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Taubenzeit. L.U. Ulder
Читать онлайн.Название Taubenzeit
Год выпуска 0
isbn 9783847629160
Автор произведения L.U. Ulder
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Kannst du die Umgebung überblicken, falls er doch wieder losfährt?“
„Ja, das kann ich sehen, kein Problem.“
„Ok. Ich suche mir auch einen Platz und komme zu dir.“
Valerie stellte ihren Wagen ein Stück weiter an der Straße ab und ging mit ruhigen Schritten über den Platz. Sie wirkte wie eine späte Nachtschwärmerin, die in die einzige Kneipe weit und breit strebte. Unmittelbar, bevor Valerie die Freundin erreichte, öffnete sich die Kneipentür und zwei Pärchen kamen heraus. Laut lachend und gestikulierend standen sie vor dem Eingang. Einer der beiden Männer hatte erhebliche Schlagseite und musste sich am Geländer der kurzen Treppe festhalten, was die anderen nur noch mehr zu amüsieren schien.
Valerie nutzte die Unruhe, die einen Beobachter hoffentlich ablenken würde und glitt geräuschlos auf den Beifahrersitz neben Anna. Die hatte ihren behindertengerecht umgebauten Kleinwagen zwischen zwei mächtige Geländewagen amerikanischer Herkunft gequetscht und starrte auf die Waschanlage.
„Hast du ihn schon gesehen?“
„Nein, er hat sich noch nicht blicken lassen.“
Valerie zog das Fernglas mit Restlichtaufheller unter ihrer Jacke hervor.
„Doch, da ist er. Er steht an der rechten Ecke und schaut sich um. Er scheint auf jemanden zu warten und wirkt hektisch.“
Valerie sprach leise, mehr zu sich selbst.
„Wahrscheinlich hat er in seiner Firma etwas geklaut, was er jetzt vertickern will, ist doch klar.“
Anna schien wieder in ihrem Element zu sein, der Oberkörper war angespannt und ihre Augen funkelten unternehmungslustig. Ohne etwas zu sagen entwand sie Valerie das Nachtsichtgerät und schaute selbst hindurch.
„Er ist tatsächlich ziemlich aufgeregt, dreht den Kopf wie ein alter Wendehals. Wir haben verdammtes Glück gehabt, dass die Fahrt so kurz war. Lange wäre das nicht mehr gutgegangen.“
Valerie antworte nicht darauf, sie nickte nur gedankenverloren.
Sie dachte darüber nach, wie die Observation weitergehen würde. Wie sollten sie den möglichen Empfänger des Diebesgutes identifizieren? Auf die Entfernung würde selbst die Hochleistungskamera keine brauchbaren Bilder liefern. Die Observation vor dem Firmengebäude mit den Aufnahmen des Mannes sollte nur ein weiterer Baustein in der Beweiskette sein. Für den Fall, dass er sein Gesicht vor den Videokameras im Inneren des Gebäudes verbarg.
Ein Schatten, der wie aus dem Nichts plötzlich links neben Anna auftauchte, riss sie aus ihren Überlegungen. Tief gebückt stierte ein Mann mit stumpfen Augen neugierig in den Wagen. Valerie zuckte zusammen und stieß die Freundin mit dem Ellenbogen an. Die hatte immer noch nichts bemerkt und wandte sich mit fragendem Blick Valerie zu. Auf deren Kopfnicken drehte sie sich zurück nach links und schaute direkt in das breite, gerötete Gesicht eines offensichtlich sturzbetrunkenen Kerls. Vor Schreck fiel Anna das Fernglas aus den Händen und es verschwand mit gedämpften Poltern im Fußraum. Der Mann schien das Fernglas nicht registriert zu haben, er interessierte sich eindeutig nur für Anna. Zu einem gegrölten unflätigen Spruch, der eine abwertende Bezeichnung für den Geschlechtsakt beinhaltete, klopfte er mit der Hand aufs Autodach. Augenblicklich hatte sich Anna wieder gefangen.
„Ey Alter, hau ab, du alter Wichser!“, brüllte sie wütend.
Dazu formte sie mit der rechten Hand eine hohle Faust, die sie hoch und runter bewegte. Die Augen des Typen wurden größer, seine dunkelblonden Haare standen struppig vom Kopf ab. Er jaulte etwas Unverständliches und kam mit seinem massigen Körper noch dichter an das Fenster heran. Beide Hände langten breit auseinander auf das Dach des kleinen Autos und schüttelten es, seine Hüfte vollführte dabei eindeutige Stoßbewegungen.
