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lebte noch. Womit klar war, dass Silior mit seinem Wunsch nach dem Kopf des Ausbilders vorerst gescheitert war. Larinil hoffte, dass er mit seinem zweiten Wunsch mehr Glück gehabt hatte. Die Offiziere waren im Lager erschienen, eine Einladung von Siliors Vetter, dem Kohortenkommandanten, hatte sie bis dahin allerdings nicht bekommen. Stattdessen musste sie sich nun einem anderen Problem stellen. Rangnuwin hatte ohne Umschweife Larinil als Gegnerin für den nächsten Stockkampf gewählt - diesmal ohne vorher Silior verdroschen zu haben. Das war ebenso ungewöhnlich wie die Tatsache, dass der Ausbilder offensichtlich sehr nervös war. Seine Lider flatterten und er blinzelte weit öfter als sonst. Seine ohnehin schon schmalen Lippen presste er so fest aufeinander, dass sie fast gar nicht mehr zu erkennen waren. Hatte er Angst vor ihr? Natürlich, wenn er von ihren Fähigkeiten als Kaijadan-Meisterin gewusst hätte, dann hätte er Grund dazu gehabt. Aber so konnte es nicht sein, denn dann hätte er sie verraten, aber wohl kaum herausgefordert.

      „Gebe dein Bestes, Barfüßige! Biete mir einen guten Kampf! Es soll nicht dein Schaden sein. Ich weiß, dass du zäher und geschickter bist als du tust. Ich sehe das in deinen verschlagenen Augen.“

      Larinil war verwirrt. Was bei den Mächten des Lichts war nur in Rangnuwin gefahren?

      Ohne ein weiteres Wort attackierte der Ausbilder. Es war ein plumper Schlag auf Kopfhöhe, den sie mühelos parierte. Larinil widerstand dem Zwang, ihrer Abwehr unweigerlich einen todbringenden Stoß folgen zu lassen. Die Kunst des Schwertkampfes, über Jahrhunderte verfeinert, forderte das geradezu von ihr ein. Aber Larinil tat, was sie im Gefecht sonst niemals tun durfte. Sie ließ ihre Gedanken schweifen. Zu Andrar. Dessen viel zu keckes Lächeln, die hellgrünen Augen, die stets neugierig nach ihren Gedanken forschten. Den Kuss seiner vollen Lippen.

      Wieder ein Schlag! Larinil wehrte ihn halbherzig ab, ließ zu, dass Rangnuwins Stock mit Wucht den ihren gegen ihre Seite drückte. Sie keuchte vor Schmerz. Wie gerne hätte sie ihrem Zorn freien Lauf gelassen. Wie gerne hätte sie dem ein schnelles Ende bereitet. Dann aber erkannte sie den Grund für Rangnuwins Angst.

      „Fahrt fort mit Euren Übungen!“, sagte eine tiefe, befehlsgewohnte Stimme. Sie gehörte einem grauhaarigen Offizier in samtblauer Uniform, der zusammen mit vier anderen, darunter auch einer Frau, zu ihnen getreten war. Die Besucher, dachte Larinil und warf der Gruppe einen flüchtigen Blick zu. War Siliors Vetter unter den Offizieren? Vermutlich. Rangnuwin hatte wohl gewusst, dass die Offiziere zu ihm kommen würden. Und nun wollte er ihnen seine Fähigkeiten als Ausbilder beweisen. Larinil hatte er wohl ausgewählt, in der Hoffnung, sie würde im Kampf eine bessere Figur machen als die anderen Anwärter.

      Viel zu langsam, viel zu vorhersehbar konterte sie. Der Stock traf ins Nichts, wurde von Rangnuwin völlig unnötigerweise mit einem zusätzlichen Hieb bedacht.

      Der Ausbilder stieß ein triumphierendes „Ha!“ aus, drehte sich einmal um die Achse und schlug - ohne die Kraft, die ihm die Drehung verlieh, auch nur ansatzweise auszunutzen - in Richtung ihres Kopfes. Larinil duckte sich, gerade so weit, dass der Stock knapp ihre Stirn verfehlte. Wohin sollte dieses irrsinnige Gefecht führen? Die Offiziere waren vermutlich nicht so dumm wie Rangnuwin. Würden sie merken, dass Larinil sie täuschte?

      Die Kaijadan-Meisterin lief mit gespielter Unbeholfenheit rückwärts, wich weiteren Schlägen und Stößen aus und rempelte schließlich gegen eine Anwärterin, die dem Kampf zugesehen hatte.

      „Was ist das für ein Spiel, das Ihr da aufführt, Lehrmeister?“, fragte die befehlsgewohnte Stimme voller Verachtung. „Bringt Ihr Euren Anwärtern bei, ihre Feinde zum Narren zu halten? Dann bin ich sehr neugierig, wie diese Taktik bei Gorgoils wirkt.“

      Gelächter unter den Offizieren. In Rangnuwins Gesicht dagegen stand nun nackte Panik.

      „Nein, Heerlenker!“, keuchte er. Er war gedemütigt. Und er wusste wohl, dass nur Larinil ihn noch retten konnte - indem sie sich gegen ihn wehrte und dann schließlich von ihm besiegen ließ.

      „Und Ihr, Anwärterin!“ Der Grauhaarige sah sie nun direkt an. Als sich ihrer Augen trafen, schwieg er für einen Moment, musterte sie dann mit misstrauischem Blick. Nein, er war nicht dumm. Er hatte gemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

      „Ihr zeigt jetzt, was Eurem Können entspricht!“

      Der Heerlenker verzog einen Mundwinkel zu einem bösartigen Lächeln.

      „Um den Reiz dieses grotesken Schauspiels für Euch zu erhöhen: Bezwingt Ihr diesen unfähigen Ausbilder, dann dürft Ihr heute Abend in meinem Zelt mit uns speisen.“

      Er ließ eine kurze Pause, in der Rangnuwin hörbar nach Luft schnappte.

      „Schafft ihr das nicht, so verbringt Ihr die kommende Nacht alleine im Wald - mit dem Kopf nach unten in einem Baum hängend.“

      Wieder pflichtbewusstes Gelächter unter den Offizieren.

      Larinil hatte aber keinen Zweifel daran, dass er ernst meinte, was er das sagte. Andrar hatte ihr davon erzählt, dass die höheren Offiziere in San’tweyna vor Sardrowains Machtergreifung eine schier unantastbare Stellung gehabt hatten. Eine, die ihnen beinahe jede Willkür erlaubt hatte. Die Männer und Frauen in ihren blauen Uniformen wurden ebenso gehasst wie gefürchtet. Larinil hatte nun eine Vorstellung davon, warum. Was sie allerdings nicht wusste, war, wie sie sich nun verhalten sollte. Schlug sie Rangnuwin nieder, verriet sie sich. Die Vorstellung, hilflos an einem Baum zu hängen, gefiel ihr allerdings ebenso wenig. Unschlüssig hielt sie dem Blick des Heerlenkers stand, der sie ebenso interessiert wie belustigt anstarrte. Und dabei bemerkte sie zu spät, dass Rangnuwin den Kampf bereits wieder aufgenommen hatte. Sein Stock traf sie hart an der rechten Schläfe.

      Natürlich schwankte die Brücke. Das sollte sie auch, dachte Ben. Es waren bestimmt 700 Meter von der Hauptfestung zur Nachbarburg. Eine Brücke über diese Distanz ist ein kleines Meisterwerk, eines, das halten sollte, wenn der Wind ging. Deshalb musste sie flexibel sein. Eine Hängebrücke eben. Und der Wind ging hier oben eigentlich immer. Das Ding war stabil wie nur irgendetwas, redete er sich ein. Es sei noch niemals etwas passiert, hatte ihm Geysbin versichert, der vor ihm in einem Affenzahn über die Brücke huschte. Die Spalten zwischen den Brettern kamen Ben riesig vor. Natürlich waren sie viel zu schmal, als dass jemand zwischen ihnen ernsthaft durchfallen und in die Tiefe stürzen konnte. Sein Angstgefühl schien das allerdings wenig zu beeindrucken. Ebenso wenig wie der Fakt, dass es dicke Halteseile in Schulterhöhe gab, an denen ein stabiles Netz befestigt war, das bis hinab zu den Brettern reichte. Es konnte also gar nichts passieren. In Geysbins Kopf hatte diese Erkenntnis offenbar eindeutig die Oberhand. Er hielt sich beim Laufen nicht mal fest und sah dabei leichtfüßig aus wie ein junger Hüpfer. Das Einzige, was nervös im Wind zappelte, war sein graues Gewand.

      „Laufe ich dir zu schnell, Ben Hartzberg?“, fragte der Großmeister aller Hängebrücken. Dabei zog er belustigt seine buschigen weißen Augenbrauen hoch.

      „Ein bisschen“, antwortete Ben und schloss langsam und mit unsicheren Schritten zu Geysbin auf. Es machte keinen Sinn, den Alben anzulügen. Bei ihm funktionierte so etwas nicht. Außerdem war ja auch offensichtlich, dass Ben mit der Brücke haderte. Und mit der schwindelerregenden Höhe.

      „Du wirst dich mit der Zeit daran gewöhnen“, sagte Geysbin lächelnd. „Es ist nicht ehrlos, etwas zu fürchten, das man nicht kennt. Bisweilen rettet uns diese Furcht sogar das Leben.“

      „Auch wenn es keinen echten Grund dafür gibt?“

      „Besonders dann.“

      Komisch. Nach diesem kurzen Gespräch lief es auf einmal viel besser. Die Angst war zwar noch da. Ben hatte allerdings das Gefühl, dass sie jetzt nicht mehr sein Feind war. Wie schaffte das der alte Geysbin nur? Magische Kräfte? Vermutlich hatte er bei Ben einfach nur den richtigen Knopf gedrückt.

      Erstaunlich schnell jedenfalls lagen die 700 Meter hinter ihnen und sie betraten den festen Boden der anderen Festung.

      „Ha fanaimel, Geysbin jukul!“, riefen ein paar Krieger und verbeugten sich tief. Einer legte einen mit Feder bestückten Helm beiseite und kniete sich sogar nieder. Er und die anderen trugen die türkisfarbenen Brustpanzer der Soldaten Galandwyns.

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