Скачать книгу

tatsächlich immer noch nicht gelöscht habe. Geschweige denn ein passabler neuer erster Satz. Einfach gar kein richtiger Satz, nur Fetzen zum Aufsammeln und Wegwerfen. Es ist zum Heulen, zum Tischtrommeln, zum Teller-an-die-Wand-Werfen. Es ist die in der Literatur so oft beschworene Loserexistenz des Möchtegernschriftstellers, eloquent beschrieben von Menschen, die so ein Problem nicht haben. Ein Buch nach dem anderen schreiben und es einfach nur fließen lassen müssen. Ununterbrochen. Langsam trinke ich weiter an meinem Kaffee, der immer noch mein Hoffnungsträger ist. Ich trinke die Tasse zu ende, gebe mich meinen Gedanken hin, versuche, eine Weile nicht zielgerichtet auf den einen Satz, auf ein Buch hinzudenken, sondern einfach nur absichtslos vor mich hin zu dösen, aber auch das schon wieder so unglaublich absichtslos, dass ich von der eigentlichen Absicht hemmungslos unterworfen werde. Auch die zweite Tasse ändert daran nichts, sondern lässt vielmehr in mir die Ungeduld über den ausbleibenden Erfolg wachsen. Er hat versagt, der Kaffee, meine Liebe zu ihm hat seine Wirkung erdrückt. Das könnte, wenn es nicht so pathetisch wäre, fast ein guter Anfangssatz sein, ist aber eher ein mittelmäßig interessanter Satz irgendwo in der Mitte.

      Nach Tee und Kaffee bleibt jetzt noch das Duschen. Ich gehe langsam ins Schlafzimmer, lege meine Kleidung behutsam der Reihenfolge nach ab – viel ist es nicht, da ich an diesem Tag keine förmliche Begegnung mit anderen Menschen erwarte. Jeans, T-Shirt, Unterhose, Brille. In diesem Zustand, ohne diese Dinge, die paar Schritte zum Bad und in die Dusche. Ich lasse mich einige Minuten lang von warmem Wasser überströmen, genieße das Prickeln auf dem Rücken, auf das Gesicht mit geschlossenen Augen, auf den Bauch, fahre mir durch die stoppelkurz geschnittenen Haare, verteile die Seife gleichmäßig auf den ganzen Körper, kein Duschgel oder ähnliches, ich bin ein altmodischer Seifenbenutzen. Dann wieder strömendes Wasser, und immer wieder durchzuckt von dem Gedanken, den ich eigentlich unterdrücken will, um seine Wirkung nicht schon im Keim zu ersticken: Funktioniert es jetzt mit der Inspiration? Eigentlich soll die Idee ja ganz gelegentlich und zufällig daherkommen, aber diese Gelegenheit zum Angelegentlichen gebe ich ihr einfach nicht. Weil ich eben kein Profi des Angelegentlichen bin. Ich bin ein professioneller Loser, falls es so etwas gibt. Jemand, der seinem Beruf mit Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit nicht nachgehen kann. Jemand, der vor seinem Laptop sitzt und schwitzt, aber nicht schreibt. Jemand, der eine Idee per Zufall braucht, per Zufall, den ich seit Wochen herbeizuführen versuche. Schon das Schreiben des Wortes Zufall ist ein Unfall, Widerspruch, Notausgang. Die typische Maßnahme eines Schriftstellers, der sich selbst und den Rest der Welt mit seinen absolut substanzlosen Ambitionen nervt. Ich starre auf den Zufall, ich kann nicht mehr anders. Ich starre und starre.

      Spaziergang

      Es gibt Schriftsteller, die Weltreisen unternommen haben, um Ideen für ihre Romane zu bekommen, mindestens Reisen in andere europäische Länder, das unerschöpfliche Italien, das wunderschöne Südfrankreich oder die Bretagne oder die Normandie, die unergründliche Stadt Paris, die unglaublich originelle Mittelgebirgslandschaft Schottlands mit den herrlichen sprichwörtlichen schottischen Wolken darüber. Auch ich sollte etwas unternehmen, mich herausfordern lassen. E. M. Forster war in Florenz, um sich zu A Room with a View inspirieren zu lassen, Goethe war in Italien und machte daraus seine Italienische Reise, George Orwell nahm am spanischen Bürgerkrieg teil, um danach Homage to Catalonia zu schreiben, und konnte seine Burmese Days schreiben, weil er zu britischen Kolonialzeiten jahrelang dort war. Ich kann also wohl kaum der Meinung sein, die Welt des Buchstabens ließe sich einfach am Schreibtisch erobern.

