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Grete Minde in Tangermünde. Katharina Johanson
Читать онлайн.Название Grete Minde in Tangermünde
Год выпуска 0
isbn 9783752919912
Автор произведения Katharina Johanson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Juliana blieb äußerlich ruhig. Ihre Seele zog sich krampfhaft zusammen. Der legitime Erbe des Albrecht ist aufgetaucht! Margarete wird doch keine Ruhe geben, dachte sie und: Was würde ich dann tun? Habe ich nicht mit allen Mitteln um die Zukunft meiner Kinder gekämpft?
Wie war es denn gewesen, als Agnes geboren ist? Wie glücklich und stolz präsentierte ich das Kind? Hübsch zurecht gemacht auf silbern besticktem Kissen, im weißen Kleidchen, die rosigen Wangen, die feinen Händchen, der zarte Flaum auf dem winzigen Köpfchen. Wie blöd glotzten die Männer: Vater, Großvater, Urgroßvater. Nur ein Mädchen. Nur ein Mädchen! Freilich, einen kurzen Wimpernschlag lang hatte Caspar seine Tochter angestrahlt. Doch wie die beiden alten Herren ihn wegzogen und frivol geiferten „Du musst noch mal mächtig ran. Ein echter von Minden muss her“, da kehrte sich auch Caspar ab und hatte für das Mädchen keinen Blick mehr.
Caspar war stets ein friedlicher, aufmerksamer Hausgenosse und Liebhaber. Da war es für Juliana nicht schwer ein zweites Kind zu tragen. Allerdings spürte sie dann deutlich seinen Unmut, weil das nächste wieder nur ein Mädchen war. Rosi, nicht weniger hübsch, lebendig, anmutig als Agnes, und doch wieder nur ein Mädchen. Nur ein Mädchen!
So war Juliana aus dem Himmel des größten Glücks in den Abgrund der Wirklichkeit gestürzt. Wie eine Prinzessin war sie verwöhnt und von Caspar heimgeführt worden. Ahnungslos und naiv hatte sie sich den Aufgaben der Hausfrau und Mutter gestellt. Ihre ausgezeichnete Gesundheit, ihre gute Ausbildung, ihre ausreichende Aufklärung und eine reiche Mitgift legten seinerzeit das Unterpfand des Ehevertrages. Allein, ihre Unfähigkeit, einem Knaben das Leben zu schenken, verwandelte die Zuneigung der Männer in Missgunst. Argwöhnisch überwachten sie die intimsten Details der einzigen Frau im Haus, nur um recht bald ihren Erben im Arm halten zu können.
Verzweifelt und irritiert, sämtlicher Illusionen über Liebe und Familie beraubt, schaute sich Juliana um und lernte, wie in anderen Häusern fünf, sechs, manchmal acht Kinder zur Welt kamen, bevor der erhoffte Erbe und eventuell ein Reservekandidat das Licht der Welt erblickten. Sie forschte weiter. Was wurde später aus den überzähligen Erben? Die Mädchen konnten von Glück sprechen, wenn sich eine gute Partie fand, die meisten jedoch kamen in ein Frauenstift und fristeten ihr Dasein zwischen geistloser Zerstreuung und bei völliger Entsagung aller weltlichen Genüsse. Die überzähligen Knaben rekrutierte in der Regel das Heer.
Das Beispiel Albrecht spricht Bände: Nachdem das Haus von Minden in Caspars Händen sicher lag, erlosch das Interesse an dem Jungen. Anstatt ihn wenigstens sauber auszubilden und ihm eine ordentliche Rüstung zu kaufen, ließen sie ihn links liegen, bis er verlotterte und fortging. Ist Albrecht ein Mörder? Das weiß niemand so genau. Auf jeden Fall war Albrecht den ehrgeizigen Plänen seiner Familie im Wege. Das ist die knallharte Wahrheit, resümierte Juliana.
Sie realisierte also, dass sie hier als Zuchtstute eingestellt worden war. Sie rechnete: Wenn weitere Kinder, vor allem Knaben zur Welt kommen, verlieren Agnes und Rosi ihr Anrecht auf das Erbe. Nach der zweiten Entbindung verweigerte sich Juliana vehement dem ehelichen Beischlaf.
Mit Caspar wurde sie leichter fertig als gedacht. Er war nicht der Mann, der gewaltsam sein Recht fordert. Er blieb vorsichtig und rücksichtsvoll. Das gelegentliche Drängen seiner Lenden unterdrückte er, ohne sich jemals zu beklagen. Er gab sich mit freundlichen Worten und flüchtigen Zärtlichkeiten zufrieden.
Juliana verbreitete ihre Vorstellungen von der Zukunft in ganz kleinen Dosen: Mit dem Geld der von Minden kann die eine Tochter gut ausgebildet werden und an einem Fürstenhof unterkommen. Für die andere Tochter muss ein geeigneter Partner her und das Handelshaus der von Minden setzt sich über die weibliche Linie fort. Eine solche Vorgehensweise ist durchaus möglich. Caspar fügte sich in das Unvermeidliche.
