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es sein könnte, wenn sie jetzt einfach immer weiterfahren würden, egal wohin. Sie waren zusammen, das allein zählte.

      Die besorgte Stimme ihrer Schwiegermutter klang noch in ihrem Gedächtnis. Früher hatte sie gelacht über die Ängste ihrer Mutter, über ihre Ermahnungen. Nun, da sie selbst Mutter war, verstand sie es. War auch besorgt, wenn Paul einmal später nach Hause kam oder wenn er nicht gleich anrief. Entwickelte sie sich vielleicht zu einer Glucke? War das ein Zeichen dafür, dass sie alt wurde? Nein, es bedeutete wohl eher, dass es Zeit war für eine neue Aufgabe. Ein weiteres Kind oder ein neuer Job.

      Sie sprachen gerade davon, ob sie Sarah für das nächste Halbjahr im Kindergarten anmelden sollten, als plötzlich ein schwarzer Schatten vor der Windschutzscheibe auftauchte. Im gleichen Moment erschütterte ein dumpfer Aufprall den Wagen. Paul schrie auf und verriss das Lenkrad. Etwas Großes, Schweres kam durch die Windschutzscheibe, auf Pauls Seite.

      Catherine wurde nach vorne geworfen, hilflos wie eine Puppe. Schmerz flammte über ihre Stirn und etwas Warmes, Klebriges rann in ihre Augen.

      Sie drehten sich im Kreis, schlitterten und rutschten unaufhaltsam irgendwohin in die Dunkelheit. Catherine wurde nicht ohnmächtig, das wusste sie später ganz genau. Sie erlebte alles bewusst mit. Wie sie sich drehten, das Gefühl der Hilflosigkeit, nichts tun zu können, die Panik. Der Ruck, das Aufklatschen des Wagens auf dem Wasser. Dann war da plötzlich Kälte, legte sich nass und klamm um ihre Beine.

      Sie wischte das Blut von der Stirn, versuchte, durch die roten Schlieren die Dunkelheit mit ihren Augen zu durchdringen und spürte, wie das Wasser in den Wagen lief. Zerrte am Sicherheitsgurt, wie durch ein Wunder ließ er sich öffnen.

      Catherine tastete nach dem Türöffner, riss panisch daran. Dabei schrie sie immer wieder Pauls Namen. Doch er antwortete nicht. Auch vom Rücksitz war kein Laut zu hören. Schließlich gelang es ihr, das Fenster herunterzudrehen. Das Wasser hatte mittlerweile ihre Brust erreicht. Sie bewegte sich wie in Zeitlupe, stieß sich mit letzter Kraft vom Sitz ab und schob sich aus dem Fenster. Blind tastete sie sich nach oben und trat instinktiv mit den Füßen.

      Helle Scheinwerfer blendeten sie. Sie schrie, mit sich überschlagender Stimme, immer wieder: „Mein Mann, meine Tochter – im Auto!“ Sie musste geschwommen sein, um aus dem kleinen Teich zu kommen, in den das Auto gestürzt war. Aber die Erinnerung daran war fort.

      Kräftige Hände zogen sie aus dem Wasser und wickelten sie in Decken. Der schrille Ton von Krankenwagensirenen erfüllte ihre Ohren. Dann war da nur noch Dunkelheit.

      Catherine erwachte im Krankenhaus. Als sie nach Paul und Sarah fragte, teilte ihr eine Ärztin mit, dass ihr Mann und ihre Tochter gestorben waren. Es war schnell gegangen, das Reh, das durch die Windschutzscheibe gestürzt war, hatte Pauls Brustkorb eingedrückt. Er war schon tot gewesen, als sie in den Teich fielen. Und Sarah, die tief geschlafen hatte, war wohl ertrunken, bevor sie überhaupt registrieren konnte, was geschehen war.

      Es machte Catherines Kummer nicht kleiner. Sie hatte wie durch ein Wunder keine schwereren Verletzungen erlitten, nur eine Schramme auf der Stirn blieb, wo die Geweihspitze des Rehs sie gestreift hatte. Und das Schuldgefühl. Sie hatte ihre Familie im Stich gelassen, hatte nur daran gedacht, ihr Leben zu retten. Mit diesem Bewusstsein konnte sie nicht weiterleben. Niemand verstand das. Man gab ihr Beruhigungsmittel, verschrieb ihr eine Therapie. Doch es schien nicht viel zu helfen. Sie brachte die Bilder des Unfalls nicht aus ihren Gedanken. Darüber zu sprechen war unmöglich. Es war, als schnüre eine unsichtbare Hand ihre Kehle zu, sobald sie den Versuch machte, ihre Gefühle in Worte zu kleiden.

      Später spuckte sie die Schlaftabletten, welche die Ärztin ihr gab, heimlich aus und sammelte sie. Niemand schöpfte Verdacht, sie machte einen sehr gefassten Eindruck in diesen Tagen. Sie schluckte alle Tabletten auf einmal. Wenn sich nicht die Krankenschwester, die das Fieber messen sollte, verspätet hätte, wäre ihr Leidensweg zu Ende gewesen. Doch ihr Magen wurde ausgepumpt und sie wurde zurückgeholt in dieses elende, sinnlose Leben.