Während der Wagen schaukelte, als würde er über eine Teststrecke gejagt, wanderte Valeries linke Hand in ihre Jackentasche und bekam die kleine Dose Pfefferspray zu fassen. Sie bereitete sich darauf vor, Anna ein Zeichen zu geben, damit sie die Fensterscheibe einen Spalt herunterließ. Plötzlich drehte der Kerl ab, der Wagen beruhigte sich wieder. Anscheinend hatte ihm sein Fahrer etwas zugerufen. Der Typ machte noch eine abwinkende Armbewegung und kletterte schwerfällig auf den Beifahrersitz des Geländewagens, der gleich darauf gestartet wurde und mit grollendem Motorengeräusch losfuhr. Eine Wolke verbrannter Benzindämpfe blieb zurück und drang ins Auto.
„Puuh, was der Alkohol aus einem Kerl macht.“
„Einen Vollidioten. Und jeder, der hier rumschleicht und einigermaßen bei Verstand ist, hat mitbekommen, dass hier im Auto jemand sitzt. Da hätten wir auch ein Magnetblaulicht aufs Dach pappen können, das wäre kaum auffälliger gewesen. Und du musstest ihn auch noch provozieren.“
„Oder er denkt, hier sitzt eine tapfere kleine Ehefrau, die auf ihren saufenden Mann wartet und von anderen Trinkern belästigt wird. Außerdem, was gab es denn bei dem noch zu provozieren, der war doch schon voll in Fahrt.“ Sie deutete mit der Hand nach links. „Irgendwie fühle ich mich jetzt nackt, ohne unseren Flankenschutz.“
„Da kommt ein Auto.“ Valerie machte mit dem Kopf eine Bewegung nach vorn in Richtung der Zufahrtsstraße.
Anna fischte erstaunlich schnell das Fernglas aus dem Fußraum und hielt es bereits vor den Augen, als der fremde Wagen noch auf der Anfahrt war. Automatisch schwenkte sie in die Richtung, in die Valerie gedeutet hatte.
„So ein Mist“, fluchte sie gleich darauf los. „Jetzt habe ich genau in den Scheinwerfer gesehen, ich bin blind.“
Sie nahm das Gerät herunter und rieb sich die Augen.
Glucksend unterdrückte Valerie ein Lachen.
„Wie doof ist das denn? Da kannst du auch mit einem Fernglas in die Sonne sehen. Gib her.“
Sie übernahm wieder den observierenden Part und verfolgte den neu ankommenden Wagen, der langsam über den nur schwach ausgeleuchteten Platz rollte und im Schlagschatten neben der Waschanlage zum Stehen kam.
Der Mann an der Ecke der Anlage setzte sich in Bewegung. Sorgsam darauf bedacht, ebenfalls im Schatten zu bleiben, näherte er sich dem Wagen. Valerie konnte erkennen, dass er etwas in der Hand trug.
„Du hättest ruhig etwas mehr Geld ausgeben können. Die besseren Geräte haben einen eingebauten Schutz für die Augen und blenden grelle Lichtquellen aus.“
„Da drüben passiert etwas. Sei leise.“
Der neu Angekommene stieg ebenfalls aus. Im grünen Licht des Restlichtaufhellers konnte Valerie erkennen, dass die beiden Männer miteinander redeten. Wobei die meiste Zeit der Alte auf den Neuankömmling einredete und dieser nur am Nicken war.
Dann wechselte ein kleiner, etwa faustgroßer Gegenstand den Besitzer.
„Jetzt hat er ihm etwas übergeben, hast du das Kennzeichen von dem Kerl notiert. Der wird gleich wieder verschwunden sein.“
Aber das Gegenteil geschah. Der Mann ging geradewegs zur Tankstelle, hantierte an der stählernen Seitentür und verschwand darin. Als wäre es kein konspiratives Treffen gewesen, sondern eine ganz normale Verabredung, flackerte plötzlich die Neonbeleuchtung und der Verkaufsraum der kleinen Tankstelle war hell erleuchtet.
Valerie und Anna sahen sich verblüfft an.
„Ich muss dringend telefonieren. Das hatte ich nicht erwartet.“
Mit wenigen Worten setzte sie ihren Auftraggeber in Kenntnis, ohne das Fernglas abzusetzen.
„Das Licht ist wieder ausgegangen. Er kommt zurück und geht wieder auf ihren Mitarbeiter zu.“
Ihre Stimme war so leise, dass selbst Anna ihre Ohren spitzen musste.
„Sie haben recht, er gibt ihm etwas zurück. Das Teil scheint dasselbe zu sein wie vorhin. Zumindest ist es genauso groß. Das Treffen ist zu Ende, sie trennen sich.“
Es entstand eine kurze Pause.