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wir erfahren, wenn die Zeit dazu gekommen ist.«

      Wir gingen schlafen. Es war spät geworden, doch ich fand in dieser Nacht keine Ruhe. Die Warnungen des alten Abtes, dieses gutherzigen und gelehrten Mannes, der auch die vorausblickende Weisheit besaß, die Männern wie ihm gegeben ist, beunruhigten mich zutiefst. Er hatte uns gewarnt, dass wir jenseits der Berge Kummer und Blutvergießen begegnen würden, die mit dem Tod und einer Wiedergeburt zu einem Leben voller Elend enden mussten. Nun, vielleicht hatte er recht, aber kein noch so schweres Leid, das uns bevorstehen mochte, konnte uns aufhalten. Um ihr Gesicht wiederzusehen, war ich bereit, ihm zu trotzen. Und wenn es schon bei mir so war, wie stark musste Leo es empfinden!

      Eine seltsame Theorie: die Annahme Kou-ens, dass Ayesha die Göttin des alten Ägyptens war, der Kallikrates als Priester diente, oder zumindest ihre Repräsentantin. Dass er die königliche Amenartes, mit der er geflohen war, verführte und die Göttin betrog, der er die Treue geschworen hatte. Dass diese Göttin in Ayesha wiedergeboren wurde - oder dass sie die Ayesha und ihre Leidenschaften als ihre Werkzeuge benutzt und in Kôr Rache geübt hatte, und dass in einem späteren Leben der Pfeil, den sie abgeschossen hatte, sie selbst traf.

      Nun, daran hatte ich selbst auch schon gedacht, nur war ich sicher, dass Sie keine wirkliche Göttin sein konnte, wenn auch vielleicht die Manifestation einer Göttin, eine Priesterin, eine Botin, die den Auftrag hatte, einen göttlichen Willen zu vollstrecken, zu belohnen oder zu strafen, sie selbst jedoch ein Mensch, mit Hoffnungen und Leidenschaften, die nach Erfüllung verlangten, mit einer Bestimmung, die erfüllt werden musste. In Wahrheit, wenn ich jetzt über diese Dinge schreibe, da alles vorbei und vergangen ist, finde ich viele Bestätigungen dafür, und nur weniges, das gegen diese Theorie spricht, da ein Leben und die Macht von einer Größe, die nur stärker als die eines Sterblichen sind, nicht ausreichen, um eine Seele göttlich zu machen. Andererseits aber muss man bedenken, dass Ayesha, zumindest bei einer Gelegenheit, andeutete, eine Tochter des Himmels zu sein, und einige Menschen, besonders der alte Schamane Simbri, schien es für erwiesen zu halten, dass sie übernatürlichen Ursprungs war. Doch von all diesen Dingen werde ich sprechen, wenn es so weit ist.

      Jetzt stellte sich für uns zunächst die Frage: was lag jenseits der Berge? Würden wir sie dort finden, die das Zepter führte und auf Erden die Macht der tödlich beleidigten Isis' besaß, und mit ihr jene andere Frau, die ihr das Unrecht zugefügt hatte? Und wenn wir sie finden sollten, würde der entsetzliche, unmenschliche Kampf seinen Höhepunkt um die Person des sündigen Priesters finden? In ein paar Monaten, vielleicht in wenigen Tagen, würden wir es wissen.

      Zutiefst aufgewühlt von diesem Gedanken fiel ich endlich in Schlaf.

      Am Morgen des zweiten Tages nach dieser Nacht befanden wir uns bei Sonnenaufgang bereits auf unserem Weg durch die Wüste. Eine Meile hinter uns konnten wir die verfallene Buddha-Statue sehen, die vor dem alten Kloster stand, und in der klaren, trockenen Wüstenluft erkannten wir sogar die gebeugte Gestalt unseres Freundes, des alten Abtes Kou-en, der am Sockel der gigantischen Statue lehnte und uns nachblickte, bis er uns aus den Augen verlor. Alle Mönche hatten geweint, als wir uns von ihnen verabschiedet hatten, und Kou-en noch bitterlicher als die anderen, da er uns in der Zwischenzeit liebgewonnen hatte.

      »Ich bin traurig«, hatte er gesagt, »sehr traurig, und das dürfte ich nicht, denn so ein Gefühl grenzt an Sünde. Doch finde ich Trost, denn obwohl ich weiß, dass ich mein derzeitiges Leben sehr bald verlassen werde, werden wir uns wiedersehen, in einer oder mehreren unserer zukünftigen Inkarnationen, und nachdem ihr eure närrischen Ambitionen überwunden habt, gemeinsam den Weg zum letzten Frieden beschreiten. Nun nehmt meinen Segen und meine Gebete mit euch und geht. Und vergesst nicht, dass ihr, falls ihr lebend zurückkehren solltet...« - und bei diesen Worten schüttelte er zweifelnd den Kopf -, »ihr hier immer willkommen seid.«

      Wir umarmten ihn und gingen.