Juliana fühlte sich sicher, zog in Ruhe ihre Mädchen auf, bis - ja, bis zu diesem Tage, da Margarete erschien und den Sohn des Albrecht präsentierte. Juliana war überzeugt, dass Margarete sich nicht mit dreißig Goldstücken abspeisen lässt. Sie wird wie jede Mutter mit Gewalt und mit Tricks für ihr Kind kämpfen.
Caspar verunsicherte der vehemente Einspruch seiner Ehehälfte. Er hatte bezahlt und die Sache als abgeschlossen betrachtet. Jetzt zweifelte Juliana. Fürs Geschäft zeigte sie selten Interesse. Wozu auch? Er ist hier der Souverän. Wenn sie aber manchmal Einwände geltend macht, erweist sie sich als durchaus gut informiert und gewissenhaft abwägend. Julianas Worte ließen ihn schwanken. Außerdem lag ihm am häuslichen Frieden.
Seine Kaltblütigkeit gegenüber Geschäftspartnern und Untergebenen kompensierte Caspar mit Wärme und Empfindsamkeit im familiären Milieu. Er war seiner Frau nicht unbedingt hörig. Soweit ging seine Demut ihr gegenüber nicht. Aber er verbrauchte eben seine Kräfte draußen und daheim neigte er zu Nachgiebigkeit.
Jetzt strauchelte er. Hat Juliana eventuell Recht?
Juliana spürte das Unbehagen ihres Mannes und lenkte friedfertig ein: „Man wird sehen. Vielleicht ist sie schon längst über alle Berge. Für die Zukunft muss gelten: Es gibt keine Margarete von Minden. Abweisen, leugnen. Die muss sich an unserer Tür totlaufen.“ Entgegenkommend hob sie ihr Glas und fragte: „Nun, wie mundet Euch der Wein?“ Ehemann und Schwiegervater wechselten gern das Thema. Sie ließen die Gläser klingen, tauschten Stadtklatsch aus und hingen doch alle in Gedanken an Margarete.
Baltasar sah, wie sein Sohn wiedermal vor seiner Frau einknickt. Dieser Hasenfuß! Unten im Kontor ist Caspar die geborene Händlerseele: Hart, wendig, fantasievoll, besonnen wickelt er sämtliche Verhandlungen ab und geht aus jeder Unternehmung mit Gewinn heraus. Als Händler ist er ein Genius, als Familienoberhaupt eine Null.
Doch das ließ Baltasar jetzt laufen, wie es lief. Er hatte fürs Alter vorgesorgt. Er konnte sich zurückziehen. Wozu sich Aufregungen verschaffen und Sorgen machen? Caspar hat Margarete zurecht abgefunden und abgeschoben. Halten seine Entscheidungen vor der Hausfrau Urteil nicht stand, ist das sein Kummer und nicht zu ändern. Was soll jetzt noch kommen? Die Frau des Mörders ist ein sehr kleines Licht und wird genauso schnell abtauchen, wie sie das Geld rasch weggesteckt hatte. Caspar hat also vollkommen richtig gehandelt, auch wenn es ihm nicht liegt, seiner Frau die Stirn zu bieten.
Während sie nun also vordergründig gelöst plauderten und sich im Hinterkopf mit Margarete beschäftigten, hegte auch Großvater Conrad seine Überlegungen.
Mit der verstorbenen Ursula war er längst im Reinen. Die war tüchtig gewesen, hatte ihm zwei Enkelsöhne, den Caspar und den Albrecht, gebracht. Caspar war ein würdiger und geschickter Nachfolger. Da konnte man ihm nichts nachsagen. Allein die Wahl Julianas als Ehefrau erwies sich als kompletter Reinfall. Die bekam zwei Mädchen und blieb dann taub. An einen Erben war nicht mehr zu denken. Deren Vorstellungen, das Haus an Rosi oder Agnes zu übergeben, ertrug der Alte hilflos und unglücklich wie eine Plage. Das Auftauchen des Sohnes Albrechts erschien ihm wie eine Fügung Gottes.
Er trank seinen Wein aus, verabschiedetet sich zur Nacht und stieg in das Dachgeschoss hinauf. Dort legte er sich angezogen aufs Bett und wartete auf den Geist der Ursula.
Am nächsten Morgen zog Conrad seinen Gehrock an, nahm seinen Stock, ließ sich im Kontor dreißig Goldstücke auszahlen und schlenderte dann in Tangermünde herum. Er hatte Plan und Ziel und fühlte sich gut dabei. Die Neugierde seines Sohnes, wozu er so viel Geld brauche, hatte der Alte mit dem Wort „Überraschung“ befriedigt. Nun musste er die Margarete finden.
Am Marktplatz entdeckte er Tönnies. Der kam ihm gerade recht. Tönnies war im Moment bei einer Gemüsehändlerin beschäftigt. Da konnte man ihn leicht auslösen. Conrad von Minden steuerte auf den Stand zu und bestellte bei der Händlerin zwanzig Pfund Äpfel, einen Träger für seine Einkäufe und bezahlte mit einem Goldstück. Die Frau, glücklich über das gute Geschäft am frühen Morgen, schichtete die Ware in einen Korb und ordnete an: „Tönnies, begleite den Herrn heim.“ Der Tagelöhner gehorchte und sie zogen ab.
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