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der unausweichlichen Katastrophe und dann schallen aus meinem Mund Bruce Springsteens Worte: „Born in the U.S.A.“

      Der Saal rockt, die Ordner haben alle Hände voll damit zu tun, die lauthals mitgrölenden Pioniere zu beruhigen und so geht im allgemeinen Chaos beinahe unter, wie ich von vier kräftigen Männern in richtigen Jacketts in die Mitte genommen und eilig in das sichere Halbdunkel hinter der Bühne geführt werde.

      „Tilo, Tilo, Tilo!“ Barbara Kästner bedenkt mich mit einem traurigen Blick, aus dem Enttäuschung, Verbitterung und Mitleid sprechen. Sie hat ihre Arme um ihren kleinen, schmächtigen Körper geschlungen. Mir ist schon bei früheren Gelegenheiten aufgefallen, dass ihr im Gegensatz zu anderen weiblichen Mitgliedern des Lehrkörpers diese Geste nicht weiter schwer fällt, da kaum etwas im Weg ist, was unangenehm aufreizend nach oben gedrückt werden könnte. Bevor meine Gedanken aber in ungesunde Gefilde abdriften können, setzt sie ihre Jammerlitanei schon fort. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“

      „Gar nichts hat er sich gedacht.“, brummt der dicke Mann in dem weißen Hemd mit dem gestärkten Kragen, das unter seinem braunen Jackett hervorlugt und der mir als Klaus Winkler von der FDJ-Kreisleitung vorgestellt wurde, hörbar missmutig. „Schauen Sie ihn sich doch an!“, kommt er dem Einwand unserer Pionierleiterin, der sich bereits angeschickt hat, ihren Mund zu verlassen, zuvor und deutet mit anklagender Geste auf mich, fast so, als würde er ihr eine besonders unangenehme und ekelerregende Ungezieferart präsentieren. „Er besitzt tatsächlich die Frechheit, in der Uniform der sozialistischen Jugendorganisation unserer glorreichen Partei hier zu erscheinen.“

      Mit schmalem Mund blicke ich kurz an meinem Oberkörper herunter, der immer noch von dem leuchtend blauen Hemd der FDJ verhüllt wird, das ich vor einer Stunde bei meinem kleinen Malheur getragen hatte. „Nach allem was geschehen ist.“, säuselt er, fasst sich an die Stirn und lässt sich zurück in den schweren Ledersessel sinken, der ihm seinem Leibesumfang nach zu schließen schon seit Jahrzehnten beim Breitsitzen seines Hinterns behilflich ist. Er bietet einen so verzweifelten Anblick, dass ich mir fast sicher bin – Klaus Winkler war früher mal beim Theater. Zum Glück kann ich dieses eine Mal meine Neugier im Zaum halten. Heute gibt es wichtigeres zu klären. „Also, das mit dem Hemd...“, versuche ich zu erklären, dass ich beim besten Willen nicht anders hier erscheinen konnte, da mich die kräftigen Männer direkt aus dem Pionierhaus hierher in die Kreisleitung gefahren haben und ich außer meiner offiziellen Verkleidung keine anderen Klamotten dabei hatte. Wie hätte ich denn auch damit rechnen sollen, dass alles schief geht?

      „...ist eine Unverschämtheit.“, fällt mir Klaus Winkler ins Wort und streicht sich die eine graue Haarsträhne zurück, die seinen Schädel noch davor bewahrt, als vollkommen nackt durch die Gegend getragen zu werden. „Auch über diesen Punkt werden wir beraten müssen.“, stöhnt er mit einem schmerzverzerrten Blick zu Barbara Kästner. „Notieren Sie: Mögliche Aberkennung der FDJ-Mitgliedschaft!“, diktiert er unserer Pionierleiterin, die, nachdem sie mir einen kurzen erschrockenen Blick zugeworfen hat, die Worte gewissenhaft in ihr rot eingeschlagenes Notizbuch überträgt.

      Eine merkwürdige Ruhe überkommt mich bei diesen Worten. Die Ereignisse der letzten Stunde, die Lieder, die begeistert klatschenden Pioniere, die harten Griffe der Eingreiftruppe auf unserem gemeinsamen Weg hinter die Bühne, die Enge des Lada, in dem wir zu fünft durch die von fröhlichen rot und blau behalstuchten Kindern bevölkerte Stadt gerast sind, das ewige Warten in dem winzigen Zimmer mit dem Linoleumboden, der kalten Neonröhre und dem Blick auf die braune Wand des gegenüber liegenden Stalinbaus, all das kommt mir so unwirklich, surreal, abgehoben vor. Ich fühle mich, als säße ich im Kino und schaute meiner eigenen schlampig inszenierten Hinrichtung zu.