      Man wird sich erinnern, dass ich meinen Kompass bei mir hatte, als das geheimnisvolle Licht auf uns fiel, während wir auf dem einsamen Gipfel waren, und ich so die ungefähre Richtung bestimmen konnte, aus der das Licht gekommen war. Da wir keine genaueren Angaben hatten, marschierten wir also in diese. Richtung, nach Nordosten. Den ganzen Tag über durchquerten wir bei wunderbarem Wetter die blütenübersäte Wüste und begegneten niemand außer zwei kleinen Herden Wildeseln, die von den Bergen heruntergestiegen waren, um das frische Gras zu äsen. Bevor es dunkelte, schossen wir eine Antilope und schlugen unser Lager auf - wir hatten das Yak und unser Zelt mitgenommen - in einem Tamarisken-Gebüsch, dessen trockene Äste uns mit Brennstoff versorgten. Auch an Wasser bestand kein Mangel; wenn wir mit den Händen den von Schmelzwasser durchtränkten Boden aufgruben, fanden wir eine mehr als ausreichende Menge. An diesem Abend erlaubten wir uns also ein luxuriöses Dinner aus Tee und Antilopenbraten und konnten unsere mageren Vorräte schonen.

      Am nächsten Morgen führten wir, so gut es uns möglich war, eine Ortsbestimmung durch und stellten fest, dass wir etwa ein Viertel der Wüste hinter uns gebracht hatten, eine Schätzung, die sich als ziemlich genau herausstellte, denn am vierten Abend erreichten wir die Ausläufer der Fernen Berge, ohne jeden Zwischenfall und ohne uns zu ermüden. Wie Leo es ausdrückte, lief alles wie am Schnürchen, doch ich erinnerte ihn daran, dass ein guter Anfang oft ein böses Ende bedeute. Und damit sollte ich auch recht behalten, denn jetzt begannen die wirklichen Strapazen unserer Reise. Gleich zu Beginn dieser Etappe stellten wir fest, dass die Berge erheblich höher waren, als wir vorausgesehen hatten; wir brauchten fast zwei Tage, um die erste, niedere Gebirgskette zu überwinden. Außerdem hatte die Sonnenwärme die Schneedecke angetaut und gelockert, was den Anstieg wesentlich erschwerte, und obwohl wir durch lange Reisejahre in diesem Gebiet an Schnee gewöhnt waren, blendeten seine weiten weißen Flächen unsere Augen.

      Am Morgen des siebenten Tages nach unserem Aufbruch aus dem Kloster befanden wir uns an der Mündung einer Schlucht, die in vielen Windungen in das Herz des Bergmassivs führte. Da es der einzige passierbare Weg schien, folgten wir ihm und entdeckten zu unserer Freude und Erleichterung, dass hier einst eine Straße verlaufen war. Natürlich konnten wir sie nicht sehen, da alles unter einer dicken Schneedecke begraben lag, doch waren wir sicher, dass sich unter unseren Füßen eine Straße befinden musste, da der Untergrund, selbst wenn wir am Rand des Weges und unmittelbar an einem Abgrund entlang gingen, immer eben war; außerdem zeigten beide Wände gelegentlich deutliche Spuren der Bearbeitung durch Menschenhand. Wir hatten nicht die geringsten Zweifel, denn da der Schnee an diesen Stellen nicht haftete, erkannten wir unverwechselbare Werkzeugspuren an den glatten Flächen.

      An mehreren Stellen waren einstmals auch Galerien errichtet worden, einfache Balkengerüste, wie man sie in Tibet häufig findet. Die Balken waren natürlich längst verrottet, und wenn wir so eine Stelle erreichten, an der die Straße unterbrochen war, sahen wir uns gezwungen, zurückzugehen und einen Umweg zu suchen; doch auch wenn wir dadurch ziemlich aufgehalten wurden, gelang es uns doch immer wieder, zur Straße zurückzukommen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren.

      Was uns weitaus mehr belastete - denn hier konnten uns unsere Bergerfahrungen nicht helfen - war die grausame Nachtkälte in dieser großen Höhe, und der eisige, schneidende Wind, der unaufhörlich vom Pass herab durch die Schlucht wehte.

      Schließlich, am Ende des zehnten Tages, erreichten wir das Ende des Tales und kampierten, als es dunkel wurde, in der eisigen Kälte der Passhöhe. Es waren elende Stunden, denn jetzt hatten wir kein Holz mehr, um uns am Feuer zu wärmen oder auch nur Tee zu kochen, und mussten unseren Durst stillen, indem wir Schnee aßen. Unsere Ohren schmerzten derart vor Kälte, dass wir nicht einschlafen konnten, und trotz der dicken Decken und der Körperwärme unseres Yak klapperten unsere Zähne vor Kälte wie Kastagnetten.

      Endlich dämmerte es, und bald danach ging die Sonne auf. Wir krochen aus dem Zelt, das wir vorläufig stehen ließen, und schleppten unsere steifgefrorenen Körper etwa hundert Meter weiter, bis zu einer Stelle, an der der Weg eine Biegung machte, wo die Sonne einfiel, um uns in den ersten Sonnenstrahlen ein wenig auftauen zu lassen.

      Leo erreichte die Biegung als erster, und ich hörte, wie er einen überraschten Ausruf von sich gab. Sekunden später war ich an seiner Seite, und vor unseren Augen lag das Gelobte Land!

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