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Zorn um so heftiger auf sich.

      „Ich kann mich nicht erinnern, dir das Wort erteilt zu haben, Bassai“, schrie der Ausbilder. Seine Stimme bebte, die porige Haut seines groben Gesichtes färbte sich rot. „Niemand, und ich wiederhole, niemand sagt hier auch nur eine Silbe, wenn ich es ihm nicht erlaubt habe. Habt ihr das verstanden?“

      Bassai. Die Anwärterin hatte das Wort lange nicht mehr gehört. So wurden früher Schüler genannt, die auf dem Weg zur Vollkommenheit scheiterten, die erkennen mussten, dass der Pfad, den sie eingeschlagen hatten, der falsche war. Damals, vor so langer Zeit war das aber keine Schande und das Wort keine Beleidigung gewesen. Viele große Meisterin und Meister hatten sich in Fertigkeiten versucht, denen sie nicht gewachsen waren, bevor sie ihre Bestimmung schließlich fanden. Der Anwärterin war natürlich klar, dass Rangnuwin dagegen den Begriff ‚Bassai‘ verwendete, um den vorlauten Kerl zu treffen und zu verletzten. Womöglich kam er selbst aus einer der unteren Schichten und war von solchen aus der Oberschicht gedemütigt worden. Vielleicht rächte er sich nun dafür an dem noch immer überheblich grinsenden Kerl.

      „Ja, Lehrmeister“, riefen die Anwärter im Chor.

      Rangnuwin starrte den vorlauten Jungen noch einen Moment hasserfüllt an, dann stieß sein breiter Kopf urplötzlich nach vorne und rammte mit Wucht gegen die Stirn des Anwärters. Ohne einen Laut ging der zu Boden und blieb reglos liegen.

      Ein zerstörerischer Stoß, wusste die Anwärterin sofort. Sie hatte das Geräusch erkannt, als die Köpfe aufeinandertrafen. Es war der Laut berstender Knochen. Sie widerstand der Versuchung, Rangnuwin den Hals umzudrehen und dem Jungen zu helfen. Damit würde sie sich verraten. Und das durfte sie nicht. Larinil war nicht hier, um Dummköpfe vor sich selbst zu schützen. Sie war hier, um jemanden zu finden.

      Es war dunkel geworden im Lager. Der Regen hatte aufgehört, ebenso wie die tumben Kommandos der Ausbilder. Auch die letzten Anwärter hatten sich nun in die Zelte zurückgezogen - mit Ausnahme derer, die Wache schieben mussten. Manche schliefen, andere unterhielten sich leise im Schein kleiner Lichtkugeln. Der junge Dummkopf lag auf mehreren dicken Kissen, verborgen hinter einem Paravent, der in dieser Umgebung wegen seiner mit allerlei Tieren verzierten Leinwände grotesk wirkte. Er stöhnte, bevor er seine Augen aufschlug. Sofort umspielte wieder dieses überhebliche Lächeln seine Lippen.

      „Ein schöneres Erwachen aus einem unschönen Traum hätte ich mir gar nicht vorstellen können“, sagte er und musterte Larinil von oben bis unten. Wie ein Stück Fleisch auf dem Markt. Die Kaijadan-Meisterin bereute einen Augenblick lang, dass sie dem Kerl gerade das Leben gerettet hatte. Sein Stirnknochen war gespalten gewesen. Blut hatte sich bereits im Kopf gestaut. Ohne ihre heilenden Kräfte wäre er in weniger als zwei Tagen zu Staub zerfallen. Larinil erwartete keine Dankbarkeit. Sie wollte Aufsehen vermeiden. Und ein Anwärter, der gleich am ersten Tag von seinem Ausbilder erschlagen wurde, hätte Aufsehen erregt. Außerdem fragte sie sich, ob er ihr vielleicht einmal nützlich werden konnte.

      „Ich bin Silior aus dem Hause Wuladin. Und wer seid Ihr, schöne Dame?“

      Wieder dieser unverhohlene Blick. Silior gab Larinil eine Vorstellung davon, wie sehr die Umgangsformen in San’tweyna in den letzten Jahrtausenden gelitten haben mussten. Auch sie war in der silbernen Stadt geboren worden und dort aufgewachsen. Damals allerdings waren sich Frauen und Männer noch mit Respekt, Höflichkeit und abwartender Distanz begegnet. Silior dagegen schien zu glauben, dass er sich stets nehmen konnte, was er wollte.

      „Ich bin die, die dir soeben dein erbärmliches Leben zurückgeben hat. Was allerdings weniger als eine vergammelte Zerdrak-Frucht wert ist, wenn du Rangnuwin weiter so reizt.“

      Silior hustete kurz und winkte dann ab.

