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Mauern aus dicken, quaderförmigen Steinen, durchbrochen von bogenförmigen Fenstern und Durchgängen. Um das Haus zog sich eine Arkade, deren Stützsäulen sich nach oben verbreiterten und in Spitzbögen zusammenliefen. Die drei in rechtem Winkel zueinander angeordneten Flügel des Gebäudes umgaben einen baumbestandenen, schattigen Innenhof. Im Sommer standen hier Tische und Stühle zur Bewirtung der Gäste. Der rechte Seitenflügel beherbergte Vorratsräume und Stallungen, der linke die Wohnräume der Familie des Hausherrn. Der Hauptflügel enthielt Küche und Gastraum. Im oberen Stockwerk lagen die Gästezimmer. Zahlreich Erker und Zinnen schmückten das Gasthaus, und ein kleines Türmchen ragte stolz über den Hauptflügel.

      Haseth, der Wirt des Gasthofs Zum Sonnenuntergang, war ein großer, dünner Mann. Er besaß die dunkle Hautfarbe und schwarzen Mandelaugen des Südländers und einen langen, krausen Bart in der Farbe von Pfeffer und Salz. Haseth trug einen lehmfarbenen Kaftan, der ihm bis zu den Füßen reichte, und hatte einen gelben Turban um den Kopf gebunden.

      Er stand in der leeren Gaststube, in deren Kamin ein wärmendes Feuer prasselte, und schaute durch das Fenster auf die kahlen Bäume, die im Innenhof standen. Die Bodenplatten des Hofs hatte er erst gestern gefegt, doch sie waren schon wieder von einer Handbreit Schnee bedeckt. Sein Blick fiel auf die Landschaft vor dem Gasthof, eine grauweiße Einöde, in der die Straße – die Lebensader seiner Familie und des ganzen Landstrichs – unter der weißen Decke begraben lag. Selbst Spuren von Rädern und Pferden waren längst zugeschneit, denn die letzte Kutsche war vor mehr als einer Woche durchgekommen.

      Haseth hasste den Winter. Nur sehr wenige Gäste verirrten sich in dieser trostlosen Zeit hierher. Er hatte alle seine Bediensteten entlassen müssen, um wenigstens seine Familie und sich selbst mit dem Geld, das sie im Sommer verdient hatten, durchzubringen. So lief es jedes Jahr: Im Frühjahr, wenn die ersten Kaufleute und Handelsreisenden aus Koridrea kamen, stellte er Leute ein: Köchinnen und Küchenhilfen, Dienstmägde für die Gäste und Pferdeknechte. Im Sommer liefen die Geschäfte gut. Vor etwa zehn Jahren hatte der Handel mit dem Land der Sieger wieder begonnen. Die ersten Kaufleute der verfeindeten Länder wagten sich wieder über die Grenze. Bis heute waren sie neben den Priestern die einzigen, deren Anwesenheit in Orinokavo geduldet wurde. Ansonsten begegnete man den Koridreanern nach wie vor misstrauisch bis feindselig, weshalb sie meist in Konvois und Karawanen mit Begleitschutz reisten. Haseth hatte keine Probleme mit Reisenden aus Koridrea. Er behandelte sie höflich und gastfreundlich. Schließlich lebte er von ihnen. Außerdem war ihm – und vielen gebildeten Bürgern Orinokavos – bewusst, dass es ihr Kaiser gewesen war, der das Nachbarland überfallen hatte.

      Mit Beginn der Herbststürme kamen dann immer weniger Gäste, und beim ersten Schnee entließ der Wirt die Belegschaft des Gasthofs, die sich über Winter neue Arbeit suchen musste, um sie dann im nächsten Frühjahr wieder einzustellen. Und so schloss sich der Kreis jedes Jahr.

      Im Winter blieben dann seine Frau, seine Tochter und er allein in dem großen Haus zurück. Auch sein Sohn, der ebenfalls Frau und Kinder hatte, musste den Gasthof verlassen, um seine Familie durchzubringen. Er arbeitete in einem benachbarten Dorf bei einem Tischler.

      Haseth kniff die Augen zusammen, um in dem flirrenden Weiß der fallenden Flocken die dunklen Punkte besser zu erkennen, die plötzlich in der Ferne auf der Straße erschienen waren und sich näherten. Ein freudiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und seine Trübsal war wie weggeblasen.

      „Frau“, rief er und klatschte in die Hände. „Setz den Kessel auf. Wir bekommen Gäste!“

      Wenig später fühlte er sich allerdings äußerst beunruhigt. Es waren sechs Reiter, die auf seinen Gasthof zuhielten, abgerissene und zerlumpte Gestalten, bewaffnet mit langen Schwertern und Streitäxten, ganz offensichtlich arbeitslose Söldner. Jeder wusste, dass diese Menschen brutal, gewissen- und gesetzlos waren. Es würde Ärger geben. Haseth war ein friedliebender Mann und kein Held. Er besaß zwar einen Säbel, hatte ihn aber noch nie benutzt. Dennoch holte er ihn aus einer Truhe hervor, wickelte ihn aus dem Öltuch und prüfte, ob er noch scharf war. Dann versteckte er ihn unter dem Tresen der Theke. Er überlegte, ob er im Dorf um Hilfe bitten sollte, doch jetzt schien es zu spät. Er konnte seine Familie nicht schutzlos zurücklassen, und seine Tochter würde er auch nicht mehr losschicken. Die Reiter waren schon zu nahe und würden sie bemerken, wenn sie das Haus verließe.

      Das Mädchen mit Namen Sutana, eine dunkelhäutige, glutäugige und schwarzhaarige Schönheit, zählte sechzehn Jahre. Er rief sie zu sich.

      „Wir bekommen ein paar unangenehme Besucher, Sutana. Ich glaube, es sind böse Menschen. Du bleibst auf deinem Zimmer, bis sie wieder weg sind. Hast du verstanden?“

      Sutana war eingeschnappt. Wie alle Mädchen ihres Alters trieb sie die Neugier, besonders was Männer betraf. Sie hätte gerne einen Blick auf die Ankömmlinge geworfen. Ihr Vater war ja grundsätzlich nervös und misstrauisch, wenn sie sich einem männlichen Gast näherte. Sie nahm seine jetzige Besorgnis also nicht allzu ernst. Dennoch wagte sie nicht, ihm zu widersprechen. Sie zog sich schmollend zurück.

      Inzwischen waren die Reiter am Gasthof eingetroffen. Wie es die Höflichkeit erforderte, trat Haseth hinaus, um sie Willkommen zu heißen. Sie würdigten ihn kaum eines Blickes, ließen ihn mit ihren Pferden stehen und betraten die Gaststube. Nachdem Haseth die Reittiere in den Stall gebracht und versorgt hatte, beeilte er sich ins Haus zu kommen. Erleichtert stellte er fest, dass die Männer an einem Tisch saßen und ihre Bierhumpen stemmten, mit denen sie seine Frau Hanah versorgt hatte. Sie bestellten Braten, Brot und Käse und noch mehr Bier. Während Hanah sich um das Essen kümmerte, zapfte Haseth das Bier und beobachtete die Söldner aus den Augenwinkeln. Sie schienen alle noch recht jung, aber ihre Gesichter waren von der Brutalität ihres Berufs gezeichnet. Die Männer trugen Ketten mit menschlichen Backenzähnen um den Hals, Trophäen, die davon kündeten, wie viele Menschen sie umgebracht hatten.

      Früher genossen Söldner als Berufssoldaten eine gewisse Achtung, heutzutage arbeiteten die meisten von ihnen jedoch als gedungene Mörder. Der Arm des Gesetzes des durch die Niederlage im Krieg geschwächten Kaisers reichte nicht bis hierher, und so hatten sie das Recht des Stärkeren auf ihrer Seite und verkauften es zu hohem Preis an reiche Auftraggeber, die skrupellos ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen wollten. Doch in dieser abgelegenen Gegend des Kaiserreichs war Reichtum rar, und so gab es auch nur wenige Aufträge für die Söldner, die ihre Kasse deshalb mit Raub und Plünderung aufbesserten. Haseth hoffte, dass sie es diesmal bei Zechprellerei bewenden ließen.

      Eine Weile später waren die Männer satt und halb betrunken. Sie räkelten sich auf den Bänken, hatten gerade einen Rülpswettbewerb beendet und grölten jetzt zotige Lieder. Der Wirt füllte sie weiter mit Bier ab, ohne dass sie es bestellt hätten. Er hoffte, dass sie bald müde wurden und einschliefen, dann konnte er Sutana losschicken, um ein paar kräftige Burschen aus dem Dorf zu holen. Noch wagte er es nicht, denn er musste feststellen, dass ihn der Anführer der Bande, ein hübscher Bursche, nicht aus den Augen ließ. Der Mann sprach ihn an, als er sechs frisch gefüllte Humpen zu ihrem Tisch brachte.

      „Sag mal, Wirt, wo ist eigentlich dein Töchterchen? Wir haben gehört, sie sei eine südländische Prinzessin mit hübschen, kleinen Äpfelchen, so knackig und fest, dass man hineinbeißen möchte. Sollte sie uns nicht bedienen? Hol sie, aber ein bisschen plötzlich!“

      „Sie … äh, sie ist nicht hier“, log Haseth erschrocken. „Sie muss der Schwester meiner Frau im Dorf helfen. Sie, also meine Schwägerin, ist schwanger und steht kurz vor der Geburt. Sutana und ein paar andere Frauen stehen ihr in dieser schweren Zeit bei und …“

      Der Söldner machte verärgert eine unwirsche Handbewegung.

      „Wenn ich Einzelheiten über deine Familie wissen will, sage ich dir Bescheid. Schade, dass das Mädchen nicht hier ist. Du hast Glück, dass deine Frau so hässlich ist. Und nun troll dich wieder hinter deinen Tresen.“

      Haseths Frau war bei weitem nicht so hässlich, wie der Widerling behauptete. Im Gegenteil. Ihrem Mann, der sie sehr liebte, erschien Hanah als Schönheit. Zum Glück war sie viel älter als diese Unholde und traf deshalb nicht deren Geschmack. Der Wirt fühlte sich erleichtert. Sie hatten ihm die Geschichte mit Hanahs schwangerer Schwester abgekauft. Das meiste

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