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Intercity nach Mailand - vielleicht. Brigitte Krächan
Читать онлайн.Название Intercity nach Mailand - vielleicht
Год выпуска 0
isbn 9783737566476
Автор произведения Brigitte Krächan
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ich weiß“, lächelte er Eve zu. Ein perfekter Tag. Er trat das Gaspedal durch. 460 PS. In 3,8 Sekunden von Null auf Hundert. Die Straße machte eine scharfe Linkskurve. Der Ferrari durchbrach die Leitplanke. Eve schrie. Ihre roten Fingernägel krallten sich in seinen Unterarm. Er genoss das unbeschreibliche Gefühl der grenzenlosen Freiheit, als der Wagen über die weißen Klippen raste dem endlosen, blauen Meer entgegen.
Das Dinner
„Liebling, sagte ich dann zu ihm, warum trägst Du nicht das schicke Armani-Sakko zum Dinner? Aber nein, es musste wieder die abgetragene Peter Hahn Jacke sein. So sind sie unsere Männer, die Herren Professoren. Immer ein bisschen altmodisch. Immer ein bisschen verschroben. Ohne uns wären sie verloren in der bösen Alltagswelt.“
Mit ihren hageren Fingern tätschelte Mathilde kurz die Glatze ihres Mannes und wandte sich dann ihrer Tischnachbarin zu. „Sie behandelt mich wie einen Schoßhund“, dachte Klaus. Was hatte ihn nur bewogen, diese entsetzliche Frau vor mehr als dreißig Jahren zu heiraten? Er war kein Professor. Er hatte studiert, aber nie promoviert. Doch seine Frau zog es vor, Tatsachen einfach zu ignorieren und sich mit „Frau Professor“ anreden zu lassen.
Mathilde hatte ihnen diese Einladung zum Dinner mit gewohnter Hartnäckigkeit verschafft. Wer war die Gastgeberin noch einmal? Irgendwann zwischen den endlosen Klatschgeschichten und Nörgeleien war ihr Name bestimmt gefallen. Aber Klaus hatte nicht zugehört. „Das Alkaloid des Schierlings verursacht Sprachlähmungen“, ging es Klaus durch den Kopf. Aber leider war das Gift sehr leicht nachweisbar.
„Und stellen Sie sich vor, die Medikamente, die mein schlauer Professor erfindet, retten eines Tages Millionen von Menschen das Leben. Sicherlich hat Ihr Mann schon davon gehört. Unter Insidern spricht sich so etwas rasend schnell herum. Ihr Mann verkehrt zweifelsohne in diesen Kreisen.“ Ununterbrochen redete Mathilde auf ihre Tischnachbarin ein.
Klaus hatte das Ehepaar Meyer schon ein paar Mal bei ähnlichen Anlässen getroffen. Der Mann tat ihm leid. Ein stiller, freundlicher Mensch, leitender Arzt im Stadtkrankenhaus. Klaus empfand eine Art Seelenverwandtschaft. Waren sie doch beide mit dem gleichen Typ Frau gestraft. Er musterte die Frau des Professors eingehender. Sie hatte sich seit ihrem letzten Treffen verändert. Ihr Gesicht zeigte deutliche Wassereinlagerungen, die Haut der Oberarme wies kleine Einblutungen und blaue Flecke auf. Anzeichen einer Überdosis Cortison. Aber ihr Mann war Arzt, er musste es auch bemerken, und er musste wissen, dass es schonendere Mittel gab. Er sollte seiner Frau besser ein Glucocorticoid verschreiben. Er möchte doch bestimmt nicht die lebensbedrohenden Nebenwirkungen des Cortisons riskieren. Es sei denn …
Klaus betrachtete seinen stillen Gegenüber mit neuem Interesse. Professor Meyer erwiderte den Blick und nickte ihm freundlich zu.
„Der Professor weiß, dass ich es weiß“, durchfuhr es Klaus.
Die Gastgeberin reichte die Aperitifs. Eine blondierte Enddreißigerin mit Grünstich im Haar. Ihr Frisör hätte sie darauf aufmerksam machen sollen, dass sich frisch blondiertes Haar im Chlorwasser grün färbt.
Klaus kam einfach nicht auf ihren Namen. Sie waren schriftlich zu dem Dinner eingeladen worden. Sogar die Menükarte war beigelegt. Die Gastgeberin hatte angekündigt, dass sie das Essen höchstpersönlich zubereiten würde. Die Mithilfe der Gäste in der Küche sei ausdrücklich erwünscht. Wieder so ein neumodischer Unsinn. Erlebnisgastronomie.
Als Vorspeise sollte es Sushi geben.
Mathilde wunderte sich vermutlich sehr, als Klaus der Gastgeberin anbot, ihr beim Anrichten und Auftragen der Vorspeise zu helfen.