      „Machen wir es kurz!“, knurrt mir der FDJ-Kreisleiter, der, wie mir mit mäßigem Interesse gewahr wird, schon längst dem Jugendalter entwachsen ist, eine Einleitung entgegen, die klischeehafter nicht sein könnte und deshalb meine Cineastenfantasie nur verstärkt, entgegen. „Sie sind fast 16 Jahre alt und wollen im nächsten Jahr die zehnte Klasse einer durch die harte Arbeit unserer werktätigen Bevölkerung finanzierten Polytechnischen Oberschule besuchen. Ihre Akte“, bei diesen Worten klopft er mit seinem dicken Zeigefinger gewichtig auf einem kleinen Stapel bräunlich angelaufener Papiere herum, „enthält bisher keine negativen Einträge. Das lassen wir zu ihren Gunsten sprechen.“ Er tauscht einen kurzen Blick mit der Pionierleiterin, bevor er fortfährt. „Aber nach dem, was sie sich heute geleistet haben,“, er nimmt das oberste Blatt vom Stapel, auf dem handschriftlich mehrere Notizen gemacht worden waren, „ich zitiere: ,Aufführen ausländischen Propogandaliedguts auf dem Pioniertreffen, Anstiftung zum Aufruhr und zur Zuwiderhandlung gegen die Ordnungsregeln auf einer öffentlichen Veranstaltung, Vorführung eines Liedes in deutscher Sprache, dessen Aufführung im öffentlichen Raum verboten wurde, Verunglimpfung des solidarisch-kämpferischen Liedguts der Freien Deutschen Jugend...'“

      ,Aha, sie hatten also doch die kleine Textänderung in dem Naiv-Song bemerkt', schießt es mir durch den Kopf. ,Ganz schön gerissen, diese Kader.'

      Kurt Winkler und Barbara Kästner werfen mir fragende Blicke zu. Seine sind eher herausfordernd-geringschätziger Natur, ihre verzweifelt-resigniert. Ich war in Gedanken kurz abgeschweift und habe den Rest der Anklageschrift verpasst. Offenbar erwarten sie irgendeine Antwort von mir.

      „Also, das mit dem Lied...“, stammle ich.

      Winkler knallt seine flache Hand auf den Tisch. „Können Sie auch in ordentlich formulierten Sätzen zu uns sprechen oder sind sie einer dieser affenähnlichen Untermenschen, die außer Radau und Flausen nichts im Kopf haben?“, schreit er mich mit hochrotem Kopf an. Sein fetter Hals quillt dabei unnatürlich über den Hemdkragen, so dass ich für einen Augenblick die Hoffnung hege, sein Kopf könne sich noch weiter aufblasen und dann mit einem lauten Knall explodieren.

      „Es tut mir leid?“, versuche ich es aufs Geratewohl mit einer der Floskeln, die uns schon seit unserem ersten Tag in der Kinderkrippe in die sozialistische DNA eingehämmert wurden. Älteren gegenüber immer Respekt üben, so hätte eines der fünfhundert Gebote des sozialistischen Kindergartenkindes lauten können, wenn es so etwas geben würde.

      Erwartungsvoll blicken mir die beiden Erwachsenen entgegen. Eine einfache Entschuldigung scheint es nicht zu tun. Da muss ich wohl tiefer in die Trickkiste des frasengeschulten DDR-Bürgers greifen. Innerlich seufze ich einmal tief, bevor ich mich zu einer Aktuelle-Kamera-reifen Antwort aufraffe: „Ich habe beim heutigen Konzert im Pionierhaus die nötige Reife und Verantwortung, die für eine solche Veranstaltung nötig ist, vermissen lassen. Dadurch habe ich nicht nur die mir anvertrauten Kinder der Gefahr unkontrollierter Exzesse und falscher Informationen ausgesetzt, sondern auch dem Ansehen unserer Jugendorganisation, der Stadt und des Bezirks Karl-Marx-Stadt und der gesamten Deutschen Demokratischen Republik schweren Schaden zugefügt. Ich schäme mich dafür, all die hart arbeitenden Arbeiter und Bauern unserer Republik so schwer enttäuscht zu haben und kann nur hoffen, dass es dem Gegner und Klassenfeind nicht gelingen wird, aus diesem Ereignis einen Vorteil zu ziehen.“

      Ich bin so in Fahrt, dass es mir wirklich schwer fällt, an dieser Stelle abzubrechen und nicht auch noch die deutsch-sowjetische Freundschaft, das Andenken an Ernst Thälmann und den kleinen Trompeter oder den Weltfrieden ganz allgemein zu bemühen. Barbara Kästner blickt mir aus treuherzigen blauen Augen erleichtert entgegen. Ich scheine sie mit meiner kleinen Stegreifansprache durchaus überzeugt zu haben.

      Kurt Winklers Gesicht blickt mich deutlich finsterer an. Mit zusammengekniffenen Augen mustert er mich, auf seiner Stirn hat sich eine steile Falte gebildet. „Ich weiß nicht, ob du mich hier verscheißern willst.“, knurrt er mich an. „Aber das eines klar ist: Wir haben dich im Blick, Tilo Reichel. Noch ein Fehltritt, und du bist weg vom Fenster.“

      Ich nicke in gespielter Eingeschüchtertheit. Der abrupte Wechsel vom Sie zum Du ist mir durchaus nicht entgangen. Aber ich hatte in den letzten 15 Jahren ja reichlich Gelegenheit, eine angemessen zerknirschte Körperhaltung bis zur Perfektion zu trainieren.

      „Und damit meine ich nicht die Berufsausbildung mit Abitur.“ Nun wedelt er aufgeregt mir seinem Finger vor meiner Nase herum. „Das kannst du dir sowieso schön abschminken. Wir haben schon ganz andere subversive Elemente zur Strecke

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