      Catherine begann eine weitere Therapie, die wenigstens im Ansatz zusammen mit der Einnahme der Psychopharmaka Erfolg zeigte. Schließlich wurde sie mit genauen Anweisungen, wie sie die Medikamente zu dosieren hatte, nach Hause geschickt. Ihre Eltern waren bei ihr in dieser Zeit, sie hätte die Heimkehr sonst nicht verkraftet. Das Haus, das sie mit Paul eingerichtet hatte, wurde verkauft. Sie konnte nicht mehr darin leben – alles erinnerte an ihn und ihre glückliche Vergangenheit.

      Doch die Fürsorge ihrer Angehörigen wurde lästig. Die mitleidigen Blicke, diese ständigen Fragen, wie es ihr gehe. Die vielen Versuche, sie abzulenken und aufzuheitern.

      Und dann war sie einfach losgefahren, immer nach Westen. Bis Land’s End, zu den Klippen. Hatte auf das Meer gestarrt, auf den Nebel und die Umrisse der Scilly Islands und hatte plötzlich nicht mehr den Mut besessen, es zu Ende zu bringen.

      Catherine horchte auf die Schläge der Kirchturmuhr. Mitternacht! Und noch immer kein Gedanke an Schlaf.

      Seufzend tastete sie nach dem Lichtschalter. Sie musste wieder eine Schlaftablette nehmen, um wenigstens ein paar Stunden Ruhe zu haben. Nur eine. Nicht mehr.

      Kapitel 10

      Yal öffnete den Lederbeutel und schüttelte die vier Steine auf seine Hand. Er legte den ersten auf den Tisch.

      Weiß für Licht und Luft.

      Genau eine Handlänge darunter platzierte er den zweiten.

      Blau für das Wasser.

      Der rote Stein, der das Element Feuer symbolisierte, kam eine Handlänge neben den weißen Stein, auf die rechte Seite. Den braunen, den Erdstein, legte er neben den blauen.

      Yals Hände strichen über das Fell Amathis. Er spürte das Knistern, als es sich auflud. Winzige Flämmchen begannen auf den orangeroten Haaren zu tanzen, sprangen über auf seine Haut, verursachten ein leichtes Kribbeln, das sich im Mal auf seiner Schulter bündelte.

      Yal kreuzte die Arme vor der Brust, um die Energie festzuhalten, die die Feuerkatze ihm geschenkt hatte. Er dankte ihr und sie kehrte würdevoll wieder zu ihrem Lieblingsplatz beim Kamin zurück.

      Er schloss die Augen, bewegte leicht die Finger, konzentrierte die Kraft in den Händen, bis sie sich anfühlte wie ein warmer Ball, den er kneten konnte.

      Als er die Augen öffnete, schwebte tatsächlich eine kleine, orange leuchtende Kugel zwischen seinen Handflächen. Mit den Fingerspitzen begann er, feine Fäden aus dem Ball zu ziehen, den er unablässig mit der anderen Hand drehte und knetete. Er hätte sich gerne die Stirn abgewischt, nur zu deutlich fühlte er die Schweißperlen darauf, aber er wagte es nicht. In der linken Schulter spürte er ein leichtes, brennendes Pulsieren.

      Mit dem Zeigefinger führte er den Faden aus Feuermagie auf die Steine zu, verband sie zu einem Kreuz. In die vier Achsen zeichnete er je einen rechten Winkel, setzte einen Punkt in die Ecken des so entstandenen Vierecks. Dann begann er, die Punkte zu verbinden, erst einen kleinen Halbkreis nach rechts von der Spitze des Kreuzes zum ersten Punkt des ersten Winkels. In gleichmäßigen Bewegungen zog er die Linien, verband Punkt für Punkt, immer von links nach rechts, in konzentrischen Kreisen.

      Erst als das Muster vollendet war, senkte er aufatmend seine Hand und fuhr sich über die Stirn. Leicht flimmerten die Linien, ein feuriges Labyrinth.

      Jetzt musste er das Portal öffnen, um das Abbild von Myn Fantrix suchen zu können.

      Die Spitze seines Zeigefingers fuhr den Weg nach, den die Linien bildeten, sieben Umgänge, die ihn abwechselnd von innen nach außen leiteten, bis er den Mittelpunkt des Labyrinths erreichte. Er spürte die magische Wärme, sie war anders als die, mit der er die Fäden gesponnen hatte. Dichter und intensiver. Das Labyrinth war perfekt.

      Yal legte den Finger ganz auf den Mittelpunkt und begann, die Beschwörungsformeln zu murmeln. Er kannte sie in- und auswendig, jede einzelne Silbe war ihm geläufig. Sie flossen von seinen Lippen, reihten sich auf, eine nach der anderen, wie Perlen auf einer Schnur.

      Wieder breitete sich

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