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Pagnol]

      »... schlafen! Glaubst du, ich merke nicht, dass du lauschst? Das ist keine Bitte. Kein guter Rat. Zet und du, Claude, Vau und Ix, ihr alle müsst schlafen. Versucht noch zu schlafen.« Wie vermutlich viele Mütter sitze ich dem Drang der Wiederholung auf, in der Hoffnung, damit sorgenvoller zu wirken und eindringlicher für das kindliche Gemüt zu sein.

      Eddie schickt verwunderte Blicke zwischen uns hin und her.

      Antoine macht mit der Handfläche eine kreisende Handbewegung auf Claudes Kopf, unser Zeichen für Schlaf. Die Jungen gehorchen und ziehen sich in die Schatten der seitlichen Befestigungen zurück. Antoine umhüllt sie mit Decken gegen die nächtliche Kälte. Ihre Nasen schauen vorwitzig heraus. Zet und Vau sind unter den Decken anfangs noch unruhig, bis auch sie ihren Schlafplatz finden und in engem Körperkontakt zu ihren Schützlingen ruhen.

      »Es funktioniert nur, wenn der Affe einen Freund in seinem jeweiligen Menschen sieht. Zet wurde hier angeliefert, begleitet von seiner Trainerin. Afrika machte ihn zeitweilig – verrückt. Die Gerüche, die Luft, Hitze, Kälte, Regen. Vielleicht wurden Urerinnerungen geweckt? Keine Ahnung. Zet ist in einem amerikanischen Zoo geboren worden. Erst nach und nach begriff er hier seine Rolle. Es ist eine Sache, den Primaten in einer künstlichen Umgebung zu dressieren und eine andere, ihn in seine Arbeitsumgebung unter realen Bedingungen zu entlassen. Normalerweise finden Annäherungen zwischen Affe und Schützling schon während des Trainings statt. Aus nachvollziehbaren Gründen war mir das nicht möglich. Der Aufenthalt der Trainerin drohte zu lange zu dauern. Zu teuer für mich. Das Geld.« Ich grinse unverschämt. »Ich hatte es meinem Vater für ein Auto abgeschwatzt. Ein Auto besitze ich in Niger bis heute nicht.« Die Berührung, seine Hand in der meinen, spüre ich mit einem Mal wieder, als hielten wir uns erst seit Sekunden. Seine Hand ist trocken, kühl, der Griff ist aufmerksam, nicht zu fest. Ich freue mich darüber, ihm aus meiner Vergangenheit zu erzählen. »Claude. Er kam zu mir, als hinter vorgehaltener Hand über die Frau mit dem seltsamen Jungen getuschelt wurde. Einmal nicht die Geisterfrau. Aber seltsam. Die Frau, die mich in Begleitung weiterer Frauen aufsuchte, war weithin bekannt. Wenn von der Targia gesprochen wurde, konnte nur sie gemeint sein. Saloua war beeindruckend. Sie verschaffte sich ein Bild von unserer Schule. Niemand, am allerwenigsten ich, hätte gedacht, dass sie einen Jungen in meine Obhut geben wollte. Pascale war damals drei Jahre bei mir. Claude, wie ich den neuen Jungen nannte, erinnerte mich in seinem Verhalten an Pascale. Bloß war er nicht blind, sondern taub. Er war nur wenig aufgeschlossener, konnte rudimentär lesen und benutzte eine Zeichensprache, die nicht mit den gängigen Ausdruckformen übereinstimmte. Ich beherrschte selber die echte Gebärdensprache nicht, lernte sie gemeinsam mit Claude, in dem Maße, wie er gleichzeitig, wenn auch langsamer, seine Fähigkeiten im Lesen perfektionierte. Pascale und Zet wurden mit in diese Abläufe integriert. Mit dem Lernprozess entwickelte sich eine Verbindung, die ich so nicht vorhergesehen hatte.«

      Eddie legt schmunzelnd den Kopf schräg, als ich meine Rede unterbreche. »Ja?«, fragt er.

      »Ich doziere schon«, antworte ich.

      »Na, ja«, erwidert er lächelnd.

      »Nein, nein, das darf nicht sein!«, sage ich energisch. »Klar, ich will, dass von den Jungen gelernt wird, dass ihr Lernfortschritt auch anderen Kindern hilft, aber – aber, nein, ich darf sie nicht so – so vorführen. Das darf nicht sein!«

      »Das wirst du nicht«, sagt Eddie aufmunternd. »Ganz bestimmt nicht.«

      »Ein halbes oder ein dreiviertel Jahr verstrich mit Lernarbeit. Jeden Tag, in aller Ruhe und Sorgfalt, und eines wurde nur allzu deutlich. Ein Affe genügte nicht. Zet war für Pascale da, wusste aber manchmal nicht genau, wie er sich verhalten sollte, wenn Claude Nähe suchte. Die Lösung lag auf der Hand. Ein weiterer Affe. Allerdings hatte ich kein Geld. Sollte ich meinen Vater um Geld für noch einen Wagen anpumpen? Bestimmt nicht. Mein Vater ist immer noch ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann, ein Idiot ist er nicht! Saloua ließ mir in unregelmäßigen Abständen durch einen Targi etwas Geld zukommen. Kleine Beträge, ausreichend für etwas Kleidung, zusätzliche Nahrung, ein bisschen Spielzeug. Besser als nichts, aber auf die Dauer kaum ausreichend.« Ich stocke. Ich bin mir nicht sicher, ob ich weitererzählen soll. »Ich habe Gelder für die Schule veruntreut«, erkläre ich nach einer Weile kleinlaut.

