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van-Gogh- und Munch-Gemälden und ein paar Fotografien von mir. Fotografieren war mal mein Hobby. Die Digitalisierung hat mir den Spaß verdorben. Früher war Fotografieren wirklich ein Kunsthandwerk: mit 36 Bildern eines Films haushalten, jedes Bild gut vorbereiten, das Motiv suchen, überlegen, ob es sich lohnt, und manchmal auch mal zwei Bilder vom selben Motiv machen, hoffen, dass der Film am Ende vielleicht 37 oder 38 Bilder hergibt, wenn ich vorsichtig weiterdrehe. So war es einmal. Jetzt Speicherkapazität 1000, 2000, 3000 Bilder, wahllos und risikofrei drauflosknipsen. Das ist nicht mehr Fotografie, das ist Dekadenz, optische Vergewaltigung der Umwelt. Zwar habe ich mir aus pragmatischen Gründen auch so eine Kamera gekauft, für etwas weniger als einhundert Euro, aber ich lasse sie meist trotzig in der Schublade liegen. Ich beschreibe die Welt nur noch verbal, das ist auch am Computer für mich in Ordnung, Worte bleiben Worte, auch wenn die Produktion am PC etwas völlig anderes ist als das sorgfältige Schreiben in einen Spiralblock mit Füllfederhalter, durchstreichen, weiterschreiben, nach dem Schreiben eines Kapitels in die Schreibmaschine hämmern. So jedenfalls geht das, wenn ich schreibe. Wenn ich schreibe. Wenn ich den Satz habe und drin bin. Ich sehe mir die Wände an mit den Bildern von Munch, Monet und van Gogh. Ich gehe an den Wänden entlang, drehe mich um, gehe zurück, wie in einem Ausstellungsraum, schaue an die Decke, sehe dort eine Lampe, Glühbirne mit Ikea-Ballon, davon ausgehend mehrere Spinnnetze zur Decke. Wie soll ich da rankommen und die entfernen. Und was würde mir das nützen. Eine saubere Wohnung und keine Idee. Leicht könnte jetzt jemand einwenden, dass eine saubere Wohnung jenseits meiner Suche nach einem Satz und einer Idee Sinn hat und den Menschen vor vielen Dingen bewahrt, Krankheiten, Allergien, Verwahrlosung, und eben eine saubere Wohnung als solche schon Wert hat. Das ist alles irgendwie einleuchtend. Außerdem wäre die Reinigung der Räume eine spezifische Praxis der körperlichen und geistigen Bewegung, eine Suche der eigenen Art, eine Satzfindungsdynamik. Sie könnte genau in mein jetziges Leben passen, auch wenn ich es nicht unbedingt lebensqualitätsförderlich finde, jeden einzelnen Ablauf meines normalen Lebens zu einem Bestandteil der Suche zu machen. Aber was bleibt mir übrig. Langsam gehe ich in die Küche, hole aus einer Nische neben dem Geschirrschrank eine Klappleiter, bringe sie unter der Lampe an, klappe sie aus, besteige sie, steige wieder hinab, weil ich keine Reinigungswerkzeuge mitgenommen habe, hole aus der Küche einen Lappen, besteige erneut die Leiter und beginne mit dem Reinigungswerk. Ich wische die Spinnweben von einer Seite her an, das führt dazu, dass der hängende Rest sich in diffuser Weise um meine Hand legt oder bis zu meinem Gesicht pendelt, was ich wiederum mit dem bereits spinnwebenbesudelten Lappen zu verhindern bzw. rückgängig zu machen versuche, mit geringer Wirkung. Ich fuchtele ein wenig mit der Lappenhand durch die Luft, in der Hoffnung, damit die herumhängenden Bestandteile jener Spinnenerzeugnisse soweit unter Kontrolle zu bekommen, dass ich mitsamt Lappen aus der Höhe der Leiterspitze heruntersteigen und den Lappen seinerseits einer Reinigung zuführen kann. Oder einen anderen Weg zur Herbeiführung von Hygiene suchen. Nun ist das insgesamt eher ein zweifelhaftes Unternehmen, da Spinnnetze ja eine positive Funktion haben und nur aus der Sicht des in bestimmten Hinsichten sauberkeitsbesessenen Menschen als schmutzig gelten. Was daran liegt, dass der Mensch, den wir so kennen, ganz bestimmte Substanzen gut und richtig und andere schmutzig findet. Ich will nicht behaupten, dass ich das alles nicht nachvollziehen kann, aber es würde mein Leben erheblich erleichtern, wenn die Standards ein wenig verschoben würden zum Beispiel hin zu einer Würdigung der Aktivität von Spinnen, die sich ja unter gewissen Gesichtspunkten gegenüber dem Lebenswandel und den Vorlieben des Standardmenschen kooperativ verhalten. Würde der Mensch sich als ein großer Liebhaber und Beschützer diverser Insekten, Fliegen, Mücken und so weiter herausstellen und diese unbedingt vor den Netzen der Spinnen bewahren wollen, sähe die Sache anders aus. Auch ich bin kein Freund von summenden und gar stechenden Insekten. Wir haben hier ein Problem des Vegetationsniveaus, der Spezies und der Perspektive. Ohne dass ich damit meine Aversion gegen dramatische Reinigungsaktionen in irgendeiner Weise ideologisieren will. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nie ein Spinnennetz in Aktion gesehen habe, also zum Beispiel eine Fliege, die sich darin verfangen hätte. Ich kann es nur glauben. Mit diesen Netzen war nichts los, sie waren eher schmuddelig, unregelmäßig, alt, wurden nicht mehr benutzt, jedenfalls nicht von Spinnen. Aber ich bin kein Fachmann im Beurteilen des Alters und Nutzungsstadiums von Spinnnetzen. Wozu es ohnehin jetzt zu spät ist. In der Küche wird der Lappen gereinigt, danach zurück zur Leiter und wieder der Decke entgegen gestiegen, um nun zur Feinsäuberung zu kommen. Was spräche dagegen, dies als Teil einer Geschichte zu betrachten, die etwas mit dem Leben der Spinnen, dem Leben der Menschen, Leitern, Lampen, Reinigung, einer Philosophie der Hygiene und der Existenz des Menschen zwischen Boden und Decke zu tun haben könnte. Eine Geschichte, die mit dem Leben der Spinnen, nein, einer Spinne begänne, eine Art Fabelwesen, vielleicht eine verwandelte Spinne, redend und die Sprache der Menschen verstehend oder doch eben ihre eigene Sprache sprechend, vielleicht eine Variation zu Kafkas Verwandlung, aber ohne Metaphorik der Tierwelt, und einfach nur eine Geschichte erzählend. Während ich auf der Leiter stehe, mache ich mich an dem weißen Ballon zu schaffen und streichele ihn mit dem Lappen, so, dass er nicht aus der Halterung der Fassung wegrutscht. Das ist bald geschafft, nach meiner Einschätzung, ich bin ja wirklich kein Experte in Reinigungsangelegenheiten. Wer, zumal welcher Schriftsteller, hat schon eine Ausbildung in Sachen Wohnen und Reinigen gemacht. Ich bin jetzt sehr zufrieden mit mir und vermute, dass dieser Zustand der Decke und des Lampenballons mich durch die nächsten Monate tragen wird. Auch wenn die Geschichte, die ich auf der Leiter zu konzipieren begonnen habe, nicht unbedingt etwas taugt. Aus dem Kühlschrank hole ich eine Flasche (Hefe-) Weizenbier und nehme den Roman zur Hand, der mich zur Zeit begleitet, geschrieben von einem, der den ersten Satz fand und vieles mehr. Nicht dass ich diesen Roman geringschätze, aber ich mache mir schon Gedanken darüber, wie es kommt, dass dieses Buch – wie es scheint mühelos – den Weg über einen Lektorentisch zum Drucker und auf die Wühltische der Buchhandlungen fand. Es liest sich nett, nun ja, eben nett. Es unterhält mich auf einem gewissen Niveau. Es hat eine Geschichte und entwickelt sie, man freut sich von Seite zu Seite und möchte weiterlesen. Eine männliche Figur in einer Lebenskrise, die Entwicklung einiger Perspektiven, ein Stückchen love story ausgehend von einer Zufallsbekanntschaft an der Supermarktkasse, dann ein Handlungsstrang, der sich konsequent auf einen Mord hin entwickelt, was allerdings nicht das Zentrum des Buchs ist. Ermorden tut die Hauptperson einen alten Bekannten. Warum? Er nervt, der Autor lässt die Nerverei eskalieren. Und die Geschichte geht weiter, die Leiche landet quasi in der Erzählschublade. Die Geschichte hat interessante Wendungen und Phasen, aber ich finde, ungefähr so hätte ich sie auch erzählen können. Das Buch wurde genommen, es liegt auf den Tischen der Buchhandlungen gleich am Eingang. Es macht mich eifersüchtig, es lässt mich die bohrende Frage stellen, die jedem Geschichten suchenden Menschen auf den Lippen liegt, warum nicht meine Geschichte, was hat er, was ich nicht habe. Diese Frage, die zu stellen keinen Sinn hat, und die deshalb immer wieder gestellt wird. Jetzt peitscht ein nächtlicher Sommerregen gegen die Fensterscheiben, und ich beschließe, für meine letzten Minuten vor dem Schlafengehen mit dem Suchen und Fragen auszusetzen. Immer wieder sind mir die besten Ideen meines Lebens in der Zeit gekommen, die ich bereits auf das Einschlafen wartend verbrachte, im Zustand des gelassenen Rückblicks auf die letzten dreizehn oder vierzehn Stunden des Tages, im Schwellenzustand zwischen dem unerfüllten Leben des Scheiterns und dem wunderbaren Stand des (fast) bewusstlosen Schlafs.