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legte dem Kleinen die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn durch. »Und du bist der beste Freund von allen.«

      Cassies Hausboot hatte drei Stockwerke, von den Kellerräumen unter der Wasserlinie bis zum Dachgeschoss mit schrägem Dach. Der Steg führte auf einen Vorplatz mit Bäumchen in Terrakottagefäßen und einer blühenden Bougainvillea, die sich an der hölzernen Hauswand hochrankte. Von hier aus genoss man einen unvergesslichen Blick über die Liberty Dock Alley und die grünen Hügel von Sausalito, über die am späten Nachmittag bereits wieder der Nebel floss. Dahinter ragten die rostroten Pfeiler der Golden Gate Bridge in den tiefblauen Himmel.

      Auf den Stufen vor der Haustür fand Nick wie so oft einen frischen Blumenstrauß und eine Auflaufform mit köstlich duftender Lasagne, beides von den Nachbarn nebenan abgeliefert. Oft stellten sie die Blumen aus ihren Vorgärten und die selbst gekochten Speisen auf die Stufen, weil sie Cassie und ihn nicht stören wollen – sie hatten nur wenig Zeit füreinander, weil fast immer einer von ihnen bei Jolie in der Klinik war, oft auch über Nacht.

      Aber manchmal kamen ihre Freunde von gegenüber auch mit einem eisgekühlten Sixpack unter dem Arm vorbei, um ihnen Mut zuzusprechen und sie mit ihrer unkomplizierten Lebensfreude zum Lachen zu bringen. Ihre Freunde schienen die letzten Überlebenden des Summer of Love von 1967 zu sein. Sie stiegen immer noch in ihre zerrissenen Jeans und flochten sich Blumen ins Haar, wenn Scott McKenzies San Francisco über das Wasser hallte.

      Andere Nachbarn gingen Cassie und Nick aus dem Weg, verschwanden rasch vom Steg ins Haus, wenn sie mit oder ohne Jolie vorbeikamen, senkten mit verkniffenen Lippen den Blick, wenn sie ihnen nicht mehr ausweichen konnten – als ob Unglück ansteckend wäre.

      Mit den Tüten, den Blumen und der Auflaufform im Arm versetzte Nick der Haustür einen Tritt, um sie zu schließen, und ging durch Cassies Wohnzimmer in die offene Küche, wo er alles auf den Tresen stellte. Die Lasagne schob er in den Kühlschrank – die würde es morgen Abend geben, wenn er aus der Klinik kam. Darauf freute er sich schon.

      Außer einem Stapel zerlesener Clive-Cussler-Romane in Cassies Wohnzimmerregal und ein paar Freizeitklamotten in ihrem Kleiderschrank hatte er auf diesem Hausboot in den letzten zwei Jahren ihrer On/Off-Beziehung nicht viele Spuren hinterlassen – außer nassen Fußabdrücken, wenn er in der Bay geschwommen war. Okay, ein Joke.

      Der große Raum mit der hohen Galerie und der Wendeltreppe bis unter das schräge Dach war ganz in Cassies Stil gehalten. Viel Licht, viel Weiß, ein bisschen funkelndes Kristall zwischen den weißen Orchideen, ein paar Farbtupfer auf dem hellen Ledersofa: Seidenkissen in den leuchtenden Schattierungen des Abendrots. Es war toll, ja klar. Aber Nick würde gern noch ein paar dunkle Akzente setzen. Wie ein schwarzer Lacktisch vor dem Sofa, der die Wirkung der schwarzen Granitplatte in der offenen weißen Küche noch unterstrich. Mehr Kontraste, ja, mehr Spannungen zwischen weißem Leder und schwarzem Lack.

      Aber seine Transportkisten in Oakland waren schon gepackt. In den nächsten Tagen würde Nick hier einziehen – sobald er sein Haus mit Blick aufs Golden Gate verkauft hatte, um die Kosten für die Knochenmarktransplantation aufzubringen. Seine Krankenversicherung zahlte nicht – natürlich nicht, Jolie war ja nicht seine Tochter. Und Cassies Versicherung finanzierte nur Therapien, die Jolie jetzt nichts mehr nützten. Bis Cassie und er die Verantwortlichen überzeugt hatten, eine Kostenübernahmeerklärung für die Transplantation abzugeben, Jolies letzte Chance, war ihre Kleine tot. Selbst wenn sie durch den Beitrag auf CBS San Francisco heute Abend einen passenden Spender finden würden ...

      Unser Baby, dachte Nick, Cassies und mein Kind, wäre vielleicht ein Spender gewesen – wenn es gelebt hätte. Ich weiß nicht, wie wir den Tod noch eines Kindes gemeinsam durchstehen sollen, die Schuldgefühle, die Wut, die Verbitterung, die Trauer. Nach der Todgeburt letztes Jahr hatte Cassie sich von mir getrennt, so verzweifelt war sie.

      Cassie zurückzugewinnen, war wirklich nicht leicht. Aber das unablässige Ringen um Jolies Leben wurde zur größten Herausforderung meines Lebens, eine emotionale Reise zu allen Höhen und Tiefen des Lebens.

