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Nein, sie würde am Wochenende nicht mehr mit ihren Freunden weggehen. Die Freunde konnte sie auch unter der Woche treffen. Aber ihren Jungen ! Was wäre sie eine schlechte Mutter, wenn sie nicht daheim wäre, wenn der Junge käme!

      Den Muttertag verbrachte sie zu Hause in der Nähe des Telefons. Sie hatte Kuchen gebacken und die Türklingel kontrolliert. Manchmal trat sie auf die Türschwelle und schaute die Straße hinunter. Dabei hatte sie so ein Gefühl. Als wenn er jeden Moment käme.

      Vielleicht käme er auch gar nicht an einem Wochenende. Vielleicht war er schon da gewesen. Letzte Woche. Am Dienstag vielleicht. Während sie beim Frisör war. Er hatte sie überraschen wollen, aber sie war nicht da. Bestimmt hatte ihn das enttäuscht. Oder verärgert. Bestimmt hatte er deshalb zu Muttertag nicht angerufen. Was sollte er auch von einer Mutter halten, die lieber zum Frisör geht, anstatt nur dieses eine Mal für ihren Sohn zu Hause zu sein?

      So fing es an, dass sie das Haus nicht mehr verließ. Noch nicht einmal zum Einkaufen. Den Nachbarjungen freute das zusätzliche Taschengeld. „Du musst Dir helfen lassen. Das ist nicht mehr normal“, sagten die Freunde. Sie schüttelte den Kopf. Was wussten sie schon von diesem besonderen Band zwischen Mutter und Sohn. Jeden Morgen nahm sie sein Foto von der Kommode, stellte es vor sich hin und sprach mit dem Sohn. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie die Verbindung spüren. Sie konnte fühlen, dass er an sie dachte. Sie fühlte seine Sehnsucht nach ihr. Sie fühlte wie sehr er unter der Trennung litt. Wie gerne er gekommen wäre. So erwachsen. So selbständig. Jeden Morgen versprach sie ihm, zu warten, da zu sein, wenn er an ihre Tür klopfen würde. Für ihn da zu sein. Immer.

      Als die Schmerzen begannen, ließ sie sich vom Nachbarjungen Schmerzmittel aus der Apotheke besorgen. Als die Schmerzen heftiger wurden, überlegte sie, ob sie den Arzt ins Haus bestellen sollte. Der Nachbarjunge war rot geworden, als sie ihn zum ersten Mal bat, Binden zu kaufen und eine Flasche Korn. Die blutdurchtränkte Unterwäsche hatte sie in den Müll geworfen. Sie kannte ihren Körper. Sie wusste, was die Schmerzen bedeuteten. Der Arzt würde sie ins Krankenjaus überweisen. Operation. Mehr als acht Tage nicht zu Hause. Deshalb rief sie keinen Arzt. Sie litt. Aber es war normal für eine Mutter, zu leiden. Das war das Los der Mutter. Sie hatte ihn unter Schmerzen geboren. Es hatte sie fast zerrissen. Wieder fühlte es sich an, als würde etwas in ihr zerreißen. Fast als würde sie ihn ein zweites Mal zur Welt bringen. Sie würde auch diese Schmerzen aushalten. Nur noch diese Schmerzen aushalten, und er wäre da. Wieder bei ihr.

      Der Nachbarjunge hat sie gefunden und die Eltern gerufen. Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf: „Ich kann nichts mehr tun.“ „Sie müssen loslassen“, sagte der Priester. „Nein“, stöhnte sie, „warten. Er kommt. Bestimmt.“

      Sie kämpfe verbissen. Schweißnass. Stöhnte. Weigerte sich zu gehen. Ihre Schwester war da, weinte, streichelte ihre Hand: „ Es ist in Ordnung. Mach es Dir nicht so schwer.“ Mühsam hob sie den Kopf. Das Foto. „Warten!“ Ihr Blick zur Tür. Die Schwester schüttelte den Kopf: „Nein! Er wird nicht kommen. Wir haben ihn nicht einmal erreicht!“

      Sie schloss die Augen. Warten. Er wird kommen. Dieses besondere Band. Er würde ihr nie verzeihen, wenn sie jetzt ging. Wenn sie ihn verließ, ohne dass er sich verabschieden konnte. Er würde ihr das nie verzeihen.

      Er war auch zur Beerdigung nicht gekommen. Den Verkauf des Hauses hatte er von Berlin aus abgewickelt. Er war großzügig: Die Schwester konnte sich aus dem Haushalt nehmen, was sie wollte. Es war ihm egal.

      Der Makler stöhnte, als er das Haus schon wieder zum Verkauf anbieten musste.

      „Ich kann in diesem Haus nicht glücklich werden“, sagten alle, die es bewohnten, „immer wenn ich es betrete, umfängt mich diese traurige Sehnsucht.“

      „Es ist ihre Seele“, vertraute die Nachbarin der Schwester an, „ihre Seele kann das Haus nicht verlassen. Sie wartet immer noch.“

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