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      Ein leises Kichern ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben.

      Auf dem Fensterbrett saß der Feuervogel.

      „Was? Varruk? Wie …?“

      Ach, mein Lieber. Du weißt so wenig über Feuermagie und darüber, wie mächtig ich bin. Und deine Gedanken sind ein offenes Buch, in dem ich sehr wohl zu lesen weiß. Varruks Stimme füllte seinen Kopf.

      Sel Dragmon keuchte. Ich – ich habe diesen Stein nur in Sicherheit gebracht. Ich wollte ihn dir nicht vorenthalten. Und ich wusste nicht …

      Varruk lachte. Aber sicher doch. Du hast einfach verabsäumt, es mir zu erzählen. Ein dummes Versehen, nicht wahr?

      Der Feuervogel hüpfte zum Kamin. Ehe Sel Dragmon auch nur mit der Wimper zu zucken vermochte, hatte sich das Tier in die Flammen geworfen.

      Mit einem schrillen Schrei fauchte eine Feuergarbe hoch, sprühte einen Funkenregen über den Erdmagier. Flammen setzten sich in Sel Dragmons Haaren fest und verteilten sich auf seinen Kleidern. Er schlug mit den Armen um sich – vergeblich. Gierig knisternd fraßen sich Funken durch den Stoff in seine Haut, griffen auf die Haare über. Im Nu brannte er lichterloh.

      Kreischend jagte er aus dem Haus, eine lebende, taumelnde Feuersäule. Hell loderte die todbringende Glut, erstickte seine Schreie. Noch einmal bäumte sich der Gemarterte auf, dann brach er zusammen. Flämmchen züngelten über den Überresten des Erdmagiers und der Gestank nach verbranntem Fleisch lag in der Luft. Mit einem Fauchen verlöschte die Glut, ließ einen Haufen weißer Asche zurück. Ein beinahe zärtlicher Windstoß zerteilte sie, ließ für einen Moment eine Wolke aus Flocken aufstieben.

      Sel Dragmons Todesurteil war vollzogen.

      Kapitel 9

      Wie immer verspürte Catherine keinen großen Hunger, stocherte lustlos in ihrem Salat herum, während Linda ihre mit Hackfleisch und Zwiebeln gefüllten Pasties mit sichtlichem Genuss verspeiste.

      Nach dem vergeblichen Versuch Lindas, sie mit gemeinsamen Erlebnissen aus der Vergangenheit aufzuheitern, kehrte Catherine in ihr Hotelzimmer zurück. Sie hatte sich in den Four Winds eingemietet, einer Frühstückspension gleich in der Nähe des King Arthur’s Castle Hotels. Die Pension lag etwas abseits des Ortes, blieb also vom Trubel der Touristen weitgehend verschont.

      Catherine trat an das Fenster, öffnete es weit und atmete die feuchte Luft ein, die vom Meer herüber wehte.

      Das große Hotel mit seinen vielen Lichtern war zu sehen und für einen Moment wünschte sie, mit Linda gegangen zu sein, so wie früher. Sie hätte mit ihrer Freundin in der Hotelbar einen Gin Tonic getrunken und sich über alte Zeiten unterhalten, als die Welt noch in Ordnung war und sie beide unbeschwert und frei.

      Linda hätte mit ihr gelacht, nicht ohne ihre Blicke durch den Raum schweifen zu lassen, immer auf dem Sprung, falls ein attraktiver Mann auftauchen sollte.

      Wie weit war das alles jetzt weg! Unwahrscheinlich, dass sie jemals an solch harmlosen Vergnügungen Freude gefunden haben konnte!

      Ihr Blick fiel auf die Schachtel mit Pralinen, die Linda gekauft hatte. Es war ihre Lieblingssorte gewesen – früher. Sie hatte sie auf das Bett gelegt, abgelenkt durch den Wortschwall ihrer Freundin. Nun schien die Schachtel sie anzustarren. Vorwurfsvoll und verwundert, dass sie so unbeachtet dalag.

      Catherine hatte immer gerne Schokolade gegessen, aber seit dieser unendliche Kummer ihre Kehle zuschnürte, verspürte sie auch darauf keine Lust mehr. Unschlüssig nahm Catherine die Schachtel hoch, drehte sie in den Händen. Mit einer heftigen Bewegung riss sie das Cellophan ab und hob den Deckel. Der Geruch der Schokoladestückchen stieg ihr in die Nase. Er verursachte Übelkeit und ließ den alt vertrauten Kloß im Hals entstehen.

      Sie erinnerte sich.

      Ihr fünfundzwanzigster Geburtstag, vor ziemlich genau zwei Jahren.