      Mit dem Tod deines Kindes konfrontiert zu werden, ist ein harter Schlag, der dich in die Knie zwingt. Während du dich wieder aufrappelst, findest du heraus, was für ein Mensch du eigentlich bist. Was dich stark macht, und was schwach. Wofür du kämpfen willst. Wie wichtig die Liebe in deinem Leben ist. Die Hoffnung.

      Jede Stunde, die ich Jolie in meinen Armen halten darf, ist ein kleines Glück. Jeder Tag mit ihr ist ein Geschenk, das ich für immer festhalten will. Und ich denke: Nein, heute stirbt sie nicht.

      Nick seufzte.

      Nicht noch mal das alles, bitte nicht! Cassie ein zweites Mal zu verlieren, das würde ich nicht ertragen!

      Neben ihrem Notebook auf dem Schreibtisch lag ein Stapel Post. Einer der Umschläge war aufgerissen. Nick warf einen Blick darauf. Cassies Anschrift. Er drehte den Umschlag um. Die Adresse eines Anwalts in Seattle, Washington.

      Aha?

      Cassie stammte aus Seattle. Ihre Eltern hatten bis zu ihrem Tod dort gelebt. Verwirrt legte Nick den Umschlag zurück auf den Schreibtisch.

      Okay, der Anrufbeantworter blinkte.

      Die Nachricht war von Cassie: »Hi, Nick. Ich bin in der Klinik. Ruf mich an.«

      Nick zog sein Handy aus der Tasche seiner Jeans und drückte die Kurzwahltaste. Es klingelte endlos, aber sie ging nicht ran. »The person you have called is temporarily not available.« Nick schaltete wieder ab und las die eingegangenen Nachrichten. Cassie hatte drei Mal versucht, ihn zu erreichen, während er das NG-Team zur Ausgrabungsstelle brachte.

      Na gut, dann eben später. Sie musste ja bald kommen.

      Über die offene Galerie ging Nick hinauf ins Schlafzimmer. Er stellte die Tüte von Victoria’s Secret aufs Himmelbett mit den duftigen weißen Vorhängen und streute einige Blütenblätter über die kühlen Laken. Das Fläschchen Duftöl, das er vorhin bei Macy’s gekauft hatte und das ganz köstlich nach gebrannten Mandeln roch, schob er auf Cassies Nachttisch. Eine sanfte Massage würde ihr nachher sicher gut tun. So, jetzt noch die geschliffenen Windlichter neben das Bett, dann öffnete er die Schiebetüren zum offenen Sonnendeck mit einem atemberaubenden Blick auf die Bay.

      Cassies kleines, einmastiges Boot lag neben der Veranda vertäut. Wie oft paddelten Touristen in ihren Kayaks näher heran, um das hübsche weiße Boot zu betrachten oder zu fotografieren, um es ihren Freunden zu zeigen! Cassie und er hatten eine Menge Spaß dabei, mit dem Boot an der Waterfront von Sausalito entlangzusegeln. Manchmal tranken sie in einem Café mit Blick auf die Golden Gate Bridge und die Segelschiffe, die unter der Brücke in die Bay einliefen, einen Cappuccino. Oder sie aßen in einem der Restaurants im Hafen und beobachteten dabei die Pelikane. Aber diese kostbaren Augenblicke des unbeschwerten Glücks waren selten geworden.

      Nick sah nach Süden. Hinter den Hügeln von Sausalito war die in der Sonne gleißende Skyline von San Francisco zu sehen. Die weißen Boote an den Piers, die kleinen Restaurants an Fisherman’s Wharf, die Transamerica Pyramid mit ihrer metallisch glänzenden Spitze, die Bay Bridge und im glitzernden Wasser davor Nicks und Cassies Tauchspot. Ja, dort drüben lag sein Forschungsschiff über der Ausgrabungsstelle.

      In der leichten Brise vom Meer bereitete Nick auf der Veranda schon mal das Candle Light Dinner vor. Die Joggingschuhe und die Surfboards schob er nach oben aufs Sonnendeck. In der City hatte er weiße Himmelslaternen gekauft, die er über dem Esstisch aufhängte. Die Kerzen in den Papierlaternen würden die Veranda in ein zauberhaftes Licht tauchen und ihr Abendessen zu einem romantischen und unvergesslichen Erlebnis machen. Cassie und er brauchten einen schönen Ort zum Feiern, wenn sie sich das Fernsehinterview in der Spätausgabe der Eyewitness News noch mal angesehen hatten. Auf dem gedeckten Tisch lagen weiße Wunschkarten, geschmückt mit Blütenblättern. Cassie sollte ihre Herzenswünsche auf die weißen Karten schreiben, sie an die Himmelslichter hängen, die sie in den Himmel steigen ließ, und Nick würde versuchen, sie ihr alle zu erfüllen.

      Okay, jetzt noch das Sushi, das er vorhin am Union Square besorgt hatte: eine bunte Mischung aus Nigiri-Sushis mit Lachs, Thunfisch, Hummer, Garnelen,

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