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ihr Schwert jetzt nicht mehr offen, sondern verborgen unter einer Art weitem Hosenrock, aber so, dass sie es jederzeit ziehen konnte. Wahrscheinlich machte auch sie sich Sorgen darüber, was sie in Oordak erwarten würde und ob drei Kämpfer genügen würden, um den König gegen eine hasserfüllte Menge zu verteidigen.

      Doch eine solche Menge war vorerst nicht in Sicht, und als sie sich Oordak näherten, hatte Jerusha andere Sorgen als die seelische Verfassung ihrer Schützlinge. Es würde bald dunkel werden, und außerdem wuchsen am Himmel Wolken, die ihr ganz und gar nicht gefielen. Sie drehte sich im Sattel um und rief den anderen zu: „Ich bin dafür, dass wir in einem Gasthaus übernachten. Es wird nicht angenehm, wenn das Gewitter uns erwischt.“

      Die Eliscan sahen sich an. Jerusha konnte sich denken, was ihnen durch den Kopf ging: Konnten sie wirklich als Menschen durchgehen? Und wollten sie es ausgerechnet hier auf den Versuch ankommen lassen?

      „Ein Gasthaus brauchen wir sowieso“, gab Kiéran zu bedenken. „Das ist der beste Ort, um halbwegs unauffällig Fragen zu stellen. Bringen wir es hinter uns.“

      Qedyr nickte. „So sei es. Aus diesem Grund sind wir schließlich hier.“

      Colmarél wirkte erleichtert, er warf einen misstrauischen Blick zum Himmel. „Gute Idee! Blitz und Donner sind meine Freunde nicht.“

      „In Wirklichkeit willst du einfach nicht nass werden“, zog Jerusha ihn auf. Damit hatte sie anscheinend ins Schwarze getroffen, sogar Rawelha musste lächeln. Doch auch sie schien sich vor dem aufziehenden Sturm zu fürchten, immer wieder blickte sie besorgt nach oben.

      Das Wetter verschlechterte sich schnell. Windböen rüttelten die Kronen der Bäume, der Himmel wurde schwarz wie Schiefer, und Minuten später begannen die ersten Regentropfen zu fallen. „Legen wir mal einen Zahn zu“, schlug Kiéran vor, und obwohl ihn Colmarél verblüfft anschaute und „Was für einen Zahn denn?“ fragte, nickten Qedyr und Rawelha schon und forderten ihre Pferde zum Galopp auf. Die gewandten Eliscan-Pferde jagten über die Handelsstraße, ihre Hufe berührten kaum noch den Boden. Jerusha gab Damaris den Kopf frei, die Stute ließ sich ohnehin kaum zurückhalten, weil sie den anderen Pferden folgen wollte. Mit einem freudigen Wiehern setzte sie ihnen nach, und ihre Mähne flog Jerusha ins Gesicht.

      Doch als sie sich umwandte, merkte sie, dass Kiéran Probleme mit seinem Ersatzpferd Louc hatte, und zügelte Damaris wieder. Louc war ein freundliches, zuverlässiges Tier, aber nicht gerade schnell. Kiéran versuchte ihn anzutreiben, doch über einen gemächlichen Galopp kam der Braune nicht hinaus.

      „Ich hätte mir auf dem Pferdemarkt einen besseren Gaul kaufen sollen“, fluchte Kiéran, während Millionen Tropfen auf sie herunterprasselten. Jerusha sah kaum etwas, so dicht strömte das Wasser herab, und die Handelsstraße war innerhalb von kurzer Zeit eine einzige Pfützenlandschaft. Doch das Schlimmste war nicht, dass der Regen sie bereits völlig durchtränkt hatte – das Schlimmste war, dass die Eliscan außer Sicht waren.

      „Hoffentlich warten die am nächsten Gasthaus auf uns“, sagte Jerusha, während sie nebeneinander her ritten.

      „Garantiert!“ Kiéran musste schreien, damit sie ihn über das Heulen des Windes verstand.

      Ein greller Blitz fuhr in einen Baum neben der Straße, und der Donner sprengte Jerusha beinahe die Ohren. Erschrocken scheute Damaris und brach zur Seite aus, Jerusha schaffte es kaum, sich auf ihr zu halten. Sie hing halb neben ihrem Hals und hatte außerdem einen Steigbügel verloren – wenn ihre Stute durchging, dann sah es übel aus für sie. Verzweifelt klammerte sich Jerusha an den Lederzügeln fest, obwohl ihre Hände vom langen Reiten schon steif und wund waren, und angelte mit der Fußspitze nach dem Steigbügel. Wo war das verdammte Ding?

      Kiéran holte sie ein und beförderte sie mit einem Schubs wieder in den Sattel. „Danke“, keuchte Jerusha und strich sich das klatschnasse Haar aus der Stirn.

      Als sie endlich das nächste Gasthaus auf der Handelsstraße erreichten, den Hof zur Goldenen Schlange, warteten nicht, wie sie gehofft hatten, drei Reisende unter dem Vordach.

