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Krieg und Frieden. Лев Толстой
Читать онлайн.Название Krieg und Frieden
Год выпуска 0
isbn 9783752994216
Автор произведения Лев Толстой
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Rings im Nebel hörte man unten in der Schlucht Gewehrfeuer zwischen unsichtbaren Truppen. Dort schien Fürst Andree der Mittelpunkt der Schlacht zu sein. »Dorthin werde ich gesandt werden«, dachte er, »mit einer Brigade oder Division, und mit der Fahne in der Hand werde ich vorangehen und alles niederschmettern, was mir entgegentritt.«
In der Schlucht zur Linken, in welche unsere Truppen hinabgestiegen waren und woher man die Schüsse vernahm, war nichts zu sehen. Über den Höhen war der dunkelblaue Himmel und rechts die ungeheure Sonnenscheibe, vorwärts in der Ferne am jenseitigen Ufer des Nebelmeeres sah man waldige Gipfel hervorragen, auf welchen die feindlichen Armeen stehen mußten. Rechts trat die Garde in das Gebiet des Nebels ein, aus welchem zuweilen die Bajonette hervorschimmerten. Links hinter dem Dorf rückten ebensolche Massen Kavallerie vor und verschwanden im Nebelmeer, vorn und hinten bewegte sich die Infanterie. Der Oberkommandierende stand am Eingang des Dorfes und ließ die Truppen an sich vorüberziehen. Kutusow war an diesem Morgen reizbar. Die vorüberziehende Infanterie blieb ohne Befehl stehen, augenscheinlich war vorn ein Hindernis eingetreten.
»Lassen Sie doch Bataillonskolonnen formieren!« rief Kutusow zornig einem herbeireitenden General zu. »Begreifen Sie denn nicht, Exzellenz, daß es nicht angeht, sich in so langem Zug durch die Dorfstraße hinzuziehen, wenn wir gegen den Feind gehen?«
»Ich beabsichtige jenseits des Dorfes mich aufzustellen, hohe Exzellenz.«
Kutusow lachte giftig. »Das wäre nicht übel! Eine Frontveränderung angesichts des Feindes! Sehr hübsch!«
»Der Feind ist noch weit, hohe Exzellenz, die Disposition …«
»Die Disposition!« rief Kutusow giftig. »Wer hat Ihnen das gesagt? Belieben Sie zu tun, was Ihnen befohlen wird!«
»Zu Befehl.«
»Aber mein Lieber«, flüsterte Neswizki dem Fürsten Andree zu, »der Alte ist bei sehr schlechter Laune.«
Zu Kutusow kam ein österreichischer Offizier mit gelbem Federbusch auf dem Hut herangaloppiert und fragte im Namen des Kaisers, ob die vierte Kolonne im Gefecht sei. Ohne zu antworten wandte sich Kutusow ab. Sein Blick fiel auf den Fürsten Andree, der neben ihm stand. Der giftige Ausdruck seines Gesichts milderte sich, als ob er eingestehen wolle, daß dieser Adjutant an dem, was vorgehe, nicht schuldig sei. »Gehen Sie, mein Lieber, sehen Sie nach«, sagte er zu Bolkonsky, »ob die dritte Division schon durch den Wald durchgekommen ist. Befehlen Sie ihr zu halten und meine Befehle abzuwarten!« Eben wollte Fürst Andree davonreiten, als er ihn noch zurückrief.
»Und fragen Sie, ob man Plänkler aufgestellt hat«, fügte er hinzu. »Was machen Sie nur?« sagte er zu sich selbst, noch immer, ohne dem Österreicher zu antworten. Fürst Andree ritt mit dem Auftrag davon und überholte alle vor ihm marschierenden Bataillone. Er hielt die dritte Division an und überzeugte sich, daß wirklich vor unseren Kolonnen keine Schützenkette war. Der Kommandeur des vordersten Regiments war sehr verwundert über den vom Oberbefehlshaber ihm zugehenden Befehl, eine Schützenkette aufzustellen. Er war vollkommen überzeugt, daß vor ihm noch andere Truppen seien, und daß der Feind noch zehn Kilometer entfernt sei. Es war wirklich vor ihm nichts zu sehen als eine Einöde, welche mit dichtem Nebel bedeckt war. Nachdem Fürst Andree seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ritt er zurück. Kutusow stand noch immer auf demselben Fleck und gähnte mit geschlossenen Augen. Die Truppen bewegten sich nicht weiter und standen mit Gewehr bei Fuß.
»Gut, gut«, sagte er und wandte sich an den General, welcher ihm mit der Uhr in der Hand sagte, es sei Zeit, vorzugehen, da schon sechs Kolonnen des linken Flügels vormarschiert seien.
»Wir haben noch Zeit, Exzellenz«, erwiderte Kutusow.
In diesem Augenblick vernahm man hinter Kutusow in der Ferne Zurufe der Soldaten, welche rasch näher kamen, der ganzen Linie entlang. Augenscheinlich fuhr der, der begrüßt wurde, sehr rasch. Als nun auch die Soldaten des vor Kutusow stehenden Regiments in Jubelrufe ausbrachen, ritt er etwas zur Seite und blickte sich blinzelnd um. Auf dem Wege von Pratzen her galoppierte ein vielfarbiger Reitertrupp, wie eine Schwadron. Zwei der Reiter galoppierten nebeneinander, den übrigen voraus. Der eine trug eine dunkle Uniform, der andere eine weiße und ritt auf einem braunen Pferd, das waren die beiden Kaiser mit ihrer Suite. Kutusow ritt ihnen grüßend entgegen, sein ganzes Wesen hatte sich plötzlich verändert. Er hatte das Aussehen eines untergeordneten dienstwilligen Menschen mit affektierter Ehrfurcht, welche augenscheinlich den Kaiser Alexander unangenehm berührte.
Der unangenehme Eindruck flog nur flüchtig über das junge und glückliche Gesicht des Kaisers und verschwand. In seinen schwarzen Augen lag zugleich Majestät und Milde und der vorherrschende Ausdruck gutherziger, unschuldiger Jugend. Auf der Musterung von Olmütz war er majestätisch, hier war er heiterer und energischer. Czartorischski und Nowosilzew, Fürst Wolkonsky, Stroganow und andere reichgekleidete, fröhliche junge Leute mit prachtvollen frischen Pferden hielten hinter dem Kaiser und unterhielten sich lachend. Der Kaiser Franz, ein noch junger Mann, mit seinem roten langen Gesicht, saß außerordentlich gerade auf einem schönen Pferd und blickte sich unruhig und gespannt ringsum. Er rief einen seiner weißen Adjutanten und fragte ihn etwas. In der Suite des Kaisers waren auserlesene Ordonnanzoffiziere, russische und österreichische, von Garde- und Armeeregimentern. Wie durch ein geöffnetes Fenster plötzlich die frische Waldluft in ein schwüles Zimmer dringt, so wehte jetzt auch Kutusows Stab Jugend, Energie und Selbstvertrauen von dieser glänzenden Jugend entgegen.
»Warum fangen Sie nicht an, Kutusow?« fragte Kaiser Alexander rasch, während er sich höflich nach Kaiser Franz umsah.
»Ich warte, Majestät«, erwiderte Kutusow, sich ehrerbietig verneigend.
Die Miene des Kaisers verfinsterte sich etwas, und er schien nicht verstanden zu haben.
»Ich warte, Majestät«, wiederholte Kutusow, »es sind noch nicht alle Kolonnen zur Stelle, Majestät.«
Fürst Andree bemerkte, daß Kutusows Oberlippe unnatürlich zuckte, während er dieses »Ich warte!« aussprach.
Diese Antwort schien dem Kaiser nicht zu gefallen. Er zuckte die Achseln, blickte Nowosilzew an, der neben ihm stand, als ob er sich über Kutusow bei ihm beklagen wollte.
»Aber wir sind jetzt nicht auf der Parade, Michail Ilarionowitsch, wo man nicht anfängt, ehe alle Regimenter da sind«, sagte der Kaiser.
»Darum eben fange ich nicht an, Majestät, weil wir nicht auf der Parade sind«, sagte er deutlich und bestimmt.
Die Herren der Suite blickten sich mißbilligend an.
Der Kaiser sah Kutusow durchdringend an und wartete, ob er nicht noch etwas sagen werde. Aber Kutusow senkte ehrerbietig den Kopf und schien auch zu warten. Das Warten dauerte fast eine Minute.
»Aber wenn Sie befehlen, Majestät«, sagte Kutusow, indem er den Kopf erhob und wieder den früheren Ton stumpfer Unterwürfigkeit annahm. Er setzte das Pferd in Bewegung, rief den Kommandeur der vierten Kolonne zu sich und erteilte ihm Befehl zum Angriff. Mehrere Bataillone marschierten am Kaiser vorbei. Miloradowitsch, ohne Mantel, mit Orden geschmückt und einer ungeheuren Feder auf dem Hut, grüßte den Kaiser und ließ sein Pferd vor ihm steigen.
»Mit Gott, General!« sagte der Kaiser.
»Majestät, wir werden alles tun, was möglich ist«, erwiderte Miloradowitsch. »Kinder!« rief er dann, »es ist nicht das erste Dorf, das ihr nehmt!«
»Radi staratsa!« riefen die Soldaten. »Wir freuen uns, uns Mühe zu