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deine Augen!“

      „Na, die Locken hat er vom Vater, die Anmut von der Mutter.“

      „Und seine Geschwister sind auch nicht gerade hässlich.“

      Maryam trug ein kleines Kind auf der Hüfte, ein anderes hielt sie an der Hand. Neben Jausef stand ein weiterer Junge, etwa acht Jahre alt.

      „Er ist halt der Erstgeborene. Weißt du, was man über ihn erzählt?“

      „Nun sag' schon! Aber erst nehmen wir noch einen Schluck Wein.“

      „Zum Wohl! – Jetzt zum Frühlingsfest waren die Eltern mit ihm in Jeruschalajim. Dort haben sie ihn aus den Augen verloren. Sie haben ihn überall gesucht. Bei Freunden, bei Verwandten, überall. Nichts!“

      „Und?“

      „Zuletzt haben sie ihn gefunden im Tempel.“

      „Ja und, was ist daran besonderes? Jeden Tag gehen viele Menschen in den Tempel.“

      „Bewahre! Ein Zwölfjähriger, der freiwillig in den Tempel geht!?“

      „Warum nicht? Er hatte seine Eltern verloren. Vielleicht hatte er Angst und suchte ein Zuhause.“

      „Ha, jetzt kommt's! Er saß unter den Gelehrten und redete mit ihnen, als ob er ein Alter wäre.“

      „Hmm?“

      „Und weißt du, was er sagte, als sein Eltern kamen?“

      „Nun sag' schon!“

      „Was sucht ihr mich? Ich bin am Leben und bin bei uns bis zum Ende aller Tage.“

      „Was soll das heißen?“

      Bislang hatte die Musik im Hintergrund gespielt. Jetzt tanzte eine Frau mit Schellen an den Knöcheln in die Mitte des Hofes. Lachend spielte sie mit ihren Zimbeln und forderte die anderen Frauen auf, sich ihr anzuschließen. Schrille Schreie ertönten, die Stunde der Frauen war gekommen. Mehr und mehr strömten in die Mitte, bogen ihre Leiber stampften mit ihren Füßen auf den lehmigen Boden. Unter sich ließen sie sich gehen, reckten ihre Arme in die Höhe, wiegten ihre Köpfe mit geschlossenen Augen. Sollten die Männer sehen, dass sie schön waren, schön und begehrenswert.

      Und die Männer klatschten, hüpften auf ihren Bänken, einige jauchzten, manche brummten wie Bären. Als alle im gleichen Rhythmus schrien und klatschten, sprangen die Männer auf und mischten sich unter die Frauen. Diese zogen sich zurück und überließen ihnen den Platz. Schnell bildeten die Männer einen Kreis und feuerten sich an. Immer einer tanzte in die Mitte und zeigte wie er Arme und Beine verrenken konnte, wie schnell er mit den Füßen tippeln konnte, wie tief er sich beugen konnte, ohne zu fallen. Dann traten zwei in den Kreis und umtanzten sich wie Hähne, balzten und drohten voreinander, bis sie sich lachend umarmten.

      Die Trommeln wogten hin und her wie die Wellen im Meer, die Flöten segelten darüber wie Möwen im Wind. Inzwischen hatten sich die Frauen zu den Männern gesellt. Dunkel war es geworden, die Fackeln warfen flackerndes Licht auf die glücklichen Gesichter. Ein Tanz folgte dem anderen, immer im Kreis wie schon bei den Vätern und Großvätern. Der Kreis umfasste alle, die Lebenden und die Toten. Den Stamm. Das Volk. Das Land. Den Erdkreis, den Kreis der Sonne, wenn sie morgen aufgehen würde.

      „Yeshu, verdammt, der Wein geht zur Neige. Was tun wir? Das Fest, das schöne Fest, es wird plötzlich zu Ende sein. Enttäuscht werden die Menschen nach Hause gehen und mir fluchen.

      Nur noch zwei Krüge. Wir können doch kein Wasser in den Wein schütten!“

      „Aber wir können Wein in das Wasser tun.“

      „Sie werden es schmecken.“

      „Wir machen das Wasser zu Wein.“

      „Wie meinst du?“

      „Hier! Nimm dieses Wasser! Schau dir an, wie klar es ist!“

      „Ja, klar.“

      „Nun riech' es! Sag mir, wie es riecht!“

      „Nch! Wie Wasser halt.“

      „Jetzt schmeck' es! Nein, nicht einfach trinken wie ein Ziege, du sollst es kosten! Schlürf' es! Nimm einen kleinen Schluck, lass ihn über die Zunge fließen.“