      „Die werden doch nicht etwa weitergeritten sein?“ Jerusha erwartete keine Antwort, und von Kiéran kam auch keine. Er hatte es jetzt richtig eilig, ließ sich schon aus dem Sattel gleiten, bevor Louc zum Stehen gekommen war, und zerrte den Wallach hinter sich her in den Stall, der wie üblich in einem Seitengebäude des Gasthofes untergebracht war.

      Jerusha atmete auf, als sie sah, dass dort die drei Eliscan-Pferde angebunden waren und ihre Nasen in Bottiche mit Getreide steckten. Anscheinend hatte das Wetter ihre drei Begleiter dazu gebracht, sämtliche Ängste zu überwinden und den Gasthof schon zu betreten.

      Weniger begeistert war sie darüber, dass der Stalljunge, der Qedyrs Hengst mit einem Strohwisch trocken rieb, vor Bewunderung fast zerfloss. „Was für ein Tier! Ghalils Schande, solche Hufe habe ich noch nie gesehen, die schimmern richtig, und was für ein …“

      Jerusha hörte sich die Hymne nicht weiter an, sie hetzte hinter Kiéran her, der mit langen Schritten auf dem Weg war zur Gaststube. Sie mussten durch einen Gang zwischen den Gebäuden und gelangten zu einer Tür, die in die Gaststube führte… doch bevor sie sie öffnen konnten, kam ihnen schon jemand entgegen: Colmarél. Er war leichenblass und stürzte aus der Gaststube, als seien tausend Dämonen hinter ihm her.

      „Col! Was ist passiert?“ Kiéran packte ihn am Arm. „Wo sind die anderen?“

      Doch Colmarél schaute ihn nur kurz an, dann stützte er sich kraftlos gegen die Wand und erbrach sich. Kiéran ließ ihn stehen, hastete weiter und riss die Tür zur Gaststube auf. Jerusha holte ihn im gleichen Moment ein, alarmiert blickte sie sich um. Shimounah sei Dank, dort standen Qedyr und Rawelha eng beieinander an einer Seite der Gaststube, sie wirkten eingeschüchtert, aber unverletzt.

      „Sag mir, was du siehst“, kommandierte Kiéran knapp.

      Rasch blickte sich Jerusha um in dem Raum mit den gemauerten Ziegelwänden und rohen Holzbalken an der Decke. Leise beschrieb sie, was sie sah: Etwa zehn Gäste, ihrem Aussehen nach hauptsächlich Händler, aber auch Männer in der Kleidung einfacher Bauern und zwei gelangweilt wirkende, unrasierte Söldner, saßen auf roh gezimmerten Bänken und Tischen. Einige von ihnen schienen gerade erst vor dem Gewitter hierher geflüchtet zu sein, denn vor dem Feuer, das im großen Kamin loderte, hingen zahlreiche Umhänge zum Trocknen. Einige der Gäste schauten neugierig zu ihnen herüber, versuchten wohl festzustellen, was überhaupt los war – niemand wirkte aggressiv oder hatte gar eine Waffe gezogen. Es roch nicht nach Wut und Angst in der Gaststube, sondern nach feuchter Wolle, Gewürzbier und einem Braten, der irgendwo brutzelte. Gerade tauchte der bärtige Wirt aus der Küche auf, nickte ihnen zu und deutete auf einen freien Tisch.

      „Alles ganz friedlich“, schloss Jerusha verwirrt – was bei allen Göttern konnte Colmarél so zugesetzt haben?

      Sie und Kiéran gingen hinüber zu Qedyr und Rawelha. „Was ist los?“, fragte Kiéran leise. „Falls ihr es noch nicht wisst, Colmarél ist vor der Tür und stülpt gerade seinen Magen nach außen.“

      Qedyr schaffte ein verkniffenes Lächeln. „Ich fürchte, unser junger Freund hat den Schock nicht ganz verwunden über die Art, wie Menschen sich ernähren.“

      So langsam dämmerte Jerusha, was gemeint war, denn in diesem Moment nahm einer der Söldner seinen mittlerweile getrockneten Umhang vor dem Feuer weg, und sie und Kiéran sahen, dass über dem Feuer ein ganzes Spanferkel am Spieß briet. Ein kleines Mädchen war damit beschäftigt, den Spieß zu drehen, und gerade säbelte der Wirt mit einem großen, gezackten Messer eine Portion Braten auf einen Teller ab.

      „Ihr esst so was nicht? Nur Pflanzen, oder?“, fragte Jerusha Rawelha, und die große junge Frau nickte schwach, ihr Gesicht war noch blasser als sonst.

      Jerusha versuchte sich vorzustellen, wie sie sich wohl gefühlt hätte, wenn sie in ein Anderwesen-Gasthaus hineinmarschiert wäre, in dem gerade Mensch am Spieß zubereitet wurde. Das war vermutlich vergleichbar. Trotzdem war sie erleichtert, dass nichts Schlimmes passiert war.

      „Ist es in Ordnung, wenn wir trotzdem hier bleiben?“,

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