      Paul hatte sie in dieses sündteure, französische Restaurant eingeladen. Sie hatte ihr neues Kleid angezogen, das hellblaue mit dem tiefen Rückenausschnitt und dem weiten Rock. Er hatte ihren nackten Rücken gestreichelt, bevor sie das Haus verließen und ihr zugeflüstert, dass sie wie eine Fee aussehe. Sie hatte gelacht und ihn geküsst.

      Während des ganzen Essens herrschte eine prickelnde Spannung zwischen ihnen, die sich zu Hause, in ihrem Schlafzimmer, entladen würde. Was sie gegessen hatten, war ihr entfallen, es war auch egal.

      Wieder erschien ein Bild vor ihren Augen: Paul, nackt auf dem Bett. Er hatte ihr belgische Pralinen geschenkt, eine riesige Schachtel. Sie hatte sie auf seinem Körper verteilt, eine nach der anderen sorgfältig platziert.

      Die Stückchen nahm sie mit ihren Lippen auf, genoss den Duft seiner Haut und den Geruch der Schokolade. Sein erregtes Stöhnen. Aber er ließ ihr nicht viel Zeit, die Leckereien zu genießen. Er warf sie auf das Bett, liebte sie leidenschaftlich. Sie musste lachen, als sie die zerquetschten Pralinen auf dem Bettlaken fand, nachher, als ihre Lust gestillt war.

      Catherine starrte auf die offene Schachtel. Sie glitt ihr aus den Händen. Mit einem erstickten Schrei sprang sie auf, rannte ins Badezimmer und übergab sich.

      Dann hob sie den Kopf und starrte auf ihr Spiegelbild. Ein geisterbleiches, mageres Gesicht – wirres, rotblondes Haar, auf der schweißbedeckten Haut klebend. Quer über der Stirn, knapp am Haaransatz, die lange, gestichelte Narbe, die Erinnerung an das Ende ihrer Unbeschwertheit. Die Augen, dunkle Löcher, voll Schmerz. Grässlicher, säuerlicher Geschmack auf der Zunge, in der Nase, überall.

      Catherine drehte den Wasserhahn auf und hielt ihr Gesicht unter das eiskalte Wasser, minutenlang, bis ihre Haut betäubt war von der Kälte. Sie trocknete sich ab und ging zurück in das Zimmer. Die Schachtel mit den Pralinen verschloss sie mit abgewandtem Gesicht und steckte sie in den Schrank. Als sie sich auszog, fiel ihr Blick auf das Pflaster auf der Schulter. Vorsichtig zupfte sie daran, besah sich die noch immer gerötete Tätowierung und trug ein wenig Creme auf.

      Catherine schlüpfte in das Nachthemd, legte sich ins Bett und löschte das Licht. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, starrte sie in die Dunkelheit. Und die Vergangenheit war wieder da, unbarmherzig und klar.

      *****

      Sie waren nach Hause gefahren, Paul, Catherine und Sarah, ihre kleine Tochter. Das Mädchen schlief im Kindersitz, seine Puppe fest in den Armen.

      Es war schon dunkel, ein verregneter Tag Ende Oktober. Sie hatten das Wochenende bei Pauls Eltern in Dymchurch verbracht. Derrick und Suzanne Morgan lebten seit der Pensionierung von Pauls Vater in dem kleinen Ort südlich von Dover, in einem Haus direkt am Meer. Das Wetter war schön gewesen, sie hatten trotz des kräftigen Windes einen Strandspaziergang gemacht. Erst am Sonntag zu Mittag hatte es zu regnen begonnen. Sie hatten eigentlich vorgehabt, früher aufzubrechen, aber Pauls Vater wollte seinem Sohn noch unbedingt seine neueste Errungenschaft – einen Schrank im Regency-Stil – zeigen. Die beiden Männer vertieften sich in ein Fachgespräch und wie immer vergaßen sie darüber alles andere. Beide liebten Antiquitäten. Und beide hatten die finanziellen Möglichkeiten, sich dieses Hobby leisten zu können.

      Catherine hatte mit Sarah gespielt. Die Kleine wurde im Dezember vier und sie wünschten sich noch ein Kind. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es allerdings nicht geklappt.

      Es dauerte über zwei Stunden, bis die Männer wieder erschienen. Deshalb dämmerte es schon, als sie die Fahrt nach London antraten. Pauls Mutter verabschiedete sie besorgt. Das Wetter war wirklich nicht sehr gut, die Straßen rutschig vom nassen Laub. Bei diesen Witterungsverhältnissen würden sie für die knapp siebzig Meilen bestimmt zwei Stunden brauchen. Aber Paul war ein guter Fahrer, es gab keinen Grund, sich zu sorgen.

      Sie unterhielten sich leise, um Sarah nicht zu stören, die bereits nach einer Viertelstunde eingeschlafen war.

      Ein seltsames Gefühl der Abgeschlossenheit hatte Catherine ergriffen, wie immer, wenn sie zusammen im Auto

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