      „Hmm! Ich wusste gar nicht, das Wasser so gut schmeckt! Hmm, noch einen. Das tut gut. Ich werde wieder nüchtern.“

      „Willst du Wein?“

      „Nein, nein.“

      Yeshu nahm einen Ledersack mit frischem Quellwasser und mischte sich unter die Tänzer. Erst tanzte er in der Mitte, wog seinen Sack im Arm wie die Liebste. Die Menschen wieherten vor Lachen. Dann staunten sie. Er hielt den Sack zum Himmel, als wollte er ihn weihen wie ein Lamm. Schwindelig war ihnen, überhitzt und durstig. Mit weitem Strahl goss er sich selbst in den Mund und drehte sich majestätisch. Jetzt hatten sie verstanden, was er vorhatte. Einer nach dem anderen kamen sie heran und beugten sich hinab und ließen sich das kostbare Nass in den Mund spritzen, ließen es über Lippen und Kehle rinnen. Die Gesichter glänzten nass und glücklich, als sie wieder aufstanden, gekühlt und gelabt.

      „Das Wasser des Lebens“, sagte Yeshu jedes Mal. Ob es die Tänzer hörten? Die Schalmeien bliesen sehr laut.

      Kapitel 6

      Als Blau und Grau ununterscheidbar geworden waren, schallten die Trompeten über das ganze Land. In jedem Haus, in jeder Hütte, in jedem Zelt sprachen die Ältesten den Segen. Die Frauen hatten ein Festmahl vorbereitet, so gut es eben ging. Es war die Zeit, sich YHWH nah zu fühlen und den ewigen Bund zu erneuern.

      Die Priester hatten sich längst gereinigt, ein Lamm geopfert und die Lampen entzündet, als sich die Menschen in den Tempeln versammelten. Die Frauen blieben mit den kleinen Kindern im Vorhof zurück, die Männer scharten sich um den Altar. Es wurde geräuchert, man betete zusammen. Dann lasen die Gelehrten aus den heiligen Schriften. Die Sprache, in der sie redeten, war die Sprache der Erzväter. Die kehligen Laute lullten die Männer ein und ließ sie träumen vom gelobten Land, dem Land, das Gott ihnen zugewiesen von der Wüste und dem Libanon bis an den großen Fluss Euphrat bis hinauf zum Meer. Das Land, das Jehoshua und sein Volk in Beitz nahmen, damit dort Milch und Honig flossen. Es tat gut, dieses Erbe im Blut rauschen zu hören. Es tat gut, den Bund zu erneuern.

      Nachdem ein Mann die heiligen Worte in aramäisch ausgelegt hatte, war noch Zeit bis zum Nachmittagsgebet. Wie an jedem Schabat würde man Freunde treffen, ein paar Schritte gehen, gerne zum Fluss. Vielleicht war wieder dieser Prediger da. Ja, er hatte das Zeug zu einem Propheten. Wie er redete, mit den Augen rollte, was er sagte, das fesselte einen.

      Aber ihm zuzuhören, das konnte Sünde sein. Der Gott, von dem er predigte, war das der Gott, dessen Name man nicht nennen durfte? Was wenn er einen anderen Gott meinte? Dann war es Lästerung. Ein Gott neben dem Einen? Steinigung war die einzige gerechte Strafe.

      Schon tauchte das grüne Ufer auf. Schilf wog leicht im Wind, Spatzen tschilpten darin. Es war Frühling, sie bauten ihre Nester. Silbern glitzerte das Band des Flusses. Drüben lag die Fremde. Niemand wollte über den ha-Jarden gehen, trotzdem gab es eine Furt. Dort wartete der Prediger. Er saß auf einem Baumstamm und wog einen Palmwedel in der Hand. Lächelnd sah er die Menschen kommen. Als die Menge angeschwollen war, stand er auf und stieg auf den Stamm.

      „Ihr seid gekommen, in unfassbarer Zahl“, begann er und ließ seinen Blick über die Männer und Frauen gleiten.

      „Ich sehe eure Augen. Ich sehe eure Seelen. Ich sehe eure Wunden und ich höre eure ungeschrienen Schreie. Schwarz ist eure Sonne, rot euer Mond. Eure Sterne werden fallen und der Boden unter euren Füßen wird beben. Ihr steht hier in euren hellen Gewändern und wartet. Warum wartet ihr? Niemand hat gesagt, dass ihr warten sollt. Wie lange noch wollt ihr warten?“

      Schwarze Sonne, roter Mond? Warten, dass die Sterne fallen und die Erde bebt? Niemand

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