      Ich fange klein an und mache einen Spaziergang um den Block, Schlüssel in die Tasche, das ohnehin fast leere Portemonnaie in die andere, Tür hinter mir zugezogen, zwei Treppen hinunter, an den Briefkästen vorbei. Aus der Haustür nach rechts und die Straße entlang, vorbei an der Bäckerei, die jetzt keinen Betrieb hat und wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunde schließt, wenn alle angelieferte Backware verkauft ist. Weiter vorbei an dem kleinen Elektroreparateur, von dem mir ein großes Rätsel ist, dass er in Zeiten, in denen alle beim kleinsten Defekt ein neues Gerät kaufen, noch überleben kann. Wegen der Spiegelung der Schaufensterscheibe kann ich leider nicht sehen, ob er gelangweilt im Laden sitzt und mir hinterher schaut und mich vielleicht sogar grüßt. Als nächstes der Supermarkt, den ich seit vielen Jahren in Anspruch nehme und dessen Geschichte ich inzwischen schreiben könnte: dreimaliger Wechsel des Filialleiters, alle gleich schlecht gelaunt, auch der jetzige wird es nicht lange machen, ein aufwendiger Umbau, der den Laden so unübersichtlich gemacht hat, dass ich beim ersten Besuch danach zwanzig Minuten länger für den Einkauf gebraucht habe. Zum Beispiel war nun der Quark bei Milchprodukten gestapelt, nachdem er vorher zwar sonderbarerweise, aber einprägsam bei Kuchenzutaten zu finden war. Auf so was muss man erst mal kommen. Und die halben geschälten und gezuckerten Aprikosen in der Konserve sind vom Obst zu den Konserven gewandert. Zu den Konserven, man fasst es nicht. Da kann man doch eigentlich alles reintun, und das steht dann alles in einem Regal nebeneinander. Wie gesagt, zwanzig Minuten. Außerdem habe ich über die Jahre jede Kassiererin und jeden Kassierer gut kennengelernt, durchweg waren sie besser gelaunt und aus meiner Sicht kompetenter für die Arbeit in einem Supermarkt als der jeweilige Filialleiter. Und haben sich geduldig, aber auch ohne Kommentar, nur manchmal lächelnd, die Beschwerden über die Neugruppierung der Waren angehört, auch meine. Also, an denen ist nichts auszusetzen. Ich bleibe diesem Supermarkt treu, weil der nächste etwa eineinhalb Kilometer zu Fuß ist. Einen Discounter gibt es weit und breit nicht, das macht sich leider bei meinen Lebenshaltungskosten bemerkbar. Ich müsste mit dem Bus fahren und dann so viel einkaufen, dass die Fahrkarte sich rechnet. Aber diese Überlegung finde ich so anstrengend, dass ich lieber alles zu Fuß einkaufe. Der Supermarkt ist an der Ecke, ich gehe geradeaus über die Straße weiter und komme dann als nächstes am Friseur vorbei, einem Billigfriseur, der mich in wenigen Minuten hinkriegt und dafür jetzt 14 Euro nimmt. Sehr freundlich, redet nicht viel und nur, wenn wirklich irgendwas richtig obenauf liegt wie ein furchtbares Wetter oder eine bevorstehende Wahl, ein Krieg in Ostwestfalen oder der Raub der norwegischen Kronjuwelen. Das alles fällt nicht so oft mit meinen Friseurgängen zusammen, so dass unsere Gespräche sich in Grenzen halten. Geht das hinten jetzt so. Soll es über den Ohren noch kürzer sein. Sauwetter heute wieder. So ungefähr.

      Dann kommt erst mal eine Weile nichts, genauer gesagt Mietshäuser. Ich gehe weiter, auch über die nächste Straße, die zuerst einen Kiosk bietet. Der Gehweg ist breiter geworden, muss sich jetzt jedoch den Raum mit einem Fahrradweg teilen, der Fahrradweg so schmal, dass kaum ein Fahrrad sich an ihn hält. Ich beschleunige meine Schritte ein wenig, um dann rechter Hand den Beginn einer Einkaufszeile zu haben, die man auch shopping mall nennen könnte. Der erste Laden ist ein kleines Schuhgeschäft mit second-hand-Schuhen, der zweite ein Backshop, der von außen durch das Schaufenster betrachtet eine Art Selbstbedienungsbäckerei zu sein scheint, aber ich war noch nie dort. Es folgt ein Schuhgeschäft mit Markenschuhen, dessen Kunde ich werden könnte, falls ich den ersten Satz finde, eine Story habe, ein Buch schreibe und Bestsellerautor bin. Um diesen Spaziergang nicht über Gebühr auszudehnen, nehme ich die nächste Abbiegung nach rechts, in eine Fußgängerzone, die zwar auch Geschäfte beherbergt, aber von der größeren Sorte. Textilien, noch einmal ein Schuhgeschäft, Deichmann, das auch für Schriftsteller ohne ersten Satz in Frage kommt, die aus hygienischen Gründen keine second-hand-Schuhe mögen, dann eine kleine Variante vom Kaufhof, übriggeblieben von den diversen Restrukturierungen. Diesen Kaufhof kenne ich wie meine Westentasche, vielleicht nicht ganz so gut wie den Supermarkt, aber ich kann jede Frage nach seiner Geschichte in den letzten fünfzehn Jahren beantworten. Welche Abteilung vorher wo war, in welcher Abteilung die Verkäufer am häufigsten gewechselt haben und warum, welche Scananlage am Ausgang nicht funktioniert und wann und mit welcher Ware ich da schon mal in Versuchung geraten bin. Man könnte der Meinung sein, dass es wichtigere Dinge für das Allgemeinwissen eines Menschen gibt als die Geschichte eines Provinzkaufhofs, aber wie gesagt, ich habe ja auch noch einen Supermarkt im Sortiment, da würde dann schon fast ein Buch draus. Fast.

      Weiter geht es. Ich sammle Eindrücke, absolut absichtslos. Schräg gegenüber vom Kaufhof ist C&A, wie bereits der Kaufhof eine zweistöckige Provinzversion, in der ich wirklich jeden Winkel kenne, ohne damit prahlen zu wollen. Auch die individuelle Note jeder einzelnen Umkleidekabine ist mir bekannt. Mitunter wechsele ich mit ein und demselben Pullover die Kabine mehrfach, um das Flair eines Kleidungsstücks unter verschiedenen Bedingungen zu testen. Oder

Скачать книгу