Mathilde hasste rohen Fisch. Aber Sushi gehörte zur feinen Gesellschaft dazu und deshalb würde sie ihn hastig herunterwürgen ohne auf den strengen Geschmack zu achten. Alle würden heute Abend mit den Symptomen einer Fischvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Alle würden das Krankenhaus nach einer zugegeben recht unangenehmen Nacht wieder verlassen.
Alle, bis auf Mathilde, bei der die Vergiftung einen zwar seltenen aber biochemisch nicht weiter auffälligen Verlauf nehmen würde.
Und Klaus würde angemessen um seine Gattin trauern und dann in einen langen, ruhigen Urlaub aufbrechen.
Der Weiher am Landheim
Sie haben das Tor geschlossen und mit einem Vorhängeschloss gesichert.
Schade. Eigentlich lief ich gerne durch den verwilderten Park. Es war schön, dem Pfad der Rehe bis zum Wasser zu folgen. Ich saß auf der alten Holzbank in der Sonne und blickte hinüber zu den Trauerweiden, die sich tief über das schwarze Wasser beugten. Ich konnte mir die Kinder vorstellen, die dort unter den Weiden im dunklen Schatten Verstecken spielten. Wie sie durch das Gras zum bunten Spielhaus liefen oder sich am Fuße der Rutsche stritten, wer die Leiter als erstes hinaufklettern durfte. Und ich stellte mir ihre Mütter vor, die die Kinder auf dem kleinen Karussell antrieben. Die Schaukeln hatte man abgehängt und die Spielgeräte waren von Brombeerhecken überwuchert. Aber das große Entenhaus auf der Insel in der Mitte des Weihers wurde immer noch von Enten bewohnt. Ein alter, verwitterter Holzzaun umschloss den Weiher. Die kleine Pforte war geschlossen. Hier hatten die Kinder gestanden mit ihrem Brot in den Händen, ungeduldig auf die Mütter wartend, die noch bei einer letzten Tasse Kaffee beim Frühstück hockten. Jedes Kind füttert gerne Enten. Ich hatte mir vorgenommen, beim nächsten Spaziergang auch Brot für die Enten mitzunehmen.
Aber der Weg durch den Park zum Weiher ist jetzt versperrt. Vielleicht ist es besser so.
Der Park und der Weiher gehörten zu einem Müttergenesungsheim, das vor langer Zeit geschlossen wurde. Hierher kamen Mütter mit Kindern, die an schweren, chronischen Erkrankungen litten. Man wollte beiden, den Müttern und den Kindern, einen Erholungsaufenthalt außerhalb der Stadt ermöglichen. Beide hatten diesen Aufenthalt dringend nötig. Ganz besonders aber die Mütter, die von der täglichen Sorge um ihre kranken Kinder körperlich und seelisch ausgebrannt waren.
Es begann kurz nach der feierlichen Eröffnung des Erholungsheimes.
Ein tragischer Unfall. Die kleine Lisa, fünf Jahre alt und von den zerstörerischen Nebenwirkungen einer Chemotherapie gezeichnet, war am späten Abend in den Weiher gefallen und ertrunken. Ein Unfalltod. Jedoch meinte man danach, man hätte den Weiher besser sichern müssen. Schließlich könnten die Mütter ihre Kinder nicht rund um die Uhr beaufsichtigen. So baute man den hölzernen Zaun um den Weiher. Der Zaun fügte sich harmonisch in das Gesamtbild des Parks ein. Nur noch eine kleine Pforte ermöglichte den Zutritt zum Weiher.
Jemand hatte sie versehentlich aufgelassen, ein paar Wochen später, als der kleine Timmy nachts ertrank. Danach wurde die Tür so konstruiert, dass sie von selbst ins Schloss fiel und für kleine Kinderhände nicht mehr zu öffnen war.
Aber Mariechen musste es eines späten Abends doch geschafft haben. Man fand sie am nächsten Morgen tot im Weiher.
Drei unglückliche Todesfälle, allesamt Kinder, waren nicht die beste Werbung, die sich die Heimleitung für das Müttergenesungsheim wünschte. Und die Unfallserie sollte nicht abreißen. Nachdem vier weitere Kinder auf ähnliche, unerklärliche Weise nachts im dunklen Wasser ertrunken waren, erwog man den unglückseligen Weiher zuzuschütten. Aber er war dann doch zu schön gelegen. Die alten Trauerweiden, deren Äste bis ins Wasser reichten, die kleine Insel in der Mitte, die gemütlichen Holzbänke, die wahlweise in der Sonne oder im Schatten der Weiden standen. Die Mütter liebten es, dort zu sitzen, Handarbeit zu machen und sich zu unterhalten, während die Kinder auf den Spielgeräten neben dem Weiher herumtollten. Eine wirkliche Postkartenidylle, die tatsächlich auf Postkarten gedruckt von den Müttern gerne nach Hause gesandt wurde. Nein, der Weiher konnte nicht zugeschüttet werden. Er war das Erkennungszeichen des Genesungsheimes. Die Leitung entschied sich nun doch dazu, von den Müttern eine sorgfältigere Aufsicht ihrer Kinder