      „Er ist ein Nichts und wird schon bald herausfinden, was es bedeutet, sich mit dem Haus Wuladin anzulegen. Mein Onkel geht im Hagas’Harwun ein und aus.“

      Larinil sah sich um. Diese Unterbringung hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Palast. Sie selbst war zwar noch niemals im Hagas’Harwun, dem Herrschersitz der drei Adro’wiai, gewesen. Allerdings war sie sich sicher, dass dieses nach Moder riechende Rundzelt weit weniger Annehmlichkeiten bot. Beinah 60 Anwärter kauerten oder lagen hier meist auf dem nackten Boden. Nur wenige hatten einfache Liegen, die Decken mancher waren verschlissen. Das Heer San’tweynas verschwendete weder Uniformen noch andere Ausrüstungsgegenstände an die Freilegion. Hatte Silior noch immer nicht begriffen, dass er sich in die tiefsten Niederungen des Daseins hinabbegeben hatte? Dies hier war die Vorkammer des Todes. Und genau dem war dieser Narr gerade um Haaresbreite entronnen.

      „Dein Onkel kann dir hier nicht helfen. Du allein bestimmst dein Schicksal in der kurzen Zeit, die dir bis zum Tod in den Tiefen der Na’guas-Wälder noch bleibt. Denn dort werden du und all die anderen bald vergehen. Erschlagen von der stacheligen Keule eines Gorgoils.“

      Er lachte kurz auf.

      „Ich frage mich, auf wessen Seite Ihr eigentlich steht, meine Dame. Und dennoch. Wie schön Ihr seid, wenn Ihr so finstere Worte sprecht.“

      Seine Hand legte sich auf ihre Schulter und glitt langsam hinab in Richtung ihrer Brust.

      Larinil schlug ihm mit der Handkante gegen eine Stelle, die einen Fingerbreit vor seinem Ellenbogen lag. Sie fühlte, wie sich der beißende Schmerz von dort aus durch seinen Körper fraß, ihn lähmte. Mit verzerrtem Gesicht sackte Silior in sich zusammen, unfähig, einen Laut hervorzubringen.

      „Rangnuwin ist nicht die einzige Bedrohung für dich in diesem Lager, Dummkopf. Die größere von beiden bin ich. Reize ihn und er wird dich quälen. Fasst aber du mich noch ein einziges Mal an, wirst du dir den Tod herbeisehen.“

      „Wer bei den Gründern der Welt seid Ihr? Was habt Ihr vor?“, keuchte Silior jetzt. Seine Überheblichkeit war mit einem Male verschwunden. War sie zu weit gegangen? Hatte sie sich nun verraten als eine, die mehr war als eine arme Anwärterin, die Abenteuer und Anerkennung suchte? Aber was hatte sie denn erwartet? Ihr Spiel war durchschaubar und konnte nicht auf Dauer unbemerkt bleiben. Was sie brauchte, waren Elvan jal’Iniai, die in ihrer Schuld standen. Mit Silior wollte sie den Anfang machen. Vielleicht hatte sie aber dessen Dummheit unterschätzt.

      „Ich bin auf der Suche“, antwortete Larinil leise. „Nach einem Schwertführer, der Sardrowain einst in die andere Welt begleitet hatte. Es heißt, er sei zurückgekehrt.“

      Sie ließ es darauf ankommen. Vielleicht wusste der junge Kerl tatsächlich etwas darüber, was sich in den Kreisen der Adro’wiai abspielte.

      „Andrar. Du suchst nach Andrar.“

      Larinils Körper spannte sich an. Damit hatte sie nicht gerechnet.

      „Du kennst ihn?“

      Silior schüttelte den Kopf und rieb dabei seinen Arm.

      „Jeder kennt die Geschichte von Andrar, dem Verräter. Timo Hemander, der Vertraute Sardrowains, hat ihn nach Lysin’Gwendain zurückgebracht.“

      „Wo ist er jetzt?“, fragte Larinil schroff. Andrar war noch am Leben. Er musste noch am Leben sein.

      „Niemand weiß das. Es heißt, er sei niemals in San’tweyna angekommen. Vielleicht haben die Adro’wiai dem Verräter bereits das gegeben, was er verdient: einen langsamen, qualvollen Tod.“

      Die Tage verstrichen. Das Leben im Lager der Freilegion war hart und entbehrungsreich. Die Ausbildung war anstrengend, brachte aber bei den Anwärtern keine nennenswerten Erfolge. Kraft hatte stets Vorrang vor Geschicklichkeit, die plumpe Waffe vor der Kunstfertigkeit des Geistes. Die Anwärter mussten lange Strecken durch die östlichen Ebenen laufen, steile Anhänge erklimmen, mal auf Baumstämmen balancieren oder plumpe Kraftübungen durchführen. Die Ausbildung an der Waffe beschränkte sich oft darauf, dass Rangnuwin einen seiner Anwärter im Stockkampf „herausforderte“, um ihn nach Strich und Faden zu verdreschen. Einmal traf es auch Larinil, die den Ausbilder widersterbend gewinnen ließ und sich dabei alle Mühe gab, so unbeholfen wie nur möglich, auszusehen. Meistens allerdings nahm sich Rangnuwin Silior vor und, sobald dieser blutend am Boden lag, einen der anderen. Larinil gelang es oft, nachts

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