      Eddie reagiert mit einem leichten Achselzucken. »Na, und? Die UN jagt so viel Geld durch den Schornstein ...«

      »Das macht es nicht besser! Diebstahl ...«

      [Eddie Trick]

      »... sollte nicht die Grundlage sein für ...«

      Ich mag's nicht, überflüssiger Selbstkasteiung zuzusehen. »Für was? Für Hilfe? In Afrika überleben viele, weil sie sich zum Leben nehmen, was sie gerade brauchen.« Es ist eine bittere Erkenntnis, die da, ohne großartig nachzudenken, aus meiner vorlauten Klappe kommt.

      »Ist gut«, sagt sie. »Ist schon gut.«

      Übermüdet wie ich bin, um gut 2:00 Uhr nachts, trotz des Gesöffs von Samir, posaune ich meine gesammelten Weisheiten aus. »Wenn weniger verschwendet würde, wenn es bei dir gelandet wäre, dann ...«

      »Ist schon gut«, sagt Nathalie erneut und drückt meine Hand. »Lieb von dir.«

      Die Lichtkegel der Fahrzeuge entreißen der Landschaft ringsum Einzelheiten. Scheibchenweise tauchen sie aus dem Dunkel auf. Viel gibt es nicht zu sehen. Das da draußen, so karg, trist und rot unter den Scheinwerfern, könnte ebenso gut die Marsoberfläche sein. Nur Krater von Meteoriteneinschlägen fehlen. Nathalie gibt meine Hand frei, und ich falle in eine Art emotionalen Schockzustand.

      »Darf ich weitererzählen?«, fragt sie beinahe schüchtern.

      »Ja. Natürlich, natürlich.«

      »Claude war anders. Ernster, nicht so verspielt. Pascale war zu Anfang ähnlich. Als sich die Sperre löste, wurde er fröhlicher. Claude nicht. Er war ernst und blieb ernst. Ich nahm an, er käme nach seiner Mutter.«

      »Saloua?«

      Die Geisterfrau schweigt einen Augenblick. »Ja.« Sie ringt sich ein spöttisches Grinsen ab, ganz und gar nicht Mutter-like. »Genetisch motivierter Firlefanz. Er konnte einfach nur ernst geraten sein, weil er in eine stumme Welt geboren wurde.« Sie nickt sich eine eigene Bestätigung zu. »Er war ein sehr aufmerksamer Junge. Aus heutiger Sicht war Pascale genau richtig für ihn. Jemand, der diesen Weg bereits gegangen war und eine gewisse Sicherheit bot. Aber! Der Affe! Über Umwege fand ich einen neuen Helfer. Keinen Pavian diesmal. Es wäre mir recht gewesen, aber ein Experte riet mir davon ab. Ich entschied mich für einen Bonobo. Ein für Zet artfremder Primat. Arteigene Rivalitäten entfielen so, und ich glaubte, Vau, wie ich ihn nannte, werde sich Zet ganz selbstverständlich unterordnen. Nun hatte ich Erfahrungen gesammelt. Affe pflegt, hilft Mensch. Doch – Affen pflegen, helfen in der Gruppe. Das war Neuland. Und das ist es noch. Es gibt weltweit nichts ...«

      [Nathalie Pagnol]

      »... Vergleichbares. Es dauerte einige Monate. Es kehrte Ordnung in mein kleines System ein. Ich weiß, Kinder und Ordnung passen schlecht zueinander. Im Regelfall. Pascale und Claude, die beiden Affen, sie benötigen besondere Regeln, eine rigorose Ordnung, einen organisierten Tagesablauf. Das gibt ihnen, neben der Ordnung in Räumen, im eigenen Zuhause, Sicherheit.« Ich rufe mir die damaligen Ereignisse ins Gedächtnis. »Antoine merkte es eher als ich. Wie sehr mich meine – Arbeit auffraß. Es war eben nicht nur Familienleben. Die Nächte wurden immer kürzer. Es gab Tage, an denen ich überhaupt nicht ins Bett fand. Irgendwann kam der Zusammenbruch. In dieser Phase, in der ich mich am Boden glaubte, meldete sich Benoît Moussa bei mir. Meine Panik! Du kannst sie dir nicht vorstellen! Ich – er stand im Eingang der Schule, und ich dachte nur an die Adoption. War sie unrechtmäßig? Wollten die Behörden mir den Jungen wegnehmen? Hatte der Vater interveniert? Die Mutter? Doch nichts dergleichen!« Die Erinnerungen sind so übermächtig, dass es mich fröstelt. Für mich ist keine Decke mehr da. In der Hoffnung, so Wärme zu finden, lege ich die Arme um mich. »In unseren Büroräumen gab sich mein nigrischer Freund ganz entspannt. Von dem, was ich befürchtete, keine Spur. Im Gegenteil. Benoît brannte die Zeit unter den Nägeln. Also

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