicher sein. Ich sank tiefer und tiefer und tiefer, bis meine Füße gegen einen Felsen stießen, der allein mich davor bewahrte, für immer zu verschwinden. Doch jetzt begann der Schnee sich über mir zu schließen, es wurde dunkel, und ich hatte das Gefühl, zu ersticken. Doch die Schneewehe war so locker, dass es mir gelang, um meinen Kopf herum mit den Händen einen kleinen Hohlraum zu schaffen, in den Luft eindringen konnte. Ich stemmte meine Hände gegen den Felsen und versuchte mich aufzurichten, doch ich schaffte es nicht; das Gewicht, das auf mir lastete, war zu groß.

      Nun ließ ich alle Hoffnung fahren und bereitete mich auf das Sterben vor. Dieser Vorgang erwies sich als nicht sehr unangenehm. Ich sah keine Visionen aus meiner Vergangenheit, was angeblich beim Ertrinken der Fall sein soll, sondern - und dies beweist die Stärke ihrer Herrschaft über mich - meine Gedanken kreisten um Ayesha. Ich sah sie in einer rauen Felsenlandschaft vor mir stehen, mit einem Mann an ihrer Seite. Sie trug einen langen Reisemantel und in ihren wunderbaren Augen stand ein Ausdruck tödlicher Angst. Ich wollte mich erheben, um sie zu grüßen, doch sie rief mit wütender, scharfer Stimme: »Was für ein Unheil ist hier geschehen? Du lebst; doch wo ist mein Geliebter Leo? Sprich, Mann, und sage mir, wo du meinen Geliebten versteckt hast - oder stirb!«

      Die Vision war sehr real und lebendig, erinnere ich mich, und, wenn man sie in Verbindung mit einem gewissen späteren Ereignis sieht, äußerst bemerkenswert. Doch sie verschwand so rasch, wie sie gekommen war.

      Ich wurde bewusstlos.

      Plötzlich sah ich Licht und hörte eine Stimme - die Stimme Leos.

      »Horace!«, schrie er. »Horace, halte dich am Gewehrkolben fest!« Etwas Hartes wurde gegen meine ausgestreckte Hand gedrückt, und ich griff danach. Ich spürte, wie jemand am anderen Ende mit aller Kraft zog; aber es war aussichtslos, der Schnee hielt mich fest in seiner Umklammerung. Doch dann kam mir ein Gedanke; ich zog die Beine an den Leib, und durch einen glücklichen Zufall, oder durch eine Gnade des Himmels, fühlte ich unter meinen Füßen den harten Fels, auf dem ich lag. Ich richtete mich auf, als ich wieder den kräftigen Zug am Gewehr spürte, stemmte meine Füße gegen den Fels und stieß mich von ihm ab. Plötzlich gab der Schnee nach, und ich schoss aus dem Loch wie ein Fuchs aus seinem Bau.

      Mein Kopf prallte gegen etwas; es war Leo, der das Gewehr am Lauf gepackt hielt und mit aller Kraft daran zog. Ich stieß ihn auf den Rücken, und zusammen rollten wir den steilen Hang hinab, bis wir endlich hart am Rand der Schlucht gegen einen der herabgerollten Steine prallten. Ich setzte mich auf und zog gierig die frische Luft in meine Lungen. Ein unbeschreiblich herrliches Gefühl! Mein Blick fiel auf meine Hand, und ich sah, dass die Venen hart wie Schnüre unter der Haut lagen. Ich war dem Ende verdammt nahe gewesen, erkannte ich.

      »Wie lange lag ich unter dem Schnee?«, fragte ich Leo, der neben mir saß und sich den Schweiß vom Gesicht wischte.

      »Keine Ahnung. So ungefähr zwanzig Minuten, würde ich sagen.«

      »Zwanzig Minuten! Mir kam es vor wie zwanzig Jahrhunderte. Wie hast du mich herausgezogen? Du konntest doch nicht aufrecht stehen in dem Pulverschnee.«

      »Nein. Ich habe mich auf das Yak-Fell gelegt und mich durch das lockere Zeug zu dir hinabgegraben. Ich hatte dich ja verschwinden sehen und war nicht weit von der Stelle entfernt. Schließlich entdeckte ich deine Fingerspitzen. Sie waren so blaugefroren, dass ich sie zuerst für Fels hielt, doch dann sah ich, dass sie sich bewegten, als ich mit dem Gewehrkolben gegen sie stieß. Zum Glück hattest du noch so viel Kraft, dich daran festhalten zu können. Den Rest weißt du. Wenn wir nicht beide so kräftig wären, hätten wir es nicht geschafft.«

      »Danke«, sagte ich.

      »Wofür?«, antwortete er mit einem flüchtigen Lächeln. »Glaubst du, dass ich Lust hatte, allein weiterzureisen? Komm! Wenn du wieder zu Atem gekommen bist, wollen wir weitermachen. Du bist durchgefroren und musst dich bewegen. Sieh, mein Gewehr ist zerbrochen, und deins liegt irgendwo unter dem Schnee. Na schön, das erspart uns die Mühe, die Munition schleppen zu müssen.« Er lachte sarkastisch.

      Wir begannen unseren Marsch zu der Stelle, an der die alte Straße vor der Schlucht endete, etwa vier Meilen weit entfernt, weil ein Weitergehen in die andere Richtung sinnlos erschien, und wir erreichten sie auch ohne Zwischenfall. Einmal donnerte eine Lawine von der Größe einer Kirche dicht vor uns zu Tal, und einmal löste sich ein Felsen aus dem Hang und kam mit der Geschwindigkeit eines angreifenden Löwen auf uns zugerast, sprang über unsere Köpfe hinweg und verschwand in der Tiefe der Schlucht. Doch wir nahmen von diesen Dingen kaum Notiz; unsere Nerven schienen von den Ereignissen der vergangenen Nacht betäubt und unempfindlich zu sein gegen jede Gefahr.

      Wir standen am Ende der Straße und sahen unsere eigenen Fußabdrücke und die Hufspuren des Yaks im Schnee. Ich blickte eine ganze Weile auf diese Spuren, denn es kam mir seltsam vor, dass wir lebten